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»Der neue Rundfunkbeitrag ist zu ungerecht«

Interview der Woche von Harald Petzold,

 

Harald Petzold, medienpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, im Interview der Woche über Meinungsbildung, "Lügenpresse", rassistische Hetze, Jugendmedienschutz, Datensammelwut der Internetkonzerne, Fernsehgebühren und die Novelle des Filmfördergesetzes

 

"Lügenpresse", das "Unwort des Jahres 2014" und ein Lieblingswort von Joseph Goebbels, fällt auf Demonstrationen von Pegida-Anhängern immer noch regelmäßig. Angeblich fühlen sie sich von Politik und Medien nicht verstanden. Läuft etwas falsch im politischen Diskurs?

Harald Petzold: Meinungsbildung funktioniert heutzutage ganz anders als noch vor ein paar Jahren. Inzwischen ist es relativ leicht, mit dem größten Mist mediale Aufmerksamkeit zu erregen. Es herrschen die Quoten, die Auflagen und die Klicks über eine unübersichtliche Vielzahl von Medienangeboten. Es gibt nicht mehr die eine Öffentlichkeit, es gibt eine Parallelität vieler Öffentlichkeiten. Außerdem ermöglicht es das Internet fast jedem, Sender und Empfänger von Informationen und Meinungen gleichzeitig zu sein. Unter solchen Bedingungen einen rationalen politischen Diskurs zu organisieren, ist verdammt schwer. Das heißt in der Konsequenz, dass auch dem schlimmsten Finsterling zumindest ein Teil der Medienwelt offensteht, sogar die klassischen Medien, wenn er ausreichend skandalisiert und personalisiert.

Dann gab es den Fall Til Schweiger. In diesem Jahr hat er sich entschieden gegen rechte Hetze ausgesprochen. Das machte vor allem positive Schlagzeilen, löste aber auch blanken Hass von rechts aus. Haben der Staat und soziale Netzwerke dem Treiben viel zu lange tatenlos zugesehen?

In Medien und Politik dominierte viel zu lange die Meinung, rassistisches und neofaschistisches Denken gäbe es nur an den Rändern. Das ist aber falsch. Zumindest Versatzstücke solchen Denkens führen mitten hinein in die guten Stuben bürgerlicher Wohlanständigkeit – im Übrigen unabhängig von der sogenannten Flüchtlingskrise. Denn dieses Phänomen wurde bereits in den 90er Jahren festgestellt. Damit einen Umgang zu finden ist die eine Seite. Andererseits ist das Netz kein rechtsfreier Raum. Rassistische und nazistische Hetze müssen auch dort verfolgt werden.

Und wie sieht es mit dem Jugendmedienschutz aus? Im Internet findet sich ja allerlei – von Pornografie bis zu Anwerbevideos des "Islamischen Staats".

Jugendmedienschutz ist richtig und wichtig. Aber zu glauben, man könne mit Hilfe des überkommenen Jugendschutzes, wie er etwa für das Fernsehen gilt, zum Beispiel dem Konsum kriminellen Materials beikommen, ist eine Illusion. Man trifft auch immer die Falschen. Jugendmedienschutz wird dann schnell zum Instrument für Zensur, die niemand wünschen sollte. Der beste Jugendschutz ist eine umfassende Medienbildung von klein an.

Internetkonzerne wie Google und Facebook haben in den letzten Jahren einen rasanten Machtzuwachs erfahren, der sich in astronomischen Gewinnen und Nutzerzahlen niederschlägt. Er geht einher mit einer Datensammelwut. Muss ihre Macht begrenzt werden?

Google ist mittlerweile nicht nur Medienmacht, es ist auch Wirtschaftsmacht und damit politische Macht. Eine solche Struktur muss zerschlagen werden, wenn sie den Regeln der Demokratie zuwider läuft. Ich bin mir im Übrigen sicher, dass wir mit einer öffentlich-rechtlichen Suchmaschine als starker Konkurrenz zu den Monopolisten viele Probleme, die es mit Google gibt, in dieser Form nicht hätten. Aber die Ministerpräsidenten der Länder haben das Online-Engagement von ARD und ZDF einer Vielzahl von Beschränkungen unterworfen, die in der sog. "Negativliste" des Rundfunkstaatsvertrages festgelegt sind. Diese Negativliste ist nicht mehr zeitgemäß und muss meines Erachtens nach fallen.

