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»Wir brauchen internationale Solidarität«

Nachricht von Sevim Dagdelen, Heike Hänsel, Sahra Wagenknecht,

Sevim Dagdelen, Sahra Wagenknecht, Can Dündar und Heike Hänsel (v.l.)  Foto: Rico Prauss

Bewegende wie warnende Worte im Bundestag: Auf Einladung von "Reporter ohne Grenzen" ist der türkische Journalist Can Dündar nach Berlin gekommen. Der Chefredakteur der regierungskritischen Tageszeitung Cumhuriyet musste sich im Mai in Istanbul vor Gericht verantworten, weil er Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an islamistische Terrorgruppen in Syrien aufgedeckt hat. Im Fall einer Bestätigung seiner Verurteilung im Berufungsverfahren muss Can Dündar für fast sechs Jahre ins Gefängnis. Sein Kollege Erdem Gül fünf.

Im Gespräch mit der Vorsitzenden der Linksfraktion, Sahra Wagenknecht, ihrer Stellvertreterin Heike Hänsel und Sevim Dagdelen, Sprecherin für Internationale Beziehungen, hat Can Dündar auf die dramatische Zuspitzung der politischen Situation in der Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdogan aufmerksam gemacht. Der Staatschef will die türkische Republik in ein autoritäres Präsidialsystem umbauen und nimmt dafür auf nichts und niemanden mehr Rücksicht. In den kurdischen Gebieten sind in den vergangenen Monaten ganze Städte von der türkischen Armee zerstört worden. 35 Journalisten sitzen derzeit wegen regierungskritischer Berichterstattung in Haft. Nach der Aufhebung ihrer Immunität droht 50 Abgeordneten der linken prokurdischen Oppositionspartei HDP ein Prozess wegen "Terrorunterstützung". Dündar warnt: "Wenn die HDP-Abgeordneten verhaftet werden, steht die Türkei an der Schwelle zum Bürgerkrieg." Niemand in der Türkei könne dann Erdogan noch stoppen, da damit jede demokratische Opposition ausgeschaltet sei. "Wenn die Türkei dem Faschismus in die Hände fällt, wird das auch Auswirkungen auf Deutschland haben", so Dündar, "dann werden nicht nur Flüchtlinge aus Syrien kommen, sondern auch Hunderttausende Kurden und verfolgte Oppositionelle in den Ländern der EU Schutz suchen."

Ausdrücklich dankt Can Dündar für die internationale Unterstützung, die er während seines Prozesses erfahren hat, nicht zuletzt von 140 Abgeordneten des Bundestages, die einen Protestbrief an Erdogan unterzeichnet hatten. Es sei notwendig, so der Journalist, dass die Öffentlichkeit ihr Augenmerk auch auf die vielen anderen politischen Gefangenen in der Türkei richte. "Wir brauchen noch mehr internationale Solidarität", betont Dündar. Es sei wichtig, dass die linken Kräfte in Deutschland und in der Türkei stärker zusammenarbeiten und schon heute an einem "Plan B" für den Tag nach Erdogan arbeiten.

Enttäuscht ist Can Dündar vom Verrat der europäischen Werte durch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Durch den schäbigen Flüchtlingsdeal mit Ankara habe sie nicht nur Schutzsuchende verraten. Sie habe Erdogan damit auch eine Trumpfkarte in die Hand gegeben, die es ihm erlaube, Deutschland und die EU zu erpressen. Die türkische Zivilgesellschaft sei enttäuscht von der Kanzlerin. Sie und die gesamte EU ließen die friedliebenden und freiheitsliebenden Menschen in der Türkei im Stich. 

Deutliche Worte, die Can Dündar auch im Menschenrechtsausschuss sowie in einem Round-Table-Gespräch mit rund 40 Abgeordneten aus allen Fraktionen des Bundestages gefunden hatte. Zuvor war er mit und Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und Außenamtsstaatssekretär Michael Roth sowie mit Christoph Heusgen, sicherheitspolitischer Berater der Bundeskanzlerin, und Regierungssprecher Steffen Seibert zu vertraulichen Gesprächen zusammengekommen.

"Wir werden die europäischen Werte von Freiheit und Demokratie weiter gegen Erdogan verteidigen, und notfalls auch gegen Merkel“, hat Can Dündar gegenüber den Parlamentariern in Berlin die Position der fortschrittlichen Kräfte seiner Heimat bekräftigt. Es sei ein Fehler, die Türkei mit Erdogan und der AKP gleichzusetzen. "Es gibt noch eine andere Türkei, und die braucht Ihre Unterstützung."

linksfraktion.de, 24. Juni 2016