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Arbeitslosengeld II

Themenpapiere der Fraktion

Die Hartz-Kommission hat 2002 weitreichende Vorschläge zur Reform des Arbeitsmarktes gemacht. Die darauf folgenden vier Gesetzespakete, Hartz I bis IV, waren ein zentrales Element der Agenda 2010 vom damaligen Bundeskanzler Schröder. Versprochen haben die damaligen Regierungsparteien SPD und Grüne eine Halbierung der Arbeitslosigkeit bis 2005. Erreicht haben sie, dass Millionen Menschen verarmt sind und Arbeit keine Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum mehr garantiert.

Im Hartz-IV-Gesetz wurde 2005 die frühere Arbeitslosenhilfe abgeschafft und die „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ (auch: Arbeitslosengeld II – ALG II) eingeführt. Leistungsberechtigt sind – entgegen dem irreführenden Namen – nicht nur Erwerbslose, sondern alle erwerbsfähigen Menschen, die im Sinne des Gesetzes „bedürftig“ sind, also kein ausreichendes Einkommen oder Vermögen haben, und die Mitglieder ihrer sog. Bedarfsgemeinschaft. Mehr als die Hälfte der Beziehenden sind nicht arbeitslos, sondern sind entweder prekär erwerbstätig oder stehen aus guten Gründen wie Pflege- oder Erziehungsaufgaben nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung.

Durch die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe wurde die Sozialhilfe zum langfristigen Maßstab der Absicherung von Erwerbslosen. Leistungen gibt es erst nach einer strengen Bedürftigkeitsprüfung. Etliche Personen, die vor Hartz IV noch einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe hatten, bekommen gar keine Unterstützung mehr, weil sie Partnerinnen oder Partner mit Einkommen haben („Bedarfsgemeinschaft“ – dies betrifft vor allem Frauen) oder noch über ein begrenztes Vermögen verfügen.

Auch bei der Höhe hat Hartz IV die Leistungen der Sozialhilfe angeglichen. Bei der früheren Arbeitslosenhilfe war das anders, sie berechnete sich aus dem vorherigen Lohn. Für rund 60 Prozent der früher Arbeitslosenhilfe-Beziehenden führte Hartz IV zu Einkommensverlusten. Aktuell (2021) hat ein Alleinstehender einen Anspruch auf 446 Euro pro Monat. Das ist viel zu wenig, um z.B. eine gesunde Ernährung und soziale Teilhabe zu garantieren. Dazu kommen die sogenannten Kosten für angemessenen Wohnraum und Heizung, die gerade in angespannten Mietmärkten oft viel zu niedrig sind. Bei Paaren reduziert sich die Unterstützung. Kinder und Jugendliche erhalten das altersgestaffelte Sozialgeld (2021: altersabhängig zwischen 283 und 373 Euro). Die Summe aus Regelsätzen und Leistungen fürs Wohnen liegt deutlich unterhalb der Armutsgrenze – Hartz IV ist Armut und Ausgrenzung per Gesetz. Im reichen Deutschland müssen sich damit rund sechs Millionen Menschen begnügen.

2010 hatte das Bundesverfassungsgericht die Ermittlung der Regelbedarfe als verfassungswidrig eingestuft und die Bundesregierung gezwungen, die Regelsätze neu zu berechnen. Die Bundesregierung hat dabei das Existenzminimum aufwändig kleingerechnet, um eine Erhöhung zu verhindern. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Verfahren zwar 2014 bestätigt. Von Verbänden und Fachleuten wird es aber beständig kritisiert. Auch bei den regelmäßigen Neuermittlungen der Bedarfe in den Jahren 2016 und 2021 hat die Bundesregierung ihre Tricks wiederholt, um die Leistungen nur minimal erhöhen zu müssen. Ohne diese Rechentricks wäre 2021 eine Anhebung des Regelsatzes auf 658 Euro anstelle von 446 Euro sachgerecht. Die ausführliche Kritik daran und die Begründung der Alternativen finden sich in dem Hintergrundpapier von Katja Kipping aus dem Jahr 2016, das leider immer noch aktuell ist. 

Auch das Motto der Hartz-Gesetze „Fördern und Fordern“ ist nur sehr einseitig umgesetzt worden. Fordern ja: Durchschnittlich eine Million neu verhängte Sanktionen pro Jahr (mit Ausnahme des Corona-Jahrs 2020) sprechen eine deutliche Sprache. Dadurch werden Erwerbslose gezwungen, jede Arbeit zu noch so schlechten Bedingungen anzunehmen – selbst wenn der Lohn dabei nicht zum Leben reicht und man weiterhin aufstocken muss.

