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Was tun, wenn es kriselt?

Im Wortlaut von Herbert Schui,

Das EU-Konjunkturprogramm koordinieren, die öffentlichen Schulden konsolidieren, den Schuldendienst organisieren

Bei der internationalen Konjunktur- und Finanzpolitik heißt die Losung offenbar: »Jeder kümmert sich um seinen eigenen Scheiß« - so Kanzlerin Merkel sinngemäß in der Presse (Financial Times Deutschland vom 9. Oktober). Dieser Provinzialismus verwundert. Werden wir nicht seit Jahrzehnten vollgedröhnt mit »Globalisierung«? Warum also keine europäische, internationale Lösung? Die würde der Einigung des Kontinents mehr voranhelfen als die Übereinstimmung in der im Lissabon-Vertrag festgeschriebenen Militärpolitik.

Drei Aufgaben stehen jetzt international zur Lösung an: Als erstes müssen sich die Staaten der EU auf ein gemeinsames Konjunkturprogramm einigen. Damit hätte das Zögern ein Ende. Denn derzeit wird gehofft, daß die jeweiligen Handelspartner ihre eigenen staatlichen Anstrengungen erhöhen, das Wachstum steigern, mehr importieren und den Exportländern zu einem Gratis-Konjunkturprogramm verhelfen. Oder anders: Jedes einzelne Land verliert einen Teil der Wirksamkeit seiner Maßnahmen durch Importe. Das wird durch vermehrte Exporte ausgeglichen, wenn alle mehr für ihr Wachstum tun. Dies funktioniert innerhalb der EU umso besser, als sie insgesamt nur Waren im Umfang von zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) importiert.

Ähnliches gilt für die Handelsbeziehungen der großen Volkswirtschaften weltweit: Dem (möglichen, im Konjunkturprogramm verankerten) Protektionismus Washingtons läßt sich am besten begegnen durch mehr Importe aus den USA - nicht aber durch Beschwörung des Freihandels. Das setzt ein umfangreiches Konjunkturprogramm der EU voraus. Wachstumsstimulierende Maßnahmen in einem Volumen von 1,5 Prozent des BIP, wie derzeit im Durchschnitt der EU-Länder, ist zu wenig. Bei den USA sind es bekanntlich drei Prozent, China hat acht Prozent beschlossen.

Zweitens ist die Unterbringung der Staatsschulden zu regeln. Hierbei handelt es sich zunächst um die ererbten Verbindlichkeiten bis zum Beginn der Finanzkrise. Entstanden sind diese, weil der Anteil der lohnfinanzierten Nachfrage am Volkseinkommen gesunken ist - und bei sinkender Staatsquote auch der steuerfinanzierte Anteil (genauer: der durch Gewinnsteuern finanzierte Anteil) an der Gesamtnachfrage. Zum Ausgleich wurde die Staatsverschuldung erhöht. Dies nicht nur in den USA. Dazu kommen die umfangreichen Staatskredite zur Stabilisierung der Finanzunternehmen - und nun, zu guter Letzt, die Staatsverschuldung, um den Konjunkturabschwung abzumildern. All diese Finanzaktiva können nicht kreativen Bankiers und ihren zerstörerischen Schöpfungen auf liberalisierten Finanzmärkten überlassen werden. Vielmehr müssen diese dauerhaft und solide untergebracht werden. Dafür ist ein internationales Abkommen notwendig. Einen Großteil der Schuldtitel können die Zentralbanken unverzinst übernehmen - gegebenenfalls auch Staatsfonds. Vorteilhaft ist, wenn die Notenbanken auf Gegenseitigkeit ausländische Schuldtitel hereinnehmen. Dies kann der Anfang eines Regimes (wieder) fester Wechselkurse werden. Denn um einen Vermögensverlust zu vermeiden, hat jede Zentralbank ein Interesse daran, daß die fremde Währung nicht abwertet. Und überdies erhalten die Zentralbanken derjenigen Länder, die große Defizite in der Zahlungsbilanz haben, nun internationale Liquidität, um diese Defizite zu finanzieren. Ein anderer Teil der Schulden kann bei den Finanzunternehmen untergebracht werden: Hierbei ist ähnlich wie bei gesetzlichen Mindestreserven vorzugehen: Die Banken werden im Rahmen des Abkommens zu einer Zwangsanleihe zu niedrigen Zinsen verpflichtet. Der Handel mit den verbleibenden Wertpapieren ist durch eine Umsatzsteuer zu beschränken.

Die Konjunkturkrise ist noch nicht ausgestanden. Weitere Programme werden notwendig. Die zusätzliche Verschuldung darf nicht an Defizitkriterien scheitern. Der Wirtschafts- und Finanzausschuß der EU (WFA) taxiert das Konjunkturdefizit der EU-Länder (Konjunkturprogramme und Ausgleich von Steuerausfällen) für das Jahr 2010 auf 4,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der EU. Dazu kommen sechs Prozent an Defiziten der EU-Staaten zur Bankensanierung (FTD vom 9. Februar). Eine Ausstiegsstrategie (keine weiteren Staatsdefizite), wie dies der WFA vorschlägt, wäre für das Wachstum die Katastrophe. Ebenso unsinnig ist eine Schuldenbremse im Grundgesetz. Nicht das ist der Ausweg, sondern die solide Unterbringung der Schulden, ihre Konsolidierung.

Die dritte Aufgabe ist der Schuldendienst: Dieser kann im Rahmen der Schuldenkonsolidierung niedrig gehalten werden. Klarzustellen ist: Der Schuldendienst belastet nicht einfach die kommenden Generationen. Nicht das ist entscheidend, sondern wer die Zinszahlungen bekommt, wer die Steuern zahlt und wer auf öffentliche Leistungen, so z.B. Altersrenten, verzichten muß. Das ist aktuelle Aufgabe der Gesetzgebung. Massenkonsum und Sozialstaat müssen gestärkt werden. Dies, weil so Wachstumsstabilisierung durch Staatsverschuldung vermieden werden kann - und weil es gerecht ist.

Die deutsche Regierung hat von all dem, von einem Konjunkturprogramm der EU, von einer soliden Unterbringung der Staatsschulden weltweit, und von der Finanzierung des Schuldendienstes, nichts begriffen. Sie hat den Überblick verloren. Nobelpreisträger Paul Krugman hat recht, wenn er der deutschen Regierung Holzköpfigkeit und einen Mangel an intellektueller Beweglichkeit vorwirft. Ob wohl der neue Wirtschaftsminister Guttenberg die internationale Bedeutung der Frage rafft? Er soll sich ja in der Außenpolitik auskennen.

Von Herbert Schui

junge Welt, 18. Februar 2009