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More of the same shit - jetzt in HD

Im Wortlaut von Lukrezia Jochimsen,

Kommentar

Luc Jochimsen, ehemalige Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks und jetzt kulturpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, fragt sich, wie es weitergehen soll mit dem Öffentlich-Rechtlichen, wenn am 30. April das analoge Satellitenfernsehen abgeschaltet wird

 


Hurra. Jetzt sehen wir schärfer, genauer, klarer. Aber was sehen wir? Ich meine: In den öffentlich-rechtlichen Sendern? Also was sehen wir da? Tatorte, Fußball, Pilcher-Herz-Schmerz und wieder Tatorte … sehen wir da. Und dann zur Abwechslung Boxen, Tatorte, Volksmusik, Polizeiruf und Talk Eins bis Fünf durch die Woche hindurch mit den gleichen Gästen und Themen … sehen wir da. Und davor und danach Nachrichtensendungen, die vor allem im zweiten Programm diesen Namen nicht mehr verdienen. Weil die gehen so: Drei Kurznachrichten, dann ein Fragethema aus der Ratgeberrubrik: Sollen Siebzigjährige noch Auto fahren dürfen oder müssen sie zum TÜV?

Am nächsten Tag: Sollen Sechzehnjährige ans Steuer oder lieber nicht? Dann Katastrophenberichte aus weltfernen Gegenden, Beispiel: Im Süden der USA stürzte ein Militärflugzeug am Rand einer Kleinstadt ab. Keine Toten, keine Verletzten, aber ausführliche Aussagen von Augenzeugen, dem Sheriff, dem Feuerwehrchef. Alles übrigens vom örtlichen Feuerwehr-TV-Kanal übernommen. Das sehen wir.

Zu Ehren der Tagesschau muss festgehalten werden, dass so etwas dort nicht passiert. Allerdings nimmt auch hier die Zahl der originären Nachrichtenstücke ab.

Höhepunkt der Nachrichtensendungen, die keine sind, finden sich allerdings im sogenannten Frühstücksfernsehen mit seinen Lachnummer-Moderatoren, für die Hintergrundwissen ein Makel zu sein scheint und frische Ahnungslosigkeit das angesagte Profil.
Von 8.00 bis höchstens 8.03 Uhr gibt es Nachrichten, dann kommen Polit-Dampf, Sport, Ratgeberei, Wetter und Werbung. Überhaupt: Die Werbung! Werbung sehen wir pausenlos im öffentlich-rechtlichen System. Vor 20.00 Uhr, aber auch danach. Da heißt sie allerdings Sponsoring, ist aber dasselbe in der gleichen Verpackung. Im Frühstücksfernsehen kommt Werbung im Viertelstundentakt - vor und nach dem Spot, vor und nach dem Wetter, abends vor den Spielfilmen. Und so weiter und so fort.

Zusammengefasst: Wir sehen von allem zu viel und überall das Gleiche, wenn wir uns öffentlich-rechtliche Hauptprogramme ansehen. Auch in den Dritten ist es kaum anders und selbst 3 SAT und ARTE schlittern mehr und mehr in dieses Schema. Hier sind es dann Krimis, Tierfilme und Geschichtsfilme, die wie Tierfilme gemacht sind.

What do you get in TV? More of the same shit! So nennt man das lakonisch in den USA. Aber dort gibt es kein öffentlich-rechtliches Fernsehsystem wie bei uns. Insofern ist es höchste Zeit, dass wir Zuschauer endlich zur Gegenwehr übergehen. Jetzt, wo wir alles so schön digital sehen können - so perfekt und klar -, sollten wir mehr erwarten und verlangen, als nur von allem zu viel und überall das Gleiche.

Deshalb nun ein polemischer Vorschlag zur Gegenwehr: Beklagt haben wir Zuschauer uns gegenüber den Verantwortlichen der Sender lange genug, kritisiert, auf Veränderungen gedrungen. Jetzt sagen wir: Wenn die Sender ihrem kulturellen und Informationsauftrag, den sie neben dem der  Unterhaltung haben, weiterhin nicht oder so ungenügend nachkommen wie derzeit, wird die Hälfte der Gebühren ab dem nächsten Jahr einbehalten. Das sind immerhin 3,75 Milliarden Euro. Quoten dürfen nicht programmentscheidend sein. Werbung gehört nicht in ein gebührenfinanziertes System.

Nach dem 30. April können wir besser sehen. Das wollen wir auch. Allerdings nicht nur technisch, sondern vor allem gerade was die Qualität des Programms betrifft. Mit den einbehaltenen 3,75 Milliarden Euro pro Jahr ließen sich dann großartige Filme produzieren, Konzerte aufzeichnen, politische Magazine in freier Verantwortung von Journalisten gestalten. Die Sender bräuchten sie nur auf guten Sendeplätzen zu verbreiten. Eine schöne Aufgabe für die Landesmedienanstalten, damit die aus ihrem Dornröschenschlaf endlich mal aufwachen. Denn welch Qualitätskontrolle üben sie derzeit eigentlich aus? Wie sehr achten sie auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass das öffentlich-rechtliche System die Grundversorgung zu leisten habe in Sachen Kultur, Information, Bildung und Unterhaltung. Also weg mit der Hälfte des Geldes, damit das Programm nicht noch nichtssagender und kommerzialisierter wird – digital hin, digital her.

P.S. Das Schlagwort "Von allem zu viel und überall das Gleiche" ist der Untertitel des Buches "Der Kulturinfarkt" der Autoren Haselbach, Klein, Knüsel, Opitz. Dieses Buch schlägt vor, mit dem Gedanken zu spielen, die Hälfte der Theater, Museen und Bibliotheken in Deutschland zu schließen. Die Übertragung dieser Idee in anderer Weise auf das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem ist nicht rein zufällig.

linksfraktion.de, 28. April 2012