Die Digitalisierung krempelt die Medienwelt seit Jahren um. Stichworte sind die Krise der Printmedien oder der Musikindustrie. Wie kann die Politik die digitale Revolution steuern?

Die Frage ist, ob Politik der "digitalen Revolution" überhaupt beikommen soll. Das ist ja durchaus nicht alles Teufelszeug. Wichtiger wäre, sie käme der Entwicklung hinterher. Seit Mitte der 90er Jahre, als das erste Mal weltweit mehr Computer als Autos verkauft wurden, gibt es ein zumindest die Medienpolitik betreffendes Regulierungsdefizit. Erst vor gut einem Jahr haben Bund und Länder damit begonnen, eine Medienordnung zu entwickeln, die dem Zusammenwachsen der Medien gerecht werden soll. Ich bin skeptisch, ob das gelingen wird. Aber Digitalisierung meint ja mehr. Davon wird letztlich keine Alltagsnische verschont bleiben. Dieses Ausmaß hat Politik, auch LINKE Politik, noch nicht ganz verstanden.

Eine anhaltende Debatte gibt es um die Netzneutralität. Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht sich öffentlich dagegen und für die Bevorzugung bestimmter Dienste bei der Datenübertragung aus. Was bedeutet das für die Nutzer?

DIE LINKE wird an der Netzneutralität festhalten, komme, was da wolle. Eine Hierarchisierung von Angeboten oder Inhalten lehnen wir entschieden ab, weil das entweder eine Zensur zur Folge hätte oder aber, wenn es ums Geld verdienen geht, die Vorfahrt für die Übertragung kommerzieller Angebote. Außerdem – und das fällt wohl am meisten ins Gewicht – wäre das Internet als öffentlicher Raum, als öffentliche Infrastruktur und als inzwischen unverzichtbares Kommunikationsinstrument der demokratischen Kultur mausetot, wenn jene mit dem dicksten Geldbeutel darüber entscheiden würden, was und mit welcher Geschwindigkeit übertragen wird.  

Sprechen wir über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Seit im Jahr 2013 die Haushaltspauschale, eine Art Zwangsabgabe für jeden Haushalt unabhängig von der Mediennutzung, eingeführt wurde, gibt es Unmut bei den Bürgerinnen und Bürgern. Halten Sie den Rundfunkbeitrag in seiner gegenwärtigen Form für zeitgemäß?

Von Zwangsabgabe will ich nicht sprechen. Auch die Gebührenregelung war keine freiwillige. Außerdem muss auch für Privatfernsehen bezahlt werden. Jedes Mal an der Supermarkt-Kasse. Als LINKE kritisieren wir vor allem, dass der neue Rundfunkbeitrag zu ungerecht ist. Vor allem fehlen soziale Ausnahmetatbestände. Das müssen wir ändern. Die Medienpolitikerinnen und Medienpolitiker unserer Partei werden sich zu Beginn des nächsten Jahres auf eine gemeinsame Haltung verständigen. Dazu gehören soziale Ausnahmeregelungen genauso wie unsere Forderung nach Ausfinanzierung der öffentlich-rechtlichen Sender, damit diese ihrem demokratischen Auftrag nachkommen können.

Öffentlich-rechtliche Anstalten sollen Produktionen fördern, die aus rein ökonomischer Sicht nicht immer rentabel, aber kulturell wertvoll sind. Wie steht es um die Filmförderung?

Im nächsten Jahr wird das Filmförderungsgesetz (FFG) novelliert. Keine Frage, kulturell wertvolle Film liegen uns besonders am Herzen. Der Hollywood-Blockbuster finanziert sich von alleine. Eines unserer wichtigsten Ziele besteht fraglos darin, die Filmförderung in Deutschland auf hohem Niveau langfristig abzusichern. Dazu gehört unter anderem die Erweiterung des Einzahlerkreises. ARD und ZDF sollen stärker mitwirken. Außerdem muss man sich sehr genau ansehen, wer und wie viele Beteiligte über die Vergabe der Mittel entscheiden. Da schwangen bisher zu viele Köche den Löffel. Wir werden schließlich die Beschäftigungsverhältnisse im Bereich der Filmwirtschaft unter die Lupe nehmen. Denn mancherorts grassiert das Prekariat. Eine Tarifbindung der Löhne und Gehälter halten wir für zwingend, wenn Fördermittel in Anspruch genommen werden.


Fragen: Julian Albrecht

linksfraktion.de, 14. Dezember 2015