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Die »Causa Brender«

Im Wortlaut von Lukrezia Jochimsen,

Artikel von Luc Jochimsen in Neues Deutschland.

Es gibt in der »Dreigroschenoper« von Bertolt Brecht eine Szene über die Wirkung brutaler Machtausübung. Der Bettlervermarkter Peachum konferiert mit dem Polizeichef Brown. Es geht darum, dass Peachum eine große Bettlerdemonstration anlässlich der Hochzeitsfeierlichkeiten der Königin plant, um den Polizeichef zu erpressen. »Ja, machen Sie das nur, Peachum, schicken Sie die Leute auf die Straße«, sagt der Polizeichef ungerührt, »ich werde sie zusammenschlagen lassen, dass nichts mehr von ihnen übrig bleibt, niemand kann mir das verbieten.« Darauf Peachum: »Ja, machen Sie das nur, Brown, schlagen sie uns zusammen. Aber es wird nicht schön aussehen, wenn ihre Leute auf die Krüppel und Ärmsten der Armen losgehen. Es wird sogar sehr hässlich aussehen - auch in den Augen der jungen Königin und ihrer internationalen Gäste, und selbst das Volk wird es sehr, sehr hässlich finden, was da geschieht. Bedenken Sie das wohl.« Daraufhin lenkt der Polizeichef ein. Die hässliche Wirkung der Macht kann er sich nicht leisten.

Die Zeiten sind jetzt vorbei. Wenigstens im Bereich Politik und öffentlich-rechtlicher Rundfunk, wie der Fall des ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender zeigt, dessen Vertrag auf Druck der Unionsvertreter im ZDF-Fernsehrat nicht mehr verlängert werden soll. Handfeste politische Einflussnahme auf die Besetzung von Top-Positionen des ZDF wie der ARD hat es gegeben, seit es dieses System gibt. Nur sind sie nie in die Öffentlichkeit gespielt worden. Das hätte »unschön« gewirkt, das galt es stets zu vermeiden. Da waren die Mächtigen genierlich auf positive Außendarstellung bedacht. Die Herren Stoiber und Koch aber haben jetzt ganz ungeniert diese Ästhetik aufgegeben. Sie zeigen jetzt ganz offen ihre Macht - hässlich hin oder her. Brutalstmöglich eben.

Das hat durchaus sein Gutes. Die Öffentlichkeit weiß Bescheid, und die Frauen und Männer im Sender können sich öffentlich positionieren. Ich erinnere mich noch gut an die 1970er und 1980er Jahre im NDR. Da haben Ministerpräsidenten ständig Personalpolitik betrieben. Es galt die sogenannte Farbenlehre: ein Schwarzer, ein Roter, dann eine Masche fallen lassen (das konnte der FDP zu Gute kommen oder ihr »Nahestehenden«). Da wurde ein Posten »Stellvertretender Intendant« geführt, nur um das Deklinieren von oben bis in die mittlere Führungsetage durchführen zu können.

Die damalige »Causa Brender« war die »Causa Merseburger«. Die Vertragsverlängerung des roten Chefredakteurs Merseburger stand an, und der damalige Intendant Neufert wusste, dass er für diese Personalie keine Mehrheit im Verwaltungsrat erhalten würde. Also setzte er die Personalie monatelang nicht auf die Tagesordnung des Verwaltungsrates und beschäftigte den Chefredakteur ohne Vertrag weiter. Alles übrigens ganz dezent, bekannt zwar, aber nicht offen diskutiert. Das ist der einzige Unterschied zu heute. Eines Tages wurde der Proporz umgebaut. Merseburger konnte bleiben, allerdings mit dem Versprechen, vorzeitig als Korrespondent nach Washington zu gehen.

Wer diese Zustände ändern will, hat durchaus Möglichkeiten. In den Rundfunkverträgen kann festgelegt werden:

  1. Parteien haben in den Aufsichtsgremien nichts zu suchen.
  2. Die politische Exekutive, sprich Ministerpräsidenten oder ihre Emissäre aus den Staatskanzleien oder dem Kabinett, haben in den Aufsichtsgremien nichts zu suchen.
  3. Die Sender erhalten eine »Intendanten-Verfassung«, wie sie der Hessische Rundfunk seit seiner Gründung hat. Das heißt, der Intendant entscheidet über die Besetzung der Programmverantwortlichen allein und muss die Zustimmung des Verwaltungsrates nicht einholen.


Der offene politische Kampf um die Besetzung des ZDF Chefredakteursposten hätte dann ein gutes Ende.

Von Luc Jochimsen

Neues Deutschland, 9. März 2009