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Freihandelsabkommen gefährdet die Demokratie

Im Wortlaut von Klaus Ernst,

Klaus Ernst ist Leiter des Fraktions-Arbeitskreises Wirtschaft, Arbeit und Finanzen.

 

In dieser Woche findet die zweite offizielle Verhandlungsrunde zum geplanten Freihandelsabkommen (TTIP) zwischen der EU und den USA statt. Wie bewertet DIE LINKE das Abkommen?

Klaus Ernst: Ähnlich wie viele Menschen in Europa und in den USA lehnen wir das geplante Abkommen ab. Das TTIP wird weder Arbeitsplätze neu schaffen, noch das Einkommen der Mehrheit erhöhen. Ohnehin wird in den Verhandlungsrunden kein drängendes ökonomisches, soziales und ökologisches Problem annähernd gelöst werden können, im Gegenteil.

Wovor warnt die Linke?

Klaus Ernst: Das Abkommen gefährdet die Demokratie, da sich Entscheidungen der Parlamente hierüber einfach aushebeln lassen. Das Verhandlungsmandat entspricht zuallererst den Wünschen der Unternehmen und ihrer Lobbygruppen. Vielfach sind deren Positionen direkt in die Blöcke der Delegationen diktiert worden. Ihr Wunschzettel ist logischerweise sehr lang.

Nennen Sie uns Bereiche, um die verhandelt wird?

Klaus Ernst: Es geht von der Aufhebung von Importverboten für genmanipulierte Lebensmittel und Hormonfleisch bis zur Öffnung des Marktes für das öffentliche Beschaffungswesen und der Daseinsvorsorge, lascherer Regeln für Finanzdienstleister und den Verbraucherschutz bis zum Ausbau der Rechtsstellung von Unternehmen gegenüber Staaten. Hierzu dient unter anderem das Investor-Schiedsverfahren, das so genannte Konzern-Klagerecht gegen Staaten. Aktuell klagt etwa nach diesen Vorgaben der Energiekonzern Vattenfall gegen Deutschland auf Ausgleichszahlungen für den entgangenen Gewinn durch den Atomausstieg. Noch gibt es kein Recht für Konzerne auf Rendite, aber das geplante  Abkommen versucht dem näher zu kommen.

Welche politischen Ziele werden mit dem Abkommen verfolgt?

Klaus Ernst: Im Namen des „Freihandels“ sollen soziale wie ökologische Standards geschliffen werden. Es soll weniger Verbraucherrechte geben und die politische Agenda wird noch mehr von Konzernen und deren Lobbygruppen bestimmt. Ebenso dürfte die ökonomische Ungleichheit weiter wachsen und durch die ebenso im TTIP enthaltenen Forderungen nach mehr Freiheiten für die Finanzbranche wird die Krisenanfälligkeit der Finanzmärkte sich noch mehr erhöhen.

Diese Einschätzung entspricht so gar nicht der offiziellen Meinung in Politik und Medien zum TTIP. Behauptet wird, dass es mehr Wachstum und Wohlstand geben werde. Zeugt eine solch harsche Kritik nicht von wirtschaftspolitischem Unverständnis oder gar dem Wunsch nach Protektionismus?

Klaus Ernst: Diese Zuschreibungen sind böswillige Unterstellungen und der Versuch, ein Minderheiteninteresse der international agierenden Konzerne als Allgemeininteresse umzudeuten. Zunächst führt Wirtschaftswachstum nicht automatisch zum besseren Leben, zu guten Arbeitsplätzen und höheren Einkommen für die Mehrheit. Steigende Gewinne und Vermögen gehen in Europa und den USA längst einher mit sinkenden Arbeitseinkommen. Und das deutsche Exportwachstum bei Schwäche der Binnenwirtschaft ergibt nicht nur massive Ungleichgewichte und Probleme in Europa. Dieser unsägliche Zustand wird mittlerweile zum globalen ökonomischen und sozialen Problem, wie selbst der Internationale Währungsfonds aktuell feststellt.

Gehen Sie denn von einem verstärkten Wirtschaftswachstum durch das Abkommen aus?

