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Der ehemalige Wirtschaftsweise Peter Bofinger zu Gast bei der Linksfraktion

Zwei Stunden beim Professor

Nachricht von Alexander Ulrich, Fabio De Masi,

Die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag lädt zum industriepolitischen Fachgespräch. Mit dabei ist der ehemalige „Wirtschaftsweise“ Prof. Peter Bofinger.

„Der Herr Altmaier hat auch schon mal zwei Stunden Vorlesung bei mir gehört… Und davon hat der sich anscheinend auch noch was gemerkt.“ Mit dieser Anekdote beginnt der Professor der Universität Würzburg und - bis vor kurzem - Mitglied des Sachverständigenrates Peter Bofinger seine Analyse der „Nationalen Industriestrategie 2030“, die der Bundeswirtschaftsminister Altmaier kürzlich vorgelegt hat.

Bofinger ist einer Einladung des stellvertretenem Fraktionsvorsitzendem Fabio De Masi und dem industriepolitischen Sprecher Alexander Ulrich zu einem Fachgespräch über den aktiven Staat in der Industriepolitik gefolgt. Neben Prof. Bofinger nahmen außerdem Frau Dr. Astrid Ziegler teil, Ressortleiterin Industrie-, Struktur und Energiepolitik der IG Metall und Tomas Nieber, der Bereichsleiter Mobilität der Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE. Sie diskutierten das neue industriepolitische Engagement der Bundesregierung, die Beschäftigungswirkung der Transformation und die Anforderungen an einen – dringend notwendigen – sozial-ökologischen Wandel.

Peter Bofinger hat sich als Wirtschaftsweiser gegen eine Wirtschaftspolitik im Interesse von Konzernen engagiert. Als einziger befürwortete er die Einführung des Mindestlohns, kritisierte die schwarze Null und forderte eine staatliche Industriepolitik. Dafür wurde er massiv von wirtschaftsliberalen Medien und Ökonomen angefeindet. Doch die Zeit gibt ihm Recht. Der Mindestlohn hat keine Jobs gekostet, die Medien diskutieren die öffentliche Investitionslücke und in den USA wirbt Bernie Sanders dafür, dass die Zentralbank grüne Investitionen finanziert.

Bofinger forderte schon vor anderthalb Jahren, man solle in Deutschland mal wieder „über Industriepolitik nachdenken“ und wurde damals zugleich aus der breiten Mainstream-Ökonomenzunft zurückgewiesen. Auch der Sachverständigenrat schreibt in seinem aktuellen Jahresgutachten, die Bundesregierung sollte lieber auf staatliche Lenkung der Wirtschaft verzichten. Im Text heißt es weiter, es sei „unwahrscheinlich, dass die Politik über Wissen und Kenntnis der künftigen technologischen Entwicklungen verfügt.“ Vielmehr sei es notwendig „eher auf das dezentrale Wissen und die individuellen Handlungen verschiedener Akteure zu vertrauen“. Bofinger widerspricht dem in seinem Sondervotum vehement und präsentiert einige Gründe für einen aktiven Staat in der Industriepolitik. Neben externen Effekten, Interdependenzen in den Wertschöpfungsketten und den daraus resultierenden Innovations- Ökosystemen, der Gefahr von Überkapazitäten, spielen vor allem Unsicherheiten eine Rolle. Unsicherheiten ob und wann sich Profite mit Batteriezellen oder dem Breitbandausbau in der Fläche realisieren lassen führen dazu, dass Unternehmen in diesen Bereichen erst gar nicht investieren.

Bofinger sagte dazu: „Wenn die Unsicherheiten zu groß sind, ist der Staat gegenüber den Unternehmen der überlegene Akteur.“ Außerdem führten Pfadabhängigkeiten – wie die Diesel-Dominanz in der Automobilindustrie – zu Versäumnissen, die schwer aufzuholen sind.

China und andere Staaten betrieben schon lange „strategische Handelspolitik“, deswegen dürfe Deutschland in dem Bereich nicht passiv bleiben. Auch, wenn die anderen Sachverständigen gegenteiliges Behaupten und viele Mainstream-Ökonomen der Meinung sind, der Staat könne gar nicht wissen, was die Zukunftstechnologien sind, so braucht es nur einen Blick auf die Zielindustrien der chinesischen Industriestrategie „Made in China 2025“ um zu erkennen, dass es so schwierig gar nicht ist, zu erkennen, dass da wohl ziemlich viele tatsächliche Zukunftsindustrien dabei sein werden. Viele Beispiele, wie Airbus, ICE, die Entwicklungspolitik von Japan, Korea, China und Brasilien, das Smartphone, CERN und das Internet zeigen, dass staatliche Industriepolitik erfolgversprechend ist.

Es gehe, so Bofinger, jetzt darum Branchen genau zu analysieren und daraus eine Strategie zu entwickeln. Die Solarenergie zeige gut, „wenn sich die Chinesen vornehmen einen Markt zu übernehmen, dann bekommen sie das auch hin.“ Und als nächstes zielen sie auf die Automobilindustrie.

Deswegen möchte Altmaier jetzt aktiv werden. Der ehemalige Sachverständige fragt in die Runde: „Aber warum denn erst jetzt?“ Die Bundesregierung hat jahrelang den Trend zu neuen Antrieben und moderner Mobilität verschlafen.

