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Kollektives Vergessen

Im Wortlaut von Halina Wawzyniak,

EuGH-Urteil zum "Recht auf Vergessenwerden" wirft viele Fragen auf

 

Von Halina Wawzyniak, netz- und rechtspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Am 13. Mai urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) darüber, ob Google alte Sucheinträge mit persönlichen Daten löschen muss oder nicht. Geklagt hatte ein Spanier, der bei Google im Zusammenhang mit einer Immobilienpfändung zu finden war, die nun 16 Jahre zurückliegt. Er sah darin eine Rufschädigung und zog vor Gericht. Zum einen gegen die spanische Zeitung, auf deren Website ein Artikel dazu zu finden war und zum anderen gegen Google Spain, in deren Suche der Artikel zu finden war. Das spanische Obergericht kam zu dem Urteil, dass der Artikel selbst nicht zu beanstanden sei, Google dagegen die Sucheinträge dazu löschen müsse. Es forderte den EuGH auf, dazu Stellung zu nehmen. Die gab der EuGH jetzt ab und verurteilte Google, den entsprechenden Suchmaschineneintrag zu löschen. Damit urteilte das Gericht anders als der Generalanwalt vorschlug. Ein eher ungewöhnlicher Vorgang. Entsprechend groß war die Aufregung in der Berichterstattung rund um das Urteil. In den Medien und von Politikerinnen und Politkern wird es nun so interpretiert, dass der EuGH das so genannte "Recht auf Vergesseneren" im Internet beschlossen hat. Doch ist dem wirklich so?

Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass der EuGH zu dem Urteil kommt, dass Google sich an europäische Datenschutzstandards zu halten habe und sich nicht darauf zurückziehen kann, dass die Server nicht in der Europäischen Union stehen. Ebenso ist es zu begrüßen, dass der EuGH GRUNDSÄTZLICH ein Recht darauf sieht, dass personenbezogene Daten im Internet gelöscht werden müssen, wenn dies gewünscht wird. Bei einer genauen Betrachtung des Urteils stellen sich aber eine Reihe von Fragen. Zunächst ist zu bemerken, dass das Urteil lediglich Auswirkungen darauf hat, was Google in seiner Suche anzeigt. Das heißt, dass Google eine technische Lösung finden muss, den beanstandeten Artikel aus der spanischen Zeitung nicht mehr als Sucherergebnis anzuzeigen. Der Artikel selbst ist davon aber nicht betroffen. Das heißt, er ist noch immer im Internet zu finden, nur nicht mehr so leicht wie vorher. In der Logik der Kommentatoren, die in dem Urteil den großen Wurf sehen, würde das bedeuten, dass alles, was bei Google oder anderen Suchmaschinen nicht zu finden ist, automatisch nicht existiert. Zum anderen knüpft das Urteil die Löschung an Bedingungen, zum Beispiel das öffentliche Interesse. Es wird also auch in Zukunft stets eine Einzelfallentscheidung bleiben, ob bestimmte personenbezogene Daten in Suchmaschinen auftauchen dürfen oder nicht. Das kann nur auf Antrag erfolgen. Ein Automatismus wird nicht entstehen. Auf die Gerichte wird damit wohl wieder einiges an Arbeit zukommen.

Es wird nun darauf ankommen, was aus diesem Urteil genau gemacht wird. DIE LINKE hat seit jeher gefordert, dass es im Internet ein "Recht auf Vergessenwerden" geben muss. Dies kann aber nicht allein die Aufgabe der Suchmaschinenbetreiber sein, sondern muss für alle gelten. Zum Beispiel auch für Soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter. Spätestens hier zeigt sich, dass noch ein langer Weg vor uns liegt, bis dieses Recht tatsächlich umgesetzt werden kann. Das EuGH-Urteil kann ein erster Schritt dazu sein. Mehr aber auch nicht. 

linksfraktion.de, 14. Mai 2014