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Homophobie erkannt - Problem verkannt

Im Wortlaut von Barbara Höll,

In den letzten Wochen haben sich die Überfälle auf Lesben und Schwule in Berlin gehäuft. Am S- Bahnhof Kaulsdorf in Hellersdorf griffen zwei Jugendliche ein lesbisches Paar an und besprühten es mit roter Farbe. Am Halleschen Tor in Berlin-Kreuzberg griffen Jugendliche einen schwulen Mann an, weil dieser sich mit einem Kuss von einem Freund verabschiedete. Der Grund für die Überfälle: Die Homophobie der Täter. Dies wird durch Interessengruppen, Medien und Politiker benannt und endlich auch als Problem von Diskriminierung erkannt.

Der Leiter des Berliner schwulen Überfalltelefon Maneo, Bastian Finke, fabulierte in Anspielung auf den Migrationshintergrund der Täter beim Überfall in Berlin-Kreuzberg: »Nicht weniger als das friedliche Zusammenleben ist bedroht.« Ins gleiche Horn bläst der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD) und wirft dem Berliner Senat Untätigkeit vor, da dieser zu rücksichtvoll mit migrantischen Religionsgemeinschaften umgehe und damit die Homophobie nicht bekämpfe. Auch der Berliner CDU-Politiker Sascha Steuer kritisierte den Berliner Senat und schrieb in einem Tagesspiegel-Kommentar: »Ich bin nicht bereit, die Errungenschaften der letzten Jahrzehnte einem angeblichen Multikulturalismus zu opfern.«
Medienträchtig verband Steuer sein schwules Coming-Out mit einer Drohung, die man sonst nur vom rechten politischen Parteirand kennt: »Wer sich daran stört, wer nicht bereit ist, auf dieser Grundlage in Deutschland zu leben, sollte sich entscheiden, unser Land zu verlassen.«
Die berliner schwulen Aktivisten verkennen die Sachlage. Die Täter sind homophobe Männer und die Täter des Überfalls in Hellerdorf waren Deutsche ohne Migrationshintergrund.

Die »Simon-Studie« belegt, dass migrantische Jugendliche an Berliner Schulen eine deutlich höhere Ablehnung von Homosexualität aufweisen als ihre deutschen Mitschüler. Doch, dass auch mehr als 50 Prozent der deutschen Mitschüler einen schwulen Kuss als eklig empfinden, wird von den Vertretern des LSVD in den Pressemitteilungen gerne unterschlagen. Die Aktivisten sehen die gewalttätigen Übergriffe in der Konstellation der deutschen Mehrheitsgesellschaft gegen die religiösen Migranten. Während das einzig einigende Merkmal der homophoben Täter ihre Männlichkeit ist, reduzieren die Aktivisten dies, lediglich auf ein Migration- und Religionsproblem und landen damit beim Stammtisch. Dass eben dieser Stammtisch, ebenfalls männlich und homophob ist, verschweigen sie.

Die Welt ist pluraler und kulturell vielschichtiger geworden. Dies ist ein Prozess unterschiedlicher Geschwindigkeiten, Probleme und sozialer, religiöser wie auch politischer Verwerfungen. Erst seit 1994 ist der schändliche »Schwulenparagraph« § 175 endgültig abgeschafft worden. Es war ein langer beschwerlicher Weg, insbesondere gegen den Widerstand christlicher Religionsgemeinschaften. Kulturelle und sexuelle Vielfalt sind für viele gesellschaftliche Gruppen eine Zumutung. Dies erfordert Dialogbereitschaft bei allen Beteiligten. Es ist eine Tatsache, dass Jugendliche mit einem Migrationshintergrund - insbesondere in Verbindung mit einem religiösen Hintergrund - eine deutlich höhere Ablehnung der Homosexualität vorweisen als Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Dies ist ein Problem, dem sich eine Gesellschaft stellen muss. Doch Homophobie ist eben auch ein Problem gesellschaftlicher Ausschlüsse. Fehlende schulische Aufklärung, soziale Benachteiligung und die Distanz zur Mehrheitsgesellschaft begünstigen Vorurteilsstrukturen und männlich patriarchale Einstellungen bei den jungen Männern. Ziel führend ist es, die Einstellung in einem interkulturellen Dialog von Heterosexuellen und Homosexuellen zu verändern. Im Dialog schwinden Vorurteile. Diesen Weg geht der Berliner Senat. Er muss ausgebaut werden, denn nur so wird man mittel- und langfristig auch die Verhaltensweisen verändern können. Wer sich aber dem interkulturellen Dialog widersetzen will und sich als Minderheit mit der Mehrheitsgesellschaft gemein macht, treibt den Teufel mit dem Beelzebub aus. Zutreffend heißt es in der nicht autorisierten Fassung der »Simon-Studie«: »Solchen Versuchen muss sich auch die Lesben- und Schwulenbewegung entgegenstemmen, trotz kurzfristiger realpolitischer Verlockungen, die möglicherweise lauern. Lesben und Schwule würden sich in der Gesellschaft des islamophoben Beelzebub nicht lange wohlfühlen bzw. dort nicht lange unbehelligt bleiben, da der Abgrenzung nach außen meist sehr bald die ›Säuberung‹ im Innern folgt.« In der autorisierten Fassung sind diese entscheidenden Sätze verschwunden. Ein Schelm, wer böses dabei denkt. Der Auftraggeber: Der LSVD-Berlin-Brandenburg.

Von Barbara Höll

Neues Deutschland, 20. November 2008