„Ein ganz zentraler Punkt ist das öffentliche Beschaffungswesen“, so Bofinger über die Instrumente, mit der eine progressive Industriepolitik umgesetzt werden könnte. Sie kann ein starker Hebel sein, wenn bestimmte Umwelt- und Sozialstandards zur Zulassungsbedingung werden. Als Alternative zum Seidenstraßenprojekt der Chinesen könnte die EU, so ein Vorschlag von Bofinger, doch auch ein eigenes „Belt and Road“-Projekt starten und so industriepolitische und entwicklungspolitische Ziele gleichermaßen verfolgen. In jedem Fall, stellte er fest, braucht „Deutschland eine mit der EU konsistente Industriepolitik“.

Dr. Astrid Ziegler von der IG Metall betonte die Notwendigkeit Industriepolitik mit den Beschäftigten gemeinsam zu entwickeln und kritisierte Altmaier dafür, dass sein Papier den Ordnungspolitischen Rahmen der sozialen Marktwirtschaft zu stark betont, die seine industriepolitischen Vorschläge andauernd wieder „konterkariert“. Alexander Ulrich kommentierte, dass sich Altmaiers Papier so lese: „als ob sich der CDU-Wirtschaftsminister auf jeder Seite dafür entschuldigt, was er auf der letzten Seite geschrieben hat.“

Ziegler forderte: Stattdessen müsste ein Zukunftsinvestitionsprogramm her und die Wirtschafts- und Strukturförderung müsste neu ausgerichtet werden. Mitbestimmung und qualitative Auflagen sollten die Vergabe von Finanzmitteln mit Kriterien der Guten Arbeit verknüpft werden. Außerdem sollten Transformationsberatungsfonds für Betriebsräte eingerichtet und gefördert werden.

Tomas Nieber von der Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE ging noch auf das „Herz“ der deutschen Industrie, die Automobilbranche, ein. Selbst in der Chemie-Industrie seien 200.000 Arbeitsplätze durch die aktuellen Herausforderungen, vor die Autoindustrie steht, in Gefahr. Nieber konstatierte: „Die Transformation der Autoindustrie zeigt exemplarisch die Herausforderungen, vor der die gesamte deutsche und europäische Industrie steht. Nachhaltigkeitsanforderungen, technologischer Wandel und internationaler Wettbewerb sind die derzeitigen Treiber.“ Er plädiert dafür sich industriepolitisch vor allem auf KMU zu fokussieren: „Ich glaube nicht, dass wir uns um VW, Daimler und BMW kümmern müssen, die haben genug Kapital um den Weg selbst zu gehen.“ Vielmehr brauchten KMUs, Zulieferer und die Beschäftigten im Handwerkt und Kleingewerbe Unterstützung. Und vor allem müsste auch wieder über Arbeitszeitverkürzung und eine Umverteilung des Arbeitsvolumens gesprochen werden.

In der gemeinsamen Diskussion, geleitet von Susanne Ferschl als Sprecherin für gute Arbeit, wurden weitere Aspekte aufgeworfen. Vor allem gab es Applause für die Feststellung, dass ein „Fokus auf den Weltmarkt keine linke Strategie“ ist und ein „radikaler Umbau der Industriegesellschaft notwendig sei, um die globalen Herausforderungen wie den Klimawandel und die weltweite Ungleichheit zu meistern.“ Bofinger nahm am Ende auch die Kritik auf und resümierte, dass er bei seinem nächsten Vortrag dem sozial-ökologischen Wandel mehr Raum geben werde. Er sei auch der Meinung, dass der Ressourcenverbrauch massiv zu mindern sei und dass Wachstum sich „immaterialisieren“ müsse. Nieber fügte hinzu, dass es um eine „Just Transition“ gehe, denn der ökologische Wandel gelinge nur mit den Beschäftigen und nicht gegen sie.

Fabio De Masi zog am Ende der Veranstaltung das Fazit, dass wir „die beschäftigten in der Autoindustrie schützen müssen um sie für den ökologischen Wandel zu begeistern, damit sie gemeinsam mit den Schüler*innen von Friday for Future auf die Straße gehen“. Dazu brauche die Politik aber eine „Mission“.

Einig waren sich alle Referent*innen in der Einschätzung, dass Altmaiers Industriestrategie nur als Diskussionsvorschlag zu werten sei, jetzt Taten folgen müssten und es auf die Umsetzung der konkreten praktischen Industriepolitik ankomme.

Fabio De Masi und Alexander Ulrich stellten zur Fachkonferenz auch ihre „10 Thesen für eine progressive Industriepolitik" vor. Anhand dieser Kriterien wird sich die Industriestrategie von Altmaier aus linker Perspektive messen lassen müssen.


Fabio De Masi und Alexander Ulrich: 10 Thesen für eine progressive Industriepolitik

Prof. Peter Bofinger: Brauchen wir eine Industriepolitik für Deutschland und Europa?

Dr. Astrid Ziegler: Industriepolitik mit den Beschäftigten gemeinsam entwickeln

Tomas Nieber: Industriepolitische- und beschäftigungspolitische Aspekte der Transformation industrieller Strukturen