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Wer selbstherrlich verharmlost, macht sich mitschuldig

Nachricht von Ulla Jelpke, Petra Pau,

Petra Pau und Ulla Jelpke nehmen Stellung zur Antwort der Bundesregierung auf die Goße Anfrage der Fraktion DIE LINKE. "Entwicklung der extremen Rechten und die Maßnahmen der Bundesregierung"

Durch die ganze Antwort wird erkennbar: die Bundesregierung will sich nicht wirklich und umfassend dem Problem Rechtsextremismus stellen. Sich ein Jahr Zeit zu nehmen, und dann dieses Sammelsurium von Oberflächlichkeit, Ahnungslosigkeit und Verharmlosung vorzustellen, ist eine Unverschämtheit.

Wer so an die Problematik herangeht, kann zur Lösung nicht viel beitragen. Auf die Frage, worin die Bundesregierung die Ursachen für die Erfolge der NPD sieht, nennt die Bundesregierung die zum Teil gute regionale Verankerung der NPD und ihre „Volksfrontpolitik“, also die Bündelung der rechtsextremen Kräfte. Das sind aber Strategien, keine Ursachen. Über diese hat die Regierung offenbar null Ahnung.

Sie kennen den Befund: Die Zahl Straf- und Gewalttaten mit rechtsextremistischen Hintergrund steigt rapide. Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sind längst wieder eine Gefahr für Leib und Leben. Zugleich sind 15 - 30 Prozent der Bevölkerung anfällig für rechtsextreme, rassistische oder antisemitische Klischees und Parolen. Wir haben also ein sehr ernst zu nehmendes Problem.

Dem steht gegenüber, dass es dazu in den zurückliegenden zehn Jahren im Bundestag keine ernst zu nehmende Debatte gegeben hat. Jedenfalls keine über Ursachen und über Strategien gegen den grassierenden Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Ich habe das mehrfach kritisiert, denn ich halte diese Abstinenz im Hohen Haus für verantwortungslos. Wir brauchen diese Debatte, parteiübergreifend.

Vor diesem Hintergrund hat die Fraktion DIE LINKE. eine Große Anfrage gestellt. Sie ist wirklich „groß“, denn sie umfasst 21 Kapitel mit 286 Hauptfragen. Die Bundesregierung hatte ein Jahr Zeit für ihre Antworten. Nun liegen sie vor. Mein Fazit ist: Die Bundesregierung hat eine große Chance ausgeschlagen. Beim Lesen hatte ich manchmal sogar den Eindruck, die Anfrage ist ihr lästiger, als der reale Rechtsextremismus.

Sie können das alles nachlesen und einen eigenen Eindruck gewinnen. Einige Antworten zeugen von Unkenntnis, andere von Ignoranz, noch andere von einer sehr engen, zu engen Sicht auf das eigentliche Problem. Mit anderen Worten: Ich halte die Analyse falsch und mit einer falschen Analyse kommt man auch nicht zu richtigen Folgerungen.

Damit aber hat die Bundesregierung - sicher ungewollt - einer der aktuellen Forderungen der Linkspartei bekräftigt. Wir brauchen in Deutschland endlich eine unabhängige Beobachtungsstelle für Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus nach EU-Vorbild. Eine solche Beobachtungsstelle wurde übrigens vom Bundestag schon mal mit Mehrheit beschlossen. Es gibt sie allerdings immer noch nicht.

Auch eine zweite Forderung der Linkspartei wird durch die Antworten der Bundesregierung bekräftigt. Wir wollen, dass die V-Leute in der NPD abgeschaltet werden. Schauen Sie sich die Antworten auf die Fragen nach V-Leuten an. Sie wird entweder verweigert oder sie belegen, dass die V-Leute nichts bringen, also überflüssig sind. Sie sind aber gefährlich und waren zudem das Prozess-Hindernis beim gescheiterten NPD-Verbot.

Unsere dritte Forderung zielt auf eine partei- und ressort-übergreifenden Strategie gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Es gibt sie bislang nicht. DIE LINKE hat sie auch nicht. Aber klar ist: So lange das Problem vorwiegend als Rand-, Jugend- oder Ost-Phänomen behandelt wird, kommen wir nicht weiter. Genau dieser beschränkte Ansatz findet sich aber in den Antworten der Bundesregierung wieder.

Diese partei- und ressortübergreifende Strategie muss vor allem eines bewirken: Sie muss die Zivilgesellschaft stärken. Dafür gibt es Erfahrungen, wenn auch zu wenig. Doch das Wenige drohte durch die Förderprogramme aus dem Ministerium von der Leyen auch noch zerschlagen zu werden. Das wäre schlimm. Nun gibt es offenbar doch noch Bewegungen zum Besseren. Ich würde das ausdrücklich begrüßen.

Übrigens: 286 Fragen mögen ihnen vielleicht viel erscheinen. Und der Bundesregierung waren sie offenbar viel zu viele. Dabei haben wir ganz entscheidende Fragen noch gar nicht gestellt. Denn auch unsere Große Anfrage bewegt sich noch vorwiegend auf dem Feld klassischer Innen- und Rechtspolitik. Das ist letztlich zu wenig. Deshalb hat die Fraktion DIE LINKE. auch eine Querschnittsarbeitsgruppe gebildet.

Wir wollen auch wissen, ob und wie die aktuelle Sozialpolitik dem Rechtsextremismus Vorschub leistet? Was das offiziöse Geschichtsbild bewirkt? Was die Bildung leistet oder unterlässt? Und welche Vorlagen die abwehrende Integrationspolitik bietet? Und, um ein aktuelles Stichwort aufzugreifen: Demokratie-Verdruss ist ein Riesen-Einfallstor für rechtsextreme Kameraden für ihre demokratie-feindlichen Parolen!

Auch daher mein Fazit: Wir brauchen endlich einen neuen Ansatz, wenn wir Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus zurück drängen wollen. DIE LINKE hat diesen Anspruch. Ein Anspruch ist noch keine Lösung. Wir suchen sie, gemeinsam mit anderen. Die Bundesregierung sucht offenbar nicht. Sie glaubt zu wissen. Das ist zu wenig.

Mein Blick in die Geschichte zeigt: Wer Konflikte verharmlost, macht sich mitschuldig. Die Bundesregierung verharmlost! Mein Blick in die Geschichte zeigt: Wer selbstgefällig agiert, wird zur Gefahr. Die Bundesregierung agiert selbstgefällig! Rechtsextremismus ist demokratie- und menschenfeindlich. Das darf man nicht selbstgefällig verharmlosen.

Unsere Anfrage war ein Angebot. Das wurde leider ausgeschlagen.




17.03.2006 - Grosse Anfrage - Drucksache 16/1009

Entwicklung der extremen Rechten und die Maßnahmen der BundesregierungDie Entwicklung der extremen Rechten in der BRD ist von den neunziger Jahren bis in die Gegenwart durch zahlreiche Wandlungsprozesse geprägt: Waren es einerseits, seit Beginn der neunziger Jahre und kontinuierlich bis heute, rassistisch motivierte Gewalttaten, so waren es auf der anderen Seite spektakuläre Wahlerfolge, die für eine Beunruhigung der demokratischen Öffentlichkeit sorgten. Prägend für die Debatten war jedoch, das die langfistige Entwicklung aus dem Blick geriet. Mehr (PDF) /// Für diese Anfrage liegt eine Antwort der Bundesregierung als Drucksache 16/4675 vor. Antwort lesen (PDF)