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Das große mediale Fressen

Im Wortlaut von Lukrezia Jochimsen,

Luc Jochimsen in der wöchentlichen Medienkolumne der Tageszeitung "Neues Deutschland"

Die Publizistin und langjährige ZDF-Journalistin sitzt für »Die Linke.PDS« im Bundestag.

Nein, Herr Minister!

Da gibt es ein schönes, neues Wort, das wir uns erst mal zurechtübersetzen müssen: »Binnenpluralität.« Der Duden hilft nur teilweise, nennt ein »mehrfaches, vielfaches Vorhandensein, ein Nebeneinanderstehen«, so lange es um die Pluralität geht - von »Binnen« findet sich dabei keine Spur.

Was also ist gemeint?

Eine Geschäftsformel, der Aufbau eines Medienmacht-Unternehmens, wie wir es in Deutschland noch nicht kennen, kurz genannt: SPRINGER + SAT 1.

Und die Prognose darf gewagt werden, dass um dieses Imperium im jetzt beginnenden Jahr ein Wirtschafts- und Politik-Kampf stattfinden wird, wie wir ihn ebenfalls in Deutschland so noch nicht kennen gelernt haben.

Denn es geht um nicht weniger, als dass der Zeitungs- und Zeitschriften-Gigant SPRINGER, der 66 Prozent des nationalen Print-Werbemarktes hält, sich nun auch noch eine Fernsehsender-Kette zulegen will - so viel Hin-und-Her-Werbung, wie da dann an der Tagesordnung ist, war auch noch nie.

Fast 40 Prozent aller Zuschauer und Leser wären dann Kundschaft einer Firma. Welch ein mediales Fressen!

Nun ist allerdings das Kartellamt gegen die Fusion. Urteil: zu viel Marktmacht. Und die Medien-Kontroll-Kommission ist es auch. Urteil: zu viel Medienmacht. Aber das heißt natürlich noch lange nicht, dass SPRINGER aufgibt. Dem Kartellamt gegenüber hat man signalisiert, dass man bereit sei, sich von einigen Unternehmen zu trennen. Und den Medienkontrolleuren hat man angeboten, notfalls eine Art Programm-Gremium für SAT 1 zu akzeptieren. Und da kommt jetzt der neue Begriff der »Binnenpluralität« ins Spiel.

Denn: Die Medienkommission KEK hat sich nicht lumpen lassen und SPRINGER einen Tag vor Weihnachten ein Dokument ins Haus geschickt, von dem die FAZ mutmaßt, es käme direkt von der Kommunistischen Plattform. Da heißt es nämlich: »Wird ein bisher nicht binnenplural verantwortetes Fernsehprogramm binnenplural ausgestattet, so hat dies eine grundlegende Veränderung des Fernsehprogramms zur Folge. An die Stelle der von Inhabern bestimmten, marktorientierten Gestaltung des Programm tritt die allein durch das Gebot der Binnenpluralität bestimmte Programmausrichtung.«

Will heißen, dass anstelle von Kauf- und Werbeinteressen die Gestaltung eines vielfältigen Programms gefordert wird, in dem Politik, Wirtschaft, Geschichte, Wissenschaft, Kultur, natürlich Sport, aber auch Natur und Umwelt behandelt wird und selbst Senioren, Kinder und Frauen angesprochen werden. Ja, so was! Klingt nach öffentlich-rechtlich - wie es einmal war. Und wäre vielleicht sogar ein Experiment wert, aber nur in der Utopie und nicht mit real existierenden Aktionären.

Sechs Monate hat der Konzern nun Zeit, sich die Sache mit dem »binnenpluralen« Sender zu überlegen. Wie geht es dann weiter?

Wenn Kartellamt und Medienkommission derart auf einer Linie sind, bleibt als einzige Hoffnung - die Politik. Der Wirtschaftsminister könnte sich mit einer Erlaubnis über die Voten der Kontrolleure hinwegsetzen. Es wäre nicht der erste Fall.

Deshalb muss jetzt die Diskussion über die Abschaffung dieses politischen Instruments einsetzen - unter Lesern und Zuschauern, im Parlament, in den Oppositionsfraktionen, in den Koalitionsparteien, in der Regierung.

Nach allem, was wir wissen im Fall SPRINGER + SAT 1, wäre eine Ministererlaubnis sittenwidrig. Wünschenswert wäre ein generelles Verbot der Ministererlaubnis. Für alle Fälle von Markt-und-Medien-Übermacht.

Neues Deutschland, 2. Januar 2006