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Eurogamer wählt.. Petra Sitte

Im Wortlaut von Petra Sitte,

1. Haben Sie schon ein Computer- und Videospiel getestet? Und wenn ja, welches?

Ja, auch schon einen Ego-Shooter wie „Counter-Strike“ - allerdings nicht mit der dazu erforderlichen Zeit und Intensität. Das war eher ein Ausprobieren. Computerspiele gehören nicht zu meiner bevorzugten Freizeittätigkeit.

2. Sind Sie der Meinung, dass man Spiele vorher ausprobieren muss, um sie bewerten zu können?

Das ist sinnvoll. Nicht grundlos führt in Deutschland die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) Anwendertests durch. Andernfalls könnte sie ihrem Prüfauftrag für Computerspiele gar nicht nachkommen und wären Alterskennzeichnungen ins subjektive Belieben gestellt.

3. Was sagt ihre Partei zu Thema Computer- und Videospiele?

Wir betrachten Computer- und Online-Rollenspiele als massenmediale Erscheinungen einer Spiel- und Kommunikationskultur im Digitalzeitalter. Eine Verbotspolitik im Umgang mit gewalthaltigen Computerspielen sowie die Diffamierung der Entwicklerbranche und der Nutzerinnen und Nutzer sogenannter „Killerspiele“ lehnt DIE LINKE ab. Diese Position hat der Parteivorstand im Juli letzten Jahres mit dem Beschluss „Herausforderungen der digitalen Welt begegnen - Grundlagen für eine digitale Medienordnung schaffen“ einstimmig angenommen.

4. Wie ist ihre eigene Meinung?

Ich begrüße diesen Beschluss ausdrücklich.

5. Wo hören bei ihnen \\"vernünftige\\" Spiele auf und beginnen so genannte Killerspiele?

Es gibt sicherlich Unterschiede in der Qualität und in den Genres von Computerspielen. Was eine Unterscheidung zwischen „vernünftig“ und „unvernünftig“ bringen sollte, ist mir nicht ersichtlich.

6. Gibt es für sie Unterschiede zwischen der Suchtproblematik von Internet-Glücksspiel und Online-Rollenspielen wie World of WarCraft?

Beides ist unter dem Oberbegriff Medienabhängigkeit bzw. Computer- oder Online-Sucht zu erfassen. Hier suchtspezifisch zu differenzieren, macht in Hinsicht auf medizinische Diagnose, Behandlung und Therapie wenig Sinn.

7. Empfinden Sie den deutschen Jugendschutz als ausreichend?

Ja! Nicht ein vermeintlich unzureichender Jugendmedienschutz und der Konsum von gewalthaltigen Computerspielen sind ursächlich für Gewalt und Amok an Schulen, sondern ein komplexes Bedingungsgefüge bestehend aus sozialen, psychologischen und familiären Komponenten. Zu nennen sind soziale Isolation, Leistungsdruck, Schulversagen, psychosoziale Kränkung sowie die Mechanismen von kompensierender Gewalt und - last but not least - der Zugang zu realen Waffen. Diese Punkte bleiben in den aufgeregten Debatten um sogenannte „Killerspiele“ leider allzu oft unerwähnt.

8. Wie erklären Sie es sich, dass im restlichen Europa PEGI genutzt wird, während Deutschland auf ein eigenes System setzt? (PAN European Game Information - eine Kennzeichnung, die nur Altersempfehlungen gibt, aber die finale Verantwortung bei den Eltern sieht.)

Eine einheitliche Alterskennzeichnung in Europa wäre zu begrüßen. Dazu müssten nationale Befindlichkeiten überwunden werden.

9. Wie wichtig ist ihnen Medienkompetenz (der Eltern) und wie wollen Sie diese stärken?

Medienkompetenz bildet eine Schlüsselkategorie. Die Fähigkeit, Realität und Fiktion zu unterscheiden, ist Voraussetzung für eine moderne Mediensozialisation. Kinder und Jugendliche, aber auch Eltern und Erziehungsberechtigte sind gefordert, sich in elektronischen Medien selbstbestimmt zu orientieren und den Umgang mit Gefahren und schädlichen Inhalten zu erlernen. Die natürlichen Orte dazu sind Kindergärten, Horte und Schulen.

10. Welche Veränderungen würden Sie als Wahlsieger in punkto Neue Medien und Jugendschutz vornehmen?

Die Vermittlung von Medienkompetenz gehört in die Ausbildungsinhalte von Erzieherinnen, Lehrerinnen und Sozialpädagogen. DIE LINKE tritt dafür ein, die Förderung und Schulung von Medienkompetenz in den Bundesländern institutionell verpflichtend zu verankern.

