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Ein Arbeit in blauer Latzhose und mit gelbem Helm in der Hand läuft durch eine Werkhalle © iStock/gilaxia

Tarifbindung schützen – Tarifflucht erschweren

Nachricht von Pascal Meiser,

Tarifverträge sorgen für gute Arbeitsbedingungen und höhere Löhne. Beschäftigte, deren Arbeitsverhältnisse durch einen Tarifvertrag geregelt sind, stehen besser da als Beschäftigte in Betrieben ohne Tarifbindung. Tarifverträge werden in der Regel von den Gewerkschaften kollektiv ausgehandelt und regeln für die Beschäftigten Arbeitszeit, Entgelt und zahlreiche weitere Ansprüche. Insbesondere Flächentarifverträge verhindern Schmutzkonkurrenz und garantieren für alle Betriebe einer Branche die gleichen Vorrausetzungen. Statt über Lohndumping wird der Wettbewerb über Einfallsreichtum und Qualität ausgetragen.

Doch alle bisher bekannten Untersuchungen belegen eine anhaltende Talfahrt der Tarifbindung in Deutschland. „Immer mehr Unternehmen begehen Tarifflucht, entziehen sich so ihrer sozialen Verantwortung und verschaffen sich schmutzige Wettbewerbsvorteile gegenüber denjenigen Konkurrenten, die nach Tarif zahlen“, beklagt Pascal Meiser, gewerkschaftspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, und warnt: „Das ist eine gefährliche Entwicklung, die den sozialen Frieden in unserem Land ernsthaft gefährdet. Die Stärkung der Gewerkschaften und die Erhöhung der Tarifbindung sind daher von zentraler Bedeutung.“

Einer der wirksamsten Hebel zur Stärkung der Tarifbindung ist, Tarifverträge für alle Unternehmen der jeweiligen Branche für allgemeinverbindlich zu erklären. So werden nicht nur die Beschäftigten vor Lohndumping geschützt. Auch die Unternehmen, die anständige Tariflöhne zahlen, werden so vor Schmutzkonkurrenz wirksam geschützt. 

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die zuständigen Landesbehörden können zwar Tarifverträge, die zuvor frei zwischen den zuständigen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden ausgehandelt wurden, für allgemeinverbindlich erklären. Doch noch immer gibt es dabei viel zu hohe Hürden.

Die Fraktion DIE LINKE hat deshalb im Deutschen Bundestag konkrete Vorschläge gemacht, mit denen die Tarifbindung gestärkt werden kann. Wir brauchen zum einen dringend eine wirksame Reform des Tarifvertragsgesetzes, um die Blockademöglichkeiten der Arbeitgeberverbände bei der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen abzuschaffen. 

Darüber hinaus muss die Tarifflucht der Arbeitgeber erschwert sowie dringend ein Tariftreuegesetz auf Bundesebene eingeführt werden. Öffentliche Aufträge dürfen nur an Unternehmen vergeben werden, die ihren Beschäftigten die branchenüblichen Tariflöhne zahlen. Denn mit Steuergeld darf kein Lohndumping betrieben werden.

Fakten – Erosion des Tarifvertragssystems

Im Schnitt erhielten im Jahr 2019 Vollzeitbeschäftigte mit Tarifvertrag rund 18 Prozent mehr Lohn als Vollzeitbeschäftigte ohne Tarifvertrag, zeigen Daten des IAB-Betriebspanels. Doch immer mehr Beschäftigte arbeiten in Betrieben, in denen nicht nach Tarif gezahlt wird. Im Jahr 2019 waren zuletzt nur noch 27 Prozent der Betriebe tarifgebunden. Allein seit 2010 ist der Anteil der Beschäftigten, die noch unter den Schutz eines Tarifvertrages fallen, so um 6 Prozentpunkte auf inzwischen nur noch 52 Prozent gesunken. 

  • TOP 4 der Wirtschaftszweige mit den meisten nicht tarifgebunden Unternehmen im Jahr 2019:
    • Information & Kommunikation (94%); 
    • Unternehmensnahe Dienstleistungen (84%);
    • Verkehr und Lagerei (84%);
    • Einzelhandel (80%). 
  • TOP 4 der Wirtschaftszweige, in denen die meisten Beschäftigten in nicht-tarifgebundenen Unternehmen arbeiteten, im Jahr 2019:
    • Information & Kommunikation (83%); 
    • Einzelhandel (73%);
    • Großhandel, KfZ-Handel (67%); 
    • Landwirtschaft u.A. (67%).

Der Osten bleibt weiter abgehängt

Während im Westen der Anteil der nicht tarifgebundenen Betriebe bereits auf 71 Prozent (47 Prozent der Beschäftigten) im Jahr 2019 gestiegen ist, sind es im Osten sogar schon 80 Prozent (55 Prozent der Beschäftigten).

  • In Thüringen (82%) und Sachsen (82%) war der Anteil der nicht tarifgebundenen Betriebe im Jahr 2019 am Höchsten
  • In Sachsen (57%), Thüringen (56%) und Mecklenburg-Vorpommern (56%) war der Anteil der Beschäftigten in nicht tarifgebundenen Betrieben im Jahr 2019 am Höchsten

Problem - Tarifflucht

Unternehmen flüchten sich auf teilweise tollkühne Weise aus den Tarifverträgen, nur um zu Lasten ihrer Beschäftigten ihre Profite zu steigern. Aktuell ist zum Beispiel die Buchkette Thalia in den Schlagzeilen, die mit dem Übergang der Thalia Buchhandlung Berlin GmbH zur Thalia Buchhandlung Nord GmbH und dem Wechsel in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung (OT-Mitgliedschaft) beim Handelsverband Deutschland (HDE) aus dem Tarifvertrag ausstieg. 

