Zum Hauptinhalt springen
Eine erschöpfte Pflegekraft lehnt an der Wand eines Flurs im Krankenhaus. Foto: © istock.com/FangXiaNuoFoto: istock.com/FangXiaNuo

Pflegenotstand und kein Ende?

Im Wortlaut von Pia Zimmermann, Sahra Wagenknecht,

Wir sprachen vor einem Jahr zum Tag der Pflege schon einmal über den Pflegenotstand. Was hat sich seitdem verändert?

Sahra Wagenknecht: Der Pflegenotstand hat sich weiter verschärft. Ich merke aber auch, wie sich die Wut der Pflegekräfte, der Pflegebedürftigen und der Angehörigen zunehmend Gehör verschafft. Wir waren alle Zeugen, wie ein junger Azubi in der Krankenpflege die Kanzlerin im Wahlkampf mit den Missständen in der Pflege konfrontierte und damit eine große Öffentlichkeit erreicht hat.

Pia Zimmermann: Alexander Jorde sprach vor zwei Wochen auf unsere Einladung hin auch als Einzelsachverständiger in einer Anhörung des Gesundheitsausschusses. Dort ging es um unsere Forderungen nach Sofortmaßnahmen gegen den Pflegenotstand. Er beschrieb anschaulich, woran es mangelt und was zu tun sei, und konnte seine Kritik mit aktuellen Zahlen untermauern. Leider sind die Verantwortlichen in der Regierung weitgehend beratungsresistent und versuchen, den flächendeckenden Notstand in der Pflege mit Trostpflastern zu bekämpfen.

Das klingt ja nicht sehr optimistisch. Dabei ist von der Pflegemisere doch in allen Medien und auch in den Auftritten des neuen Gesundheitsministers die Rede.

Pia Zimmermann: Viel versprochen wird schon lange. Am Ende hat sich leider wenig getan. Die Arbeitsverdichtung wächst und Leiharbeitsverhältnisse nehmen zu. Pflegekräfte sind überdurchschnittlich oft krank. Familien mit Pflegebedarf zahlen mehr, während die Versorgung schlechter wird. Im Koalitionsvertrag ist von einer "Pflegeoffensive" und von einem "Masterplan Pflege" die Rede. Klingt ganz gut, aber wer soll das bezahlen? Wieder die Normalverdiener mit ihren Pflegeversicherungsbeiträgen? Oder endlich auch die Besserverdienenden und Vermögenden, indem sie in die Pflegeversicherung einzahlen. Da fühlt man sich von den Koalitionsversprechen doch verschaukelt.

Sahra Wagenknecht: Die GroKo weiß, dass die Finanzierung der Pflege umgebaut werden muss. Die Mehrheit der Bevölkerung würde davon profitieren. Eine Pflegeversicherung, die dazu führt, dass Menschen am Ende auf Sozialhilfe angewiesen sind, wollen die meisten Menschen nicht. Das betrifft ja nicht nur die pflegebedürftigen alten Menschen, sondern auch ihre Angehörigen, die von der Politik viel stärker unterstützt werden müssen. Gute Pflege darf es nicht nur für Reiche geben, sondern für alle Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind. Mit einer anderen Steuer- und Sozialpolitik wäre dies auch finanzierbar. Es ist doch bezeichnend, dass eine Mehrheit in der Bevölkerung eine Vermögenssteuer für sehr Reiche befürwortet. Außerhalb der LINKEN hat jedoch keine einzige Partei den Mut, eine entsprechende Steuer zu fordern.

Viele Menschen haben Angst, im Alter auf Pflege angewiesen zu sein…

Sahra Wagenknecht: Natürlich fürchtet jeder Mensch, nicht mehr selbständig leben zu können. Noch schlimmer aber ist, fürchten zu müssen, notwendige Unterstützung in dieser Zeit nicht erhalten oder nicht bezahlen zu können. Pflege kann jede und jeden doch sehr schnell betreffen, auch als Angehörige. Und die Unsicherheit der Menschen wächst mit jeder Reform. Sie brauchen nicht noch mehr Gesetze und Verordnungen, die sowieso keiner mehr versteht. Sie brauchen gute Pflegeangebote sowie motivierte, gut ausgebildete und gut bezahlte Pflegekräfte. Stattdessen erleben die Menschen, dass Pflegekräfte den Beruf verlassen und vieles schlechter, vor allem auch teurer wird.

Pia Zimmermann: Ja, das stimmt, die Kosten für die Pflege steigen dramatisch. Das liegt auch an den sogenannten Pflegestärkungsgesetzen aus den vergangenen Jahren. Vor allem die Eigenanteile für Menschen in Pflegeheimen steigen drastisch. Bis zu 700 Euro müssen die Leute im Monat mehr an Heimkosten bezahlen. DIE LINKE hat dagegen einen Antrag (PDF) in den Bundestag eingebracht, in dem eine Deckelung der Eigenanteile gefordert wird. Das wäre ein erster Schritt in die Pflegevollversicherung, die wir als einzige Fraktion anstreben. Alle pflegebedingten Leistungen sollen von der Pflegeversicherung bezahlt werden, weil gute Pflege nicht vom Geldbeutel abhängig sein darf. Familien mit Pflegebedarf dürfen nicht gegen Pflegekräfte ausgespielt werden, indem behauptet wird, wegen tariflicher Bezahlung der Pflegekräfte müssten die Heimkosten steigen. Zu unserem Antrag wird es am 04. Juni eine öffentliche Anhörung im Gesundheitsausschuss geben. Das ermutigt hoffentlich zu weiteren Aktionen – auch über den Tag der Pflege hinaus.