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Optimisten am Werk

Im Wortlaut von Herbert Schui,

Das Herbstgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute sagt für Deutschland im kommenden Jahr ein Wachstum von zwei Prozent voraus. Wie sicher ist diese Prognose? Im ersten Halbjahr 2010 sieht es nicht schlecht aus. Hier haben die Exporte die Konjunktur vorangebracht: Die Ausfuhren haben von Januar bis Juni 2010 gegenüber dem selben Zeitraum 2009 um rund 70Milliarden Euro zugenommen. Das sind knapp drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

Welche Länder haben ihre Nachfrage nach deutschen Produkten um diese Summe gesteigert? Die der EU waren mit 30 Milliarden Euro beteiligt. Das ist weniger als der übliche Anteil von etwa zwei Dritteln am deutschen Gesamtexport. Für die übrigen 40 Milliarden haben unter anderem die USA (3,8), China (9,1) und die südostasiatischen Schwellenländer (5,3) in Deutschland eingekauft. Ob das allerdings so bleibt, hängt von deren Wachstum ab und davon, ob die deutsche Industrie mit niedrigen Preisen Terrain dazugewinnen kann. Allerdings: Weitere Lohnkostensenkungen mindern die Konsumkraft der abhängig Beschäftigten im Lande. Das dämpft das Wachstum.

Bei aller Euphorie aber über die Ausfuhren nach Asien – entscheidend sind immer noch die Exporte in die EU. Und da darf nicht viel erwartet werden. Denn erstens wird das Wachstum dieser Länder (ohne Deutschland) bei einem Prozent liegen – so die Prognose. Damit wird sich deren Bedarf an deutschen Waren in Grenzen halten. Wenn aber– zweitens – die Konjunktur dort lahmt, dann werden die Investitionen in den betreffenden Ländern kaum zunehmen. Zu beachten ist, daß in den EU-Ländern die Investitionen vom ersten Halbjahr 2009 zu den ersten sechs Monaten 2010 um rund 36 Milliarden gesunken sind– wenngleich sich die Lage im zweiten Quartal 2010 etwas verbesserte. Drittens gaben die ausländischen Käufer von den zusätzlichen 70 Milliarden Euro 31,8 Milliarden für Investitionsgüter und 28 Milliarden für Vorleistungen, zumeist für Komponenten von Investitionsgütern, aus. Wenn aber die Investitionen in den europäischen Partnerländern stagnieren, dann hemmt das den Export von Investitionsgütern und Vorleistungen. Viertens: Im ersten Halbjahr 2010 sind die Exporte Deutschlands trotz der sinkenden Investitionen in den EU-Ländern gestiegen, weil die Produkte billiger waren, weil in Deutschland die Löhne langsamer gestiegen sind als die Arbeitsproduktivität. Die hiesige Industrie wird aus diesem Wettbewerbsvorteil nicht unbegrenzt Kapital schlagen können. Denn je mehr der Marktanteil durch niedrige Preise erhöht werden soll, umso häufiger stößt man auf Konkurrenten, die ebenso billig anbieten. Allemal sind die Ausfuhren im August und Juli 2010 gegenüber dem Vormonat um 0,4 bzw. 1,6 Prozent gesunken. Darüber, ob dieser Trend sich verstetigt, wird wahrscheinlich in der Frühjahrsprognose 2011 zu lesen sein.

 

Von Herbert Schui

junge Welt, 15. Oktober 2010