Zum Hauptinhalt springen

Im Fokus von Kulturkritik und Marktinteresse

Im Wortlaut von Lothar Bisky,

Computerspiele als massenmediales Produkt der Populär- und Alltagskultur

Im Fokus der gegenwärtigen Kulturkritik stehen Computerspiele - speziell so genannte „Killerspiele“, deren Verbot vom Bayerischen Innenminister Beckstein vehement eingefordert wird. Er erblickt in ihnen eine maßgebliche Ursache für Amok und Gewalt an Schulen. Dabei verkennt er, dass es sich hier längst um eine massenmediale Erscheinung der Populär- und Alltagskultur handelt. Allein die Spiele-Community des von ihm besonders inkriminierten Spiels Counter Strike wird in Deutschland auf 500.000 Spieler und Spielerinnen (Stand: 2003) geschätzt. Die allermeisten von ihnen - zumeist männliche Jugendliche - sind ihrem Selbstbildnis nach keine Militaristen, sondern Teilnehmer eines vernetzten Geschicklichkeits- und Taktikspiels. Unter ihnen gibt es sogar ein gewisses, wenngleich wohl kleines, gegenkulturelles Potential. Das lässt sich anhand von per Tastendruck erstellten und für alle Nutzerinnen und Nutzer sichtbaren Spraylogos auf Böden und Wänden virtueller Kampfgebiete erkennen. Hier gibt es auch Spraylogos gegen Bushs „War on Terrorism“.

Der in der Verbotsdebatte oft behauptete wissenschaftliche Nachweis eines Konnexes von virtuellem Spiel und realer Gewalt ist ein Mythos. Ein näherer Blick auf den wissenschaftlichen Diskurs zeigt, dass dieser vorwiegend von den sich als positive Wissenschaften verstehenden Disziplinen geführt wird. Auffällig ist ein Zurückbleiben von kulturwissenschaftlichen Erklärungsansätzen. Von Experten wird klinischen und empirischen Befunden entgegengehalten, dass zwar der Nachweis von Veränderungen individueller Erregungsniveaus sowie affektiver und kognitiver Prozesse plausibel sei, nicht aber deren damit in Zusammenhang gebrachte Eindeutigkeit in der Interpretation. Umstritten ist insbesondere das Ursache-Wirkungsverhältnis des in korrelativen Studien gefundenen Zusammenhangs zwischen Nutzungsart und -dauer von gewalthaltigen Computerspielen und einer gesteigerten Gewaltbereitschaft von untersuchten Spielern. Wahrscheinlicher als eine ursächliche Wirkung scheint demnach das Vorliegen einer Verstärkung von Prädispositionen zu sein. Von der seriösen positiven Forschung übrigens wird dieser Befund geteilt.

In der Debatte ist jüngst auch das System der Alterskennzeichnungen durch die „Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle“ (USK) in die Kritik geraten. Ihr wurden mangelnde Transparenz und methodische Mängel in den Begutachtungsverfahren unterstellt. Die Alterseinstufungen - so der Vorwurf - würden das Ausmaß der gespielten Gewalt teilweise unzulänglich erfassen, da die USK-Gutachter die Spiele nicht selbst durchspielten, sondern ihnen dies von bezahlten Spieletestern abgenommen werde. Ein Blick auf die besonders inkriminierten Spiele zeigt jedoch, dass diese von der USK immer schon indiziert oder allenfalls ab 16 freigegeben wurden. Unterhalb der Indizierungsschwelle bleiben vor allem speziell entschärfte deutsche Versionen, die auf Splattereffekte verzichten und von den meisten Publishern aktueller Kampfspiele angeboten werden

Eine Herabsetzung der Indizierungsschwelle erscheint, ebenso wie verschärfte Kontrollen auf Einhaltung und Durchsetzung dieser Kennzeichen im Handel, schon deshalb als problematisch, da solche Spiele natürlich nicht immer an der Ladentheke erworben, sondern oft unter der Hand und in Peer-to-Peer-Tauschbörsen weitergegeben werden oder gar wie im Falle von America’s Army - ein von der US-Army produziertes und kostenlos verbreitetes „Killerspiel“- im Netz zum freien Download bereitstehen. Von den Verfechtern eines Verbots solcher Spiele wird daher in Konsequenz auch die Ausweitung der Überwachung des Netzes mittels verdachtunabhängiger Kontrollen durch die „Cyber-Police“ (Beckstein) und das Eindringen von Polizei- und Nachrichtendiensten in Online-PC’s gefordert.

Die LINKE lehnt eine prohibitive Politik im Umgang mit gewalthaltigen Computerspielen ab. Ein solcher Weg beraubt sich der Möglichkeit, Einfluss auf Jugendliche und ihre Spielewelten nehmen zu können. Auch verschließt er die Augen vor einer sehr viel schwierigeren sozialen Realität. Ursächlich für Gewalt und Amok ist nicht der Konsum von gewalthaltigen Computerspielen, sondern ein komplexes Bedingungsgefüge bestehend aus sozialen, psychologischen und familiären Komponenten. Neben den Aspekten soziale Isolation, Leistungsdruck, Schulversagen, Zukunftsangst, psychosoziale Kränkung oder Entwurzelung sind für ein angemessenes Verständnis von Wirkzusammenhängen auch die Mechanismen von kompensierender Gewalt und - last not least - der Zugang zu realen Waffen näher zu betrachten.