Klaus Ernst: Das aus dem Freihandelsabkommen abgeleitet Wirtschaftswachstum und die behaupteten Wohlstandsgewinne sind ein frommer Wunsch. Alle veröffentlichten Zahlen sind Prognosen auf der Basis irrealer Annahmen von Forschungsinstituten mit enger Nähe zum Unternehmenslager. Oder diese Positionen sind reine Werbebotschaften finanzstarker Lobbygruppen, die seit Jahren für das TTIP trommeln und bestens vernetzt sind mit den Verhandlungsdelegationen auf beiden Seiten. Einer seriösen Analyse halten diese Behauptungen meist nicht stand. Es wird maßlos übertrieben, und die negativen Effekte werden kleingeredet oder verschwiegen.

Wäre es nicht sinnvoll, dass sich die beiden größten Wirtschaftsblöcke der Welt besser abstimmen und wirtschaftlich wie politisch enger zusammenrücken?

Klaus Ernst: Eine bessere internationale Abstimmung ist immer gut und wichtig. Gerade Die LINKE steht für Internationalismus und Solidarität zwischen den Völkern. Sinnvoll wären Abkommen zur Verhinderung von Sozial- und Lohndumping und der Unterschreitung von qualitativen Standards in der Umweltpolitik und im Verbraucherschutz u.a.m.  Mit dem TTIP lassen sich die Probleme in unseren Volkswirtschaften und Gesellschaften nicht lösen. Gewinner und Verlierer stehen dagegen bereits heute fest: Große Unternehmen und Finanzdienstleister würden ihre Geschäfte im jeweiligen Wirtschaftsraum einfacher machen können, weil für sie „hinderliche“ Standards gesenkt werden.

Welche Rolle spielt denn weiterhin die jeweils nationale Gesetzgebung?

Klaus Ernst: Die Gesetzgebung von Staaten, die den Spielraum von Konzernen einengen, wird ausgehebelt, ohne dass Parlamente oder gar BürgerInnen direkt Einfluss nehmen können. Die meisten Unternehmen und Menschen werden dabei verlieren. Denn sie sind auf den jeweiligen Binnenmarkt und die Region angewiesen, in der sie produzieren, arbeiten und leben. Nicht jeder kann für den Export produzieren und nicht alle Produkte und Dienstleistungen lassen sich beim Nachbarn absetzen. Besonders dann nicht, wenn die Masseneinkommen stetig sinken, die Investitionen zu gering sind, die Infrastruktur verfällt und die Arbeitsverhältnisse immer unsicherer werden. Was es einzig geben wird, ist ein massiver Verdrängungswettbewerb und eine wachsende soziale Ungleichheit.

Es gibt den Vorwurf, bei den Verhandlungen werde nur gemauschelt.

Klaus Ernst: Die Öffentlichkeit wird kaum informiert. Die Verhandlung umweht bewusst die Aura des Geheimen und wird durch einen kleinen „Kreis“ von Bürokarten gesteuert. Offiziell heißt es, nur so ließe sich die Strategie der EU geheim halten und die eigenen Interessen durchsetzen. Angesichts des „NSA-Skandals“ und massiven Wirtschaftsspionage aller am TTIP beteiligten Länder ist diese Aussage lächerlich. Die einzigen, die kaum etwas erfahren, ist die Öffentlichkeit. Diese Geheimniskrämerei ist jeder Demokratie unwürdig und inakzeptabel.

Was wird die Linke gegen das TTIP unternehmen?

Klaus Ernst: Wir werden uns unter anderem verstärkt um mehr Aufklärung und Transparenz bemühen und mit den Kritikerinnen und Kritikern des TTIP in Europa und den USA vernetzen. Natürlich wäre eine bessere  Abstimmungen und klare Abkommen zwischen den USA und der EU notwendig – nicht nur was den Datenschutz und das Verhalten der Geheimdienste betrifft. Ein wichtiger Ansatzpunkt wäre etwa die konsequente Bekämpfung der legalen Steuervermeidung und illegaler Steuerhinterziehung, wie sie die OECD fordert und eine strikte Regulierung der Finanzbranche. In Europa selbst müssen wir statt des TTIP zuerst unsere Hausaufgaben machen und die verfehlten Krisen- und Sparpolitik beenden. Ansonsten braucht man sich in den meisten Länder der EU keine Gedanken darüber zu machen, wie der Export in die USA sich entwickeln könnte. Die Krise in Europa wird schlicht keine ausreichende ökonomische Struktur hinterlassen, um auf Augenhöhe am internationalen Handel beteiligt zu sein.

linksfraktion.de, 13. November 2013