Zum Hauptinhalt springen

Digitale Infrastruktur ist Teil der modernen Daseinsvorsorge

Positionspapier,

Positionspapier des AK III Wirtschaft und Finanzen der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Verantwortliche Abgeordnete: Klaus Ernst, Fabio De Masi

»Es ist wirtschaftlich unsinnig und benachteiligt die Menschen in ländlichen Gebieten, wenn wichtige Infrastruktur im Wettbewerb von mehreren privaten Firmen errichtet wird. Ihr Ziel ist ein möglichst hoher Profit, nicht eine möglichst gute und kostengünstige Versorgung für alle. In lukrativen Ballungsräumen werden sich nur Netze überlappen, während in dünn besiedelten Regionen und auf dem Land nichts oder nur sehr sporadisch ausgebaut wird. Die neuen Mobil- funkfrequenzen für 5G ändern daran kaum etwas.

Die digitale Infrastruktur ist Teil der modernen Da- seinsvorsorge und deshalb auch über den Staat bereitzustellen. Nur so lässt sich der Ausbau entlang von Gemeinwohlkriterien kostengünstig für alle Bürge- rinnen und Bürger sinnvoll organisieren.«  Klaus Ernst


Schnelles Internet und stabile Mobilfunkverbindungen tragen entscheidend zu wirtschaftlicher Entwicklung und zur Lebensqualität bei. Beides ist für Privatpersonen, Selbständige und Kleinbetriebe ebenso wie für Konzerne und große Unternehmen heute unverzichtbar. Aktuell hinkt Deutschland beim Ausbau der Mobilfunknetze, aber auch beim Ausbau des Glasfasernetzes international weit hinterher. Letzteren hat die privatisierte Telekom jahrelang blockiert. Noch immer sind ganze Regionen kaum erschlossen. Gerade einmal bei 8,5 Prozent der deutschen Haushalte war im Jahr 2018 überhaupt ein Breitbandanschluss verfügbar.1

Die Zahl der tatsächlich nutzbaren Glasfaseranschlüsse dürfte deutlich darunter liegen. Teilweise weisen die Mobilfunknetze Löcher auf, in denen nicht einmal telefoniert, geschweige denn das Internet vernünftig genutzt werden kann. Das kommt einer Bankrotterklärung der bisherigen Regierungsstrategien und Absichtserklärungen gleich. Der propagierte Wettbewerb um das beste Netz hat bisher nicht funktioniert und wird auch weiterhin nicht klappen. Andere Konzepte müssen her und endlich umgesetzt werden.

 

Die privaten Mobilfunkunternehmen sind bisher an der Aufgabe gescheitert, ein gutes flächendeckendes Mobilfunknetz anzubieten. Weder die neuen Frequenzen aus den Bereichen 2 GHz und 3,4–3,7 GHz und die mit ihrer Ersteigerung verbundenen Auflagen noch die neue Technologie 5G werden daran etwas ändern. Nach wie vor müssen vorrangig Funklöcher geschlossen und der Glasfaserausbau vorangebracht werden.

Ob Verkehrswege, Stromnetze oder eben digitale Netze – niemand braucht parallele Großstrukturen. Was früher falsch war, bleibt auch im Zeitalter der Digitalisierung volkswirtschaftlicher Unsinn. Die bisherigen Erfahrungen mit dem Mobilfunknetzausbau legen nahe, dass es am Ende vier unzureichende Netze mit dem neuen 5G-Funkstandard geben wird, die insgesamt viel teurer waren als ein einziges flächendeckendes und gutes Netz. Das ist nicht trotz, sondern wegen der Auflagen zu erwarten: An einigen Stellen erlauben sie den Anbietern, sich die Versorgung gegenseitig anzurechnen. Eine Verpflichtung zum Roaming fehlt dagegen. Damit sind Funklöcher praktisch vorprogrammiert.

