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Wie Europa aus der Finanzkrise finden kann

Im Wortlaut von Herbert Schui,

Gastkommentar von Herbert Schui in der Financial Times Deutschland. Ein Plädoyer für eine europäische Lösung der Finanzkrise und zugleich eine grundlegende Neuordnung des Finanzsektors.

Herbert Schui war Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität für Wirtschaft und Politik (HWP) in Hamburg und ist Bundestagsabgeordneter der Linkspartei.

Ronald Reagan hat eine Wahl gewonnen mit der Parole: \\"Der Staat ist nicht die Lösung, er ist das Problem.\\" In der Finanzkrise ist in den USA dieser Satz kürzer geworden: \\"Der Staat löst das Problem.\\"

Diese Erkenntnis ist hierzulande nur allmählich durchgedrungen. Private, auch wenn der Staat mitverhandelt, kommen nur zu wenig haltbaren und schwachen Kompromisslösungen. Der Zwang des Gesetzes ist in einer Krise wie dieser dem Verhandlungskompromiss überlegen.

Es kann aber nur eine europäische Lösung aus abgestimmten nationalen Gesetzen geben, rein einzelstaatliche Regelungen sind die schlechteste Lösung: Das liquide Kapital strömt dann in den Staat, der die - für die Finanzunternehmen - günstigere Variante anbietet. Das zwingt die anderen Staaten, diese zu überbieten, so lange, bis der Staat alle Kosten der Bereinigung der Krise übernommen hat.

Und was tun, wenn ein kleines Land eine große Krise meistern soll? Geht das ohne die EU? Die Lage ist paradox: Die Banken in der EU stehen finanziell im Schnitt besser da als in den USA. Aber weil die EU wesentlich schwächere Mittel entwickelt, um der Krise zu begegnen, kann das Risiko insgesamt größer ausfallen als in den USA.

Die europäische Lösung kann sich an den USA orientieren. Allerdings mit einem wesentlichen Unterschied: Die EU gründet eine Agentur, die wie in den USA die dubiosen Finanzaktiva in einer Auktion zum günstigsten Preis erwirbt. Die Banken müssen so in einer ersten Runde einen großen Teil der notwendigen Abschreibungen auf eigene Kosten vornehmen. Die Agentur refinanziert sich, indem sie Anleihen herausgibt, die - anders als in den USA - von den Banken gezeichnet werden. Die Liquidität dafür beschaffen sie sich bei der Europäischen Zentralbank (EZB) durch Rediskontgeschäfte mit großzügigen Verlängerungsmöglichkeiten.

So ein Verfahren ist nicht neu: Seit Beginn der Finanzkrise versorgt die EZB die Banken in dieser Art mit Liquidität. Die Agentur erwirbt die risikobehafteten Aktiva jedoch nur auf Zeit. Die Banken kaufen sie zum Ursprungspreis zurück, soweit die Geschäftslage es zulässt. Der Agentur steht es allerdings frei, sie mit Gewinn am Markt zu veräußern.

Dieses Verfahren müsste damit abgerundet werden, dass unter anderem die Einlagen für Private völlig gesichert und die Bezüge der Geschäftsleitungen der Finanzinstitute begrenzt werden.

Vor allem gilt es, eine grundlegende Neuordnung des Finanzsektors zügig in Angriff zu nehmen. Die Finanzsphäre darf sich nicht von der Realsphäre loslösen. Der Finanzsektor hat demnach die Aufgabe, die Produktion zu finanzieren - und sonst nichts. Die Neuordnung muss den klassischen Bankkredit wieder zum hauptsächlichen Finanzierungsinstrument machen; er ist nicht handelbar, Derivate können nicht geschaffen werden.

Zeit für ein neues Bretton Woods

Ebenso ist der öffentliche Bankensektor neu zu ordnen. Die Gewährsträgerhaftung für Sparkassen muss wieder her; der Geschäftsbereich dieses Sektors ist auf den Zahlungsverkehr des breiten Publikums, auf die Finanzierung der kleinen und mittleren Unternehmen und der Defizite der Gebietskörperschaften zu beschränken.

Für die EU ist das eine harte Herausforderung. Als der Euro geschaffen wurde, haben die Nobelpreisträger Milton Friedman und Maurice Allais zu bedenken gegeben, dass dem Euro als Grundlage eine angemessene politische Struktur fehlt: Der Geldkarren wurde vor den institutionellen Karren gespannt. Diese fehlenden politischen Institutionen müssen nun zügig geschaffen werden, vor allem eine europäische Bankenaufsicht und Regelungen für den Finanzsektor, die seine Stabilität sichern. Die europäische Lösung der Finanzkrise kann dafür der Auslöser sein.

Die Zeit ist zudem günstiger denn je, zusammen mit den USA ein neues internationales Finanzsystem zu schaffen. Ein neues Bretton Woods - das aber der neuen Verteilung der wirtschaftlichen Macht in der Welt Rechnung trägt.

Financial Times Deutschland, 09.10.2008