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Mehr Macht den Mitarbeitern

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Herr Lafontaine, wie beurteilen Sie die Renaissance des Stamokap, des staatsmonopolistischen Kapitalismus, der nun sogar Banken in Besitz nimmt?

Im Gegensatz zu anderen Regierungen verstaatlicht die Bundesregierung die Banken nicht. Sie hat sogar Angst, das Geld der Steuerzahler, das sie den Banken gibt, zur Einflussnahme auf die Unternehmenspolitik zu nutzen.

Sie meinen den Umgang mit der Commerzbank?

Ja. Man gibt viele Milliarden, beteiligt sich aber nur in geringem Umfang und ist noch stolz darauf, auf die Geschäftstätigkeit keinen Einfluss zu nehmen. Das ist unverantwortlich. Die Bundesregierung erklärt immer, ihr wichtigstes Anliegen sei es, das Interbankengeschäft wieder in Gang zu bringen. Sie weigert sich aber, die dafür nötigen Schritte zu unternehmen.

Welche wären das denn?

Bis heute hat die Regierung nichts gegen Zweckgesellschaften, Kreditverbriefungen oder Hedgefonds, also gegen die Massenvernichtungswaffen auf den Finanzmärkten, unternommen. Damit besteht die Gefahr, dass unsere Steuermilliarden am Ende auch noch im Casino landen. Die Bundesregierung hat keine Lehren aus der Pleite der IKB und der Schieflage bei HRE gezogen. Wie viele Milliarden müssen eigentlich noch versenkt werden, bis die Regierung Merkel bereit ist, das spekulative Treiben der Banken zu beenden?

Müsste der Staat sich auch an kriselnden Wirtschaftsunternehmen, zum Beispiel der Autobranche, beteiligen, wenn dort große Zusammenbrüche drohen?

Er muss helfen, aber nach unserer Auffassung sollten in erster Linie Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge, dazu zählen auch die Banken, in öffentlichem Besitz sein. Für Wirtschaftsunternehmen, die der Marktkonkurrenz unterliegen, gilt das nicht.

Aber wie kann denen in der Krise geholfen werden?

Wenn das im Einzelfall nötig ist, gilt wieder der Grundsatz: Wenn Geld der Steuerzahler eingesetzt wird, muss das mit Einfluss auf die Geschäftspolitik verbunden werden. Grundsätzlich aber setzen wir als Linke auf die Belegschaftsbeteiligung. Die Mitarbeiter haben das größte Interesse an einer gesunden Zukunft ihres Unternehmens. Sie gewährleisten eher sachgerechte Entscheidungen als die staatliche Bürokratie. Steuergelder sollten also zum Beispiel in der Autoindustrie dazu verwandt werden, die Belegschaftsbeteiligung nach vorne zu bringen. Das wäre auch das beste Mittel gegen den schädlichen, ständigen Anteilseignerwechsel insbesondere bei den Zulieferern, die die Unternehmen aussaugen und zu Pleiten führen.

An welche Förderinstrumente denken Sie?

Sofort umsetzbar wäre zum Beispiel unser Vorschlag, die Erbschaftssteuer dann nicht zu erheben, wenn die zu zahlende Steuer in Belegschaftsanteile umgewandelt wird. Ab einer bestimmten Unternehmensgröße muss auch der Zuwachs des Betriebsvermögens nicht mehr allein den Anteilseignern zufließen, sondern auch denen, die den Zuwachs erarbeitet haben. Das sind die Mitarbeiter.

Morgen will die Koalition ein zweites Konjunkturprogramm beschließen. Was sind Ihre wichtigsten Anforderungen an solch ein Programm?

Angesichts des starken Rückgangs der Gesamtnachfrage, sowohl im Export als auch im Inland, muss der Staat die Nachfrage stützen. Das geht nur über massive öffentliche Investitionen.

Das hat die Koalition ja vor.

Ja, aber in viel zu geringem Umfang. Da ist von zehn, maximal 15 Milliarden die Rede. Andere Staaten, vor allem die USA oder China, tun viel mehr. Allein der Nachholbedarf Deutschlands bei öffentlichen Investitionen in Bildung und Infrastruktur liegt im Vergleich mit den anderen Industriestaaten bei jährlich 50 Milliarden Euro. Außerdem muss der Staat die Haushalte stärken, die das Geld ausgeben. Das ist vor allem die Hälfte der Menschen, die Union und FDP grundsätzlich nie im Visier haben, nämlich diejenigen, die keine Lohn- und Einkommensteuer zahlen. Also Rentner, Hartz-IV-Empfänger und Arbeitnehmer mit geringen Einkommen, das ist mittlerweile jeder vierte Arbeitnehmerhaushalt.

Das bedeutet konkret?

Das bedeutet die Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes auf 435 Euro. Das würde sieben Milliarden Euro kosten, also weitaus weniger als die Stützung der Commerzbank. Hier sieht man schon die totale soziale Schieflage des Handelns von Merkel und Steinmeier. Zweitens eine Anhebung der Renten um vier Prozent und drittens die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns, die den Staat noch nicht einmal etwas kosten, sondern ihm etwas bringen würde.

Das Gespräch führte Holger Schmale.

Berliner Zeitung, 12. Januar 2009