Das heißt keineswegs, dass es einer Stärkung des präventiven Jugendschutzes nicht bedürfte. Von entscheidender Bedeutung für eine zukunftsorientierte Kinder- und Jugendmedienarbeit ist die Vermittlung von Medienkompetenz. Kinder und Jugendliche müssen lernen, mit virtuellen Welten umzugehen und Risiken abzuschätzen. Die Bildung eines kritischen Verstandes und die Fähigkeit, Realität und Vision zu unterscheiden, ist unabdingbare Voraussetzung für eine moderne Medienpädagogik. Die natürlichen Orte dazu sind Kindergärten, Horte und Schulen. Die Vermittlung von Medienkompetenz gehört somit auch in die Ausbildungsinhalte von Erziehern, Lehrern und Sozialpädagogen. Sie bildet eine Schlüsselkompetenz für die Herausforderungen des digitalen Medienzeitalters.

Die LINKE ist sich bewusst, dass dies in der medienpädagogischen Diskussion weitgehend unstrittig ist. Sie fordert von der alleinigen Konstatierung des Sachverhalts überzugehen zu einer nachhaltigen öffentlichen Finanzierung solcher Aufgaben. Dazu muss die Spar- und Privatisierungspolitik im Bildungswesen aufgegeben und in einem erheblichen Maße zusätzliche öffentliche Gelder bereitgestellt werden.

Damit ist ein zweiter Aspekt anzusprechen: Als Produzenten und Produzentinnen von Populärkultur bilden die Unternehmen der Computer- und Videospielebranche heute einen wichtigen Wirtschafts- und Beschäftigungsfaktor. In Deutschland betrug ihr Umsatz im Jahr 2006 etwa 1,2 Mrd. Euro. Nach Angaben des BIU (Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware) war die digitale Spielebranche im genannten Jahr das am stärksten wachsende Segment der Medienwirtschaft. Sie gehört zu den so genannten Creative Industries, die von neoliberalen Vordenkern als die künftigen Wachstumspole wissensbasierter Ökonomien angesehen werden. Zugleich gilt die deutsche Spieleindustrie gegenüber Ländern wie Japan und den USA, aber auch Frankreich oder Kanada als wirtschaftlich und technologisch rückständig. Das weckt Begehrlichkeiten bei einheimischen Unternehmern und Standortpolitikern.

Medienförderungsmodelle nach dem Muster der gegenwärtig praktizierten Filmförderung lehnt die LINKE ab. Deren Beispiel zeigt, dass eine Förderung nach künstlerischen Kriterien heute kaum noch stattfindet. Dass sie zudem immer mehr den bereits Erfolgreichen zugute kommt und die Rückführung öffentlicher Förderungsgelder bei marktgängigen Filmen durch ein ausgeklügeltes System von Verleihgarantien und Rückführungsquoten oft ausgeschlossen ist. Förderungswürdig jedoch erscheint uns die Einrichtung von Studiengängen für Game Design und Spieleentwicklung an öffentlichen Hochschulen. Bislang sind solche in Deutschland nur an wenigen privaten Studieneinrichtungen zu finden.

Neben der Frage guter Ausbildungsangebote geht es uns auch um die Sicherstellung von Arbeitnehmerinteressen von den in den Creative Industries abhängig und oft prekär Beschäftigten. Die vielfach geforderte Flexibilität und Dienstleistungsmentalität ist hier längst Realität. Arbeitszeiten bis zu 14 Stunden täglich und mehr sind dort selbst für untere Einkommensgruppen keine Seltenheit. Hier gilt es mittelfristig die Mindeststandards des Arbeitszeitgesetzes und des Arbeitsschutzes zu etablieren sowie kurzfristig zumindest Freizeit- oder Gehaltskompensationen für geleistete Überstunden durchzusetzen.

Aus dem skizzierten Bedingungsgefüge ergeben sich aus Sicht der LINKEN zwei Schlussfolgerungen: Erstens Gelassenheit gegenüber theoretischen Positionen der Kulturkritik, verbunden mit entschiedener Zurückweisung konkret politischer Verbotsbestrebungen. Zweitens Förderung des öffentlichen Bildungs- und Hochschulauftrags zur potentiellen Teilhabe aller an den Entwicklungen digitaler Technologien, verbunden mit einem ausdrücklichen Eintreten für Arbeitnehmerinteressen von allen in der Kultur- und Medienbranche abhängig Tätigen.

Von Lothar Bisky

Prof. Dr. Lothar Bisky, MdB, ist medienpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag

politik und kultur, Nr. 03/07