Mobil telefonieren und surfen zu können sollte heutzutage selbstverständlich sein. Ob das in einer Gegend funktioniert, darf nicht davon abhängen, wo ein privater Anbieter die höchsten Profite erwartet. Deshalb fordern wir, dass Mobilfunknetze am Bedarf orientiert geplant und gebaut werden. Dafür am besten geeignet ist ein Netzbetreiber in öffentlicher Hand, der den Netzausbau und -betrieb sicherstellt und seine Kabel- und Funknetze den Mobilfunkanbietern gegen Gebühr für ihre Angebote zur Verfügung stellt. In den Kommunen stehen mit Stadtwerken oder anderen Anbietern, die heute schon Glasfaserkabelnetze bauen, bereits geeignete Träger bereit.

Wenn man den Ausbau der digitalen Infrastruktur schon privaten Anbietern überlässt, muss es wenigstens klare Kriterien für den flächendeckenden Ausbau geben, die auch durchgesetzt werden. Im Unterschied zu Deutschland wurde etwa in Schweden von Beginn an gezielt die Versorgung der Bevölkerung in ländlichen, bergigen Regionen gefördert – beispielsweise, indem an die Vergabe des 800-MHz-Bandes die Verpflichtung geknüpft wurde, den bislang unterversorgten Haushalten Mobilfunk zur Verfügung zu stellen. Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, statt einer Versteigerung die Lizenzen über Ausschreibungen mit harten Auflagen zu vergeben.

Welche Rolle spielt 5G für die Internet- und Mobilfunkversorgung in Deutschland?

Unter den jetzt versteigerten Frequenzen für den Ausbau des 5G-Netzes befinden sich zwölf Frequenzbänder, die sich für den Netzausbau in der Fläche anbieten. Und es stehen 29 Blöcke mit höheren Frequenzen zur Auktion, die für lokale Anwendungen geeignet sind. Darüber hinaus können die Anbieter Frequenzen für 5G nutzen, die sie schon früher ersteigert haben und die heute mit älteren Techniken (3G/4G) besetzt sind, da seit UMTS (2G) keine bestimmte Funktechnik mehr vorgeschrieben ist.

Schon jetzt ist klar, dass die Versprechen, die mit der aktuellen 5G-Auktion verbunden sind, nicht eingehalten werden. Das liegt vor allem an der doppelzüngigen Kommunikation der Bundesregierung. Nicht nur Bundesminister Andreas Scheuer (CSU) verspricht zu allen möglichen Gelegenheiten die »Gigabitgesellschaft« und »flächendeckend« schnelles Internet für alle. Doch wird uns 5G diesem Ziel kaum näherbringen:

1. Die Auflagen sind viel zu vage und helfen kaum

  • Zwar wurden die Auflagen von 95 auf 98 Prozent der Haushalte je Bundesland und zusätzliche Funkmasten in sogenannten weißen Flecken erhöht (pro Anbieter). Doch 98 Prozent der Haushalte zu versorgen bedeutet immer noch, dass rund 826.000 Haushalte bundesweit unversorgt bleiben. Davon abgesehen ist die Versorgung von Haushalten kein sinnvoller Maßstab für Mobilfunk. Es fehlt eine Versorgungsverpflichtung für die Fläche. Gerade in Flächenländern lassen sich 98% aller Haushalte mit einer geringen Zahl von Stationen auf den wenigen dichter besiedelten Gebieten abdecken.

  • Grundlage für das schnelle mobile Internet ist ein flächendeckender Ausbau der Glasfasernetze, die die Mobilfunkmasten mit dem kabelgebundenen Internet verbinden. Der geht aber noch immer nur schleppend voran.

  • Noch immer hat die Bundesregierung keine Mobilfunkstrategie und konkreten Fahrplan vorgelegt, um die bestehenden Funklöcher zu schließen - und um zu verhindern, dass neue entstehen und bleiben.
     
  • Fehlendes Roaming: Die Bundesnetzagentur hat nur ein Verhandlungsgebot formuliert. Die Anbie- ter sind nicht verpflichtet, sich auch zu einigen. Besser für die Kund/innen wäre, wenn sie automatisch das Netz benutzen könnten, dass an einem Ort zur Verfügung steht – ihr Mobilfunkbetreiber müsste dies seinem Konkurrenten, der das Netz zur Verfügung stellt, selbstverständlich angemessen bezahlen.
     