Fördern dagegen: Fehlanzeige! Die berufliche Weiterbildung wurde massiv zurückgefahren. Akzeptable Formen der öffentlich geförderten Beschäftigung wurden abgeschafft; Erwerbslose wurden in billige und perspektivlose Ein-Euro-Jobs oder anderweitige kurzzeitige Förderprogramme abgeschoben. Erst 2019 wurde mit dem Programm „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ eine andere Richtung eingeschlagen. Auch wenn damit nur ein Bruchteil der Erwerbslosen erreicht wird – ohne den langen Druck von DIE LINKE und anderen hätte es nicht einmal das gegeben.

Die Hartz-Gesetze insgesamt setzen auf Niedriglöhne und prekäre Beschäftigung, um die Arbeitslosigkeit zu verringern. Sie fördern Leiharbeit und Minijobs. Sie kommen einem Kahlschlag in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik gleich: Es wurde nicht nur die Arbeitslosenhilfe abgeschafft, sondern auch der Zugang zum Arbeitslosengeld und seine Bezugsdauer wurden verschlechtert.

Die Fraktion DIE LINKE fordert eine grundlegende Überwindung von Hartz IV durch eine bedarfsdeckende, individuelle und sanktionsfreie Mindestsicherung und eine Kindergrundsicherung:

  • Die Sanktionsfreie Mindestsicherung soll bei rund 1.200 Euro netto im Monat liegen. Unterhalb dessen droht Armut. Der Betrag umfasst den Lebensunterhalt sowie die Wohnkosten („Kosten der Unterkunft und Heizung/KdU“). In Ballungsräumen kann ergänzend Wohngeld bezogen werden.
  • Die Sanktionen müssen abgeschafft werden. Auch das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft ist aufzuheben.
  • Anspruch auf die Sanktionsfreie Mindestsicherung haben Erwachsene, die nicht über ausreichendes Einkommen und Vermögen verfügen. Selbstgenutztes Wohneigentum in ortsüblichem, durchschnittlichem Umfang, Vermögen bis zu 60.000 Euro und angemessenes Altersvorsorgevermögen wird nicht angerechnet.
  • Für Kinder und Jugendliche soll es eine Kindergrundsicherung geben. Dabei wird das Kindergeld auf 328 Euro im Monat erhöht. Kinder aus armen Familien erhalten zusätzlich einen Zuschlag, sodass Kinder bis 5 Jahre bis zu 520 Euro erhalten, 6- bis 13-jährige Kinder bis zu 603 Euro und Jugendliche ab 14 Jahren 630 Euro. Darin sind Wohn- und Heizkosten bis 149 Euro monatlich pauschal berücksichtigt

Außerdem muss die Arbeitslosenversicherung wieder gestärkt werden:

  • Die Arbeitsförderung darf nicht länger Motor für prekäre Beschäftigung sein. Sie ist auf nachhaltige Arbeitsförderung und Vermittlung in gute Arbeit auszurichten. Sowohl Erwerbslose als auch Beschäftigte brauchen mehr und bessere Weiterbildung.
  • Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld muss schneller (ab vier Monaten) entstehen, bessere Leistungen garantieren (68 Prozent des pauschalierten Nettoentgelts) und länger gelten. Außerdem soll ein Arbeitslosengeld Plus eingeführt werden, das sich an das Arbeitslosengeld anschließt und 58 Prozent des Nettoentgelts beträgt. Das Arbeitslosengeld Plus soll genauso lange bezogen werden wie das vorherige Arbeitslosengeld; bei 30-jähriger Versicherungszeit soll es unbefristet gelten.

Weitere Schritte, um die Logik der vier Hartz-Gesetze zu brechen und gute Arbeit zu fördern, sind:

  • Um Armut trotz Arbeit zu verringern, ist der gesetzliche Mindestlohn auf 13 Euro pro Stunde anzuheben. Alle Ausnahmen vom gesetzlichen Mindestlohn sind aufzuheben.
  • Um Leiharbeit einzuschränken, muss ab dem ersten Tag das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gelten. Langfristig ist Leiharbeit zu verbieten.
  • Minijobs und Befristungen ohne sachlichen Grund dürfen nicht mehr subventioniert werden.

06.05.2021 Antrag Drucksache Nr. 19/29439

Hartz IV überwinden – Sanktionsfreie Mindestsicherung einführen


11.03.2020 Antrag Drucksache Nr. 19/17768

Kinderarmut überwinden, Kindergrundsicherung einführen


22.10.2019 Konzept

Konzept zur Stärkung der Arbeitslosenversicherung

 


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