2015 wandelte die damalige Metro-Tochter Real in der laufenden Tarifrunde im Einzelhandel ihre Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband in eine so genannte OT-Mitgliedschaft um und stieg so mit sofortiger Wirkung aus dem Flächentarifvertrag für den Einzelhandel aus. 

Die Gilde Brauerei in Hannover ist ein weiteres negatives Beispiel, wo mittels Betriebsübergang zur TCB Beteiligungsgesellschaft mbH gezielt Tarifflucht begangen wurde. 

Unsere Forderungen

Tarifbindung schützen – Tarifflucht erschweren

Die angeführten Beispiele verdeutlichen, dass die kollektive Fortgeltung von Tarifverträgen im Falle der Umwandlung von Unternehmen - insbesondere der Verschmelzung mit einem oder mehreren Unternehmen und der Spaltung eines Unternehmens in Form der Aufspaltung, der Abspaltung oder der Ausgliederung – und im Falle des Betriebsüberganges eines Betriebes oder Betriebsteils auf einen anderen Inhaber sichergestellt und der Wechsel der Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband hin zu einer OT-Mitgliedschaft verhindert werden müssen. Dafür setzt sich die Fraktion DIE LINKE im Bundestag konsequent ein (siehe Antrag „Tarifbindung schützen – Tarifflucht erschweren). Aber vor allem müssen nicht nur diejenigen Unternehmen, die bereits tarifgebunden sind, im Tarifvertrag gehalten werden. Die Tarifbindung muss auch darüber hinaus wieder erhöht werden, damit wieder mehr Arbeitgeber nach Tarif entlohnen.

Tarifbindung stärken – Allgemeinverbindlicherklärung erleichtern

Neben Maßnahmen zur Verbesserung der Verhandlungsmacht der Gewerkschaften kommt dabei dem Instrument der Allgemeinverbindlicherklärung, also der Erstreckung eines Tarifvertrages auf eine ganze Branche, eine zentrale Bedeutung zu.

Doch die derzeit geltenden engen rechtlichen Rahmenbedingungen für einen solchen Erlass durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die zuständigen Landesbehörden sowie die Möglichkeiten der einseitigen Blockade der Allgemeinverbindlicherklärung durch die Arbeitgeberseite machen es zurzeit schwer, auf diesem Wege tatsächlich die Tarifbindung zu erhöhen.

Deshalb braucht es zunächst erleichterte Voraussetzungen für den Erlass einer Allgemeinverbindlicherklärung. Es muss künftig als Begründung für eine Allgemeinverbindlicherklärung genügen, dass sie die Funktion der Tarifautonomie und des Tarifvertragssystems stabilisieren kann, auf diesem Wege angemessene Entgelt- und Arbeitsbedingungen erreicht werden oder soziale Standards gesichert und Wettbewerbsverzerrungen verhindert werden können.

Wie schon bis zu einer Gesetzesänderung im Jahr 2014 möglich, soll zukünftig der Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung auch von nur einer der beiden Tarifvertragsparteien gestellt werden können. 

Durch eine veränderte Zusammensetzung und Beschlussfassung des Tarifausschusses muss zudem verhindert werden, dass eine einseitige Blockade der Allgemeinverbindlicherklärung durch die Spitzenorganisationen der Arbeitgeber im Tarifausschuss möglich ist. Wir wollen, dass dazu die den Tarifvertrag abschließenden Parteien in die Entscheidung einbezogen und Anträge nur noch mit Mehrheit im paritätisch besetzten Tarifausschuss abgelehnt werden können. Einen entsprechenden Antrag „Tarifbindung stärken – Allgemeinverbindlicherklärung erleichtern“ hat die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag eingebracht und zur Debatte gestellt.

Kein Lohndumping mit Steuergeld – öffentliche Aufträge an die Zahlung von Tariflöhnen koppeln

Die öffentliche Hand ist bei einem Umfang von etwa 500 Milliarden Euro jährlich größte Nachfragerin von Gütern und Dienstleistungen in Deutschland. Damit hat sie eine nicht zu unterschätzende Marktmacht, die sie auch im Sinne des Allgemeinwohls geltend machen kann und muss. 

Diese Marktmacht kann die öffentliche Hand insbesondere nutzen, um der anhaltenden Tarifflucht, die quer durch alle Wirtschaftszweige und alle Betriebsgrößen zu beobachten ist, entgegenzuwirken, das Tarifsystem zu stärken und somit gute Arbeitsbedingungen und faire Löhne zu fördern.

Deshalb fordert die Fraktion DIE LINKE im Bundestag, dass Aufträge von allen öffentlichen Auftraggebern des Bundes nur noch an Unternehmen vergeben werden, die sich bei der Angebotsabgabe verpflichten, ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei der Ausführung des Auftrags mindestens die Entlohnung (inklusive Überstundensätze, Zulagen und Zuschläge) nach den Regelungen des Tarifvertrags zu gewähren, der am Ort der Erbringung der Arbeitsleistung anwendbar und maßgeblich ist. Die gleichen Verpflichtungen müssen auch für Unterauftragnehmer gelten und der Hauptauftragnehmer muss für die Einhaltung dieser Verpflichtungen gegenüber dem Auftragsgeber haften.

Es ist höchste Zeit, dass der Bund seiner Verantwortung gerecht wird und dafür sorgt, dass die öffentliche Auftragsvergabe auf Bundesebene zu einer Stabilisierung des Tarifvertragssystems beiträgt, statt weiter mit Steuermitteln Lohndumping und unfairen Wettbewerb zu befördern.