  • Auch die Anbieter von Mobilfunkdienstleistungen, die kein eigenes Netz haben, brauchen eine solide Geschäftsgrundlage. Ansonsten droht aufgrund der Eigentumsverhältnisse bei den Netzen ein Oligopol – in netzarmen Gebieten auch Monopole. Eine Diensteanbieterverpflichtung, die sicherstellt, dass die großen Netzbetreiber nicht einfach den Markt unter sich aufteilen, würde hier Abhilfe schaffen. Bei 4G hat die Bundesnetzagentur erstmals auf eine solche Verpflichtung verzichtet mit dem Ergebnis, dass es in Deutschland nur »wenig Internet für viel Geld« gibt, wie Statista einen entsprechenden Ländervergleich überschreibt. Ohne eine belastbare Diensteanbieterverpflichtung wird Deutschland innerhalb Europas auch weiterhin schlecht aussehen.2
     
  • Die wesentlichen Auflagen können auch durch den Ausbau der 4G-Technologie (LTE) erfüllt werden. Daraus folgt: Es existiert kein echtes Versorgungsziel für 5G, weder für Flächen noch für Haushalte. Es gibt nur die Vorgabe, mindestens 1.000 Basisstationen für 5G zu bauen, was im Vergleich zu den heutigen ca. 80.000 Basisstationen lächerlich wenig ist.

2. Die Debatte über Gesundheitsgefahren durch 5G

  • Kurzwellige, energiereiche Strahlung wirkt auf Mensch und Natur. Dass sie direkt Tumorbildung oder DNA-Schäden hervorruft, gilt als äußerst unwahrscheinlich. Gesichert ist, dass die eigene Handynutzung, gerade wenn sie nah am Körper erfolgt, die größten Gefahren birgt. Ob langfristig negative Folgen für die Gesundheit auftreten, wenn wachsende Datenmengen durch immer mehr Geräte, auch innerhalb von Autos, Bussen und Bahnen, über mehrere parallele Netze übertragen werden, kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden.
     
  • Präventiv sollte die Strahlenbelastung möglichst gering gehalten werden. Auch deshalb sollte auf den Ausbau mehrerer redundanter Netze verzichtet und inländisches Roaming eingeführt werden.

  • Ob wir als Gesellschaft ein Risiko eingehen wollen oder nicht, wer von der Technologie profitiert und wer durch sie gefährdet wird – das sind alles Fragen, die gesamtgesellschaftlich diskutiert gehören. Die Entscheidung, ob die Chancen die Risiken insgesamt überwiegen, muss demokratisch fallen und darf nicht von den Investitionsentscheidungen privater Unternehmen abhängen.

3. Wem und wann bringt 5G etwas?

  • Versteigert werden relativ kurzwellige Frequenzen mit sehr kurzen Reichweiten. Lediglich die Blöcke im 2-Gigahertz-Bereich sind für 5G in der Fläche interessant. Wollte man damit 98 Prozent der Haushalte erreichen plus die Verkehrswege abdecken, müssten laut eines Gutachtens des Wissenschaftlichen Instituts für Infrastruktur und Kommunikationsdienste GmbH (WIK) zwischen 130.000 und 261.000 Funkmasten errichtet wer- den, schreibt das Handelsblatt. Deshalb ist wahrscheinlich, dass bestehende Netze, die auf bereits früher ersteigerten Frequenzen laufen, umgerüstet werden. Was dadurch auf die Nutzer der älteren Technik zukommt, ist noch offen.

  • Ein Teil der Frequenzen ist für Unternehmen reserviert, die damit lokale Netze auf ihren Werksgeländen zur digitalen Produktion (Industrie 4.0) aufbauen können.

  • Die 5G-Technologie ermöglicht es, klassische Mobilfunk- und Internetdienste mit neuen Anwen- dungen zusammenzuführen, die unter dem Begriff »Internet der Dinge« (Internet of Things, IoT) zusammengefasst werden. Das sind industrielle Anwendungen etwa in der Fertigung und der Logistik, »Smart Home«-Dienste oder auch Verkehrslenkung und –steuerung sowie autonomes Fahren. Je nachdem, welche Anforderungen diese Anwendungen stellen und wie wichtig es ist, dass sie jederzeit reibungslos funktionieren, müssen ihnen bestimmte Bandbreiten (Network Slicing) oder die besonders schnelle Reaktionszeit (Latenz) reserviert werden. Das kann dazu führen, dass den anderen Diensten im Zweifelsfall nicht die gesamte 5G-Funktionalität zur Verfügung steht.

  • Ein 5G-Netz in großem Stil aufzubauen ist nur dann finanziell attraktiv, wenn die Konsumenten dafür auch ordentlich zahlen, gerade angesichts der hohen Lizenzkosten, die bei der Versteigerung erzielt wurden. Ob sie die versprochenen hohen Bandbreiten immer nutzen können, ist jedoch nicht sicher. Schon heute werden die Bandbreiten, die Mobilfunkanbieter ihren Kund/innen versprechen, nicht erreicht.

  • Um möglichst viele zahlungskräftige Kund/innen zu gewinnen, werden die Netzbetreiber deshalb zuallererst lokale Netze für Unternehmen oder in Innenstädten anbieten und aufbauen, bevor sie die Kund/innen in der Fläche versorgen – wenn überhaupt. Da es kaum Versorgungsauflagen für den ländlichen Raum gibt, können die Mobilfunkanbieter das auch so handhaben. Die wahrscheinlichste Folge: mehrere Netze in den Städten und kein Netz auf dem Land.
  • Ohne eine klare Verpflichtung der Netzbetreiber zum inländischen Roaming wird es viel länger dauern, bis flächendeckend ein schnelles mobiles Internet verfügbar wird. Das zeigt sich schon heute an den großen Versorgungslücken mit 4G.
  • Wenn es aufgrund des weiter schwelenden Streits der USA mit China dann auch noch zu einem politisch motivierten Ausschluss des chinesischen Ausrüsters Huawei käme, würde dies den Ausbau weiter verzögern).

4. Die Privaten bekommen den lukrativen Teil, der Staat den teuren Rest.

  • Die CSU hat vorgeschlagen, zur Lösung der Funklochproblematik eine staatliche Infrastrukturgesellschaft aufzubauen (Beschluss der 43. Klausurtagung der CSU im Bundestag, 3.-5. Januar 2019 in Kloster Seeon). Sie soll gezielt Mobilfunkmasten in den »weißen Flecken« finanzieren und errichten, die dann den privaten Mobilfunkbetreibern zur Verfügung gestellt werden. Damit übernimmt faktisch der Staat die Versorgungsverpflichtungen der Netzbetreiber.
     
  • Schon heute torpediert etwa die Deutsche Telekom Pläne der Gemeinden, Glasfasernetze in Eigenregie aufzubauen, indem sie dort noch schnell ihre günstigeren Kupferkabel per Vectoring aufrüstet. Bereits existierende Masten werden von den Providern nicht genutzt, um die unliebsame öffentliche Konkurrenz zu verdrängen.3
     
  • Die Förderkriterien für den kommunalen Glasfaserausbaus sehen vor, dass die Kommunen die Netze zwar mit öffentlichen Mitteln auf- und ausbauen können. Sie dürfen sie aber nicht dauerhaft selbst betreiben, sondern müssen nach Ablauf der Zweckbindungsfrist die Netze ausschreiben und an einen privaten Netzbetreiber verkaufen – also dann, wenn die Netze sich amortisiert haben und damit Geld verdient werden könnte.
     
  • Die Bundesregierung setzt sowohl beim kabelgebundenen als auch beim mobilen Internet nach wie vor darauf, dass die öffentliche Hand mit Steuermitteln finanziert und immer dort einspringt, wo der private Ausbau nicht rentabel ist. Alles nach dem alten Muster: Gewinne werden privatisiert und Kosten sozialisiert.
     
  • Wir fordern dagegen, dass die Kommunen selbstverständlich ihre eigenen Glasfasernetze aufbauen und dauerhaft betreiben dürfen und dafür auch Geld vom Bund bekommen. Ebenso müssen die Anbieter gesetzlich verpflichtet werden, existierende Infrastruktur auch zu nutzen. Um das zu erreichen, muss der Artikel 87f GG überprüft und gegebenenfalls angepasst werden, der den Telekommunikationsmarkt der Privatwirtschaft zurechnet und nur bei Marktversagen staatliche Eingriffe erlaubt.