11. Wie steht ihre Partei zu der Sperrung von Webseiten? Befürworten Sie das neue Telemediengesetz?

Wir lehnen Internetsperren ab. In der digitalen Welt ist die Freiheit des Netzes zu verteidigen.

12. Was halten Sie von der Petition gegen das neue Telemediengesetz?

Die Fraktion DIE LINKE hat das Sperrgesetz abgelehnt. In der Debatte um die Motive des Sperrgesetzes war die Petition sehr wichtig. Dadurch wurde einer größeren kritischen Öffentlichkeit bekannt, dass es der Bundesregierung in Wirklichkeit nicht um die Bekämpfung von Kinderpornographie geht.

13. Sind Zensur und Verbote ein probates Mittel, um die Sicherheit der Jugend zu garantieren? Darf man dafür die Rechte von mündigen Bürger einschränken?

Verbote helfen nicht und Zensur ist grundfalsch. Wir haben - wie die anderen Oppositionsparteien im Übrigen auch - in einem Entschließungsantrag aufgezeigt, wie Kinderpornographie im Netz durch die Ermittlung der Täter und das Löschen der Bilder an der Quelle bekämpft werden kann, und zwar national wie international. Dazu nur ein Beispiel: Sogenannte Phishing-Websites, mit denen die Kontodaten von Bankkunden ausgespäht werden, verbleiben im Schnitt ganze 4,8 Stunden im Web, Webseiten mit kinderpornographischen Inhalten hingegen 30 Tage. Der Grund ist, dass die Banken ein Eigeninteresse an der Beseitigung solch illegaler Angebote haben und dementsprechend international vernetzt ermitteln und löschen lassen. Die Bundesregierung hat das nicht interessiert.

14. Viele unsere Leser sehen die Debatte zu diesen Themen als Generationen-Konflikt. Wie stehen Sie dazu?

Hier ist Aufklärung nötig, um Missverständnisse ausräumen zu helfen. Was in der Öffentlichkeit als Generationenkonflikt zwischen Analog vs. Digital ausgetragen wird, hat nicht nur technische, sondern auch soziale Aspekte. Es müssen eben alle Seiten nachdenken und sich bewegen.

15. Welche Punkte aus ihrem Wahlprogramm würden Sie als erstes nach einem Wahlsieg angehen?

1. Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes. 2. Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. 3. Abschaffung der Rentenkürzung durch die höhere Regelaltersgrenze von 67 Jahren. 4. Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze, Umwandlung der Ein-Euro-Jobs in sozialversicherungspflichtig Arbeit. 5. Erhebung einer Millionärssteuer und Börsenumsatzsteuer. 5. Auflage eines öffentlichen Zukunftsinvestitionsprogramms über 100 Mrd. Euro jährlich für Bildung, Klimaschutz, Verkehr, Gesundheit, Energiewende

16. Welchen Stellenwert nimmt angesichts der Finanz-Krise und der sozialen Ausrichtung ihrer Partei das Thema Neue Medien und Computer- und Videospiele ein?

Im Vergleich zur Finanz- und Wirtschaftskrise bildet das Thema Neue Medien, Computer- und Videospiele tatsächlich ein nachgelagertes Problem. Beides ist allein schon von der Dimension her nicht miteinander vergleichbar. Vereinfacht gesagt: Vor dem Spiel müssen die Menschen essen! Dennoch sind mit fortschreitender Digitalisierung Grundfragen demokratischer Beteiligung aufgeworfen - nicht nur in kultureller, sondern auch in ökonomischer und gesamtgesellschaftlicher Hinsicht. Ich trete dafür ein, diese innerhalb der LINKEN stärker zu akzentuieren.

17. Sehen Sie in Gesetzen wie dem neuen Telemediengesetz und dem Ruf nach Verbot von \\"Killerspielen\\" einen Sinn oder mehr wahltaktische Maßnahmen?

Es ist Symbolpolitik, die nichts bewirkt. Gefährlich wird es dort, wo Symbolpolitik und sachfremde Interessen Allianzen eingehen. Im Bereich der Internetsperren scheint mir das der Fall zu sein. Hier wurde die Tür aufgestoßen, um im nächsten Anlauf Online-Glücksspiele, gewalthaltige Spiele, Filesharing für Filme und Musik sowie vieles anderes mehr einzubeziehen. Das Internet soll zu innenpolitischen und urheberrechtspolitischen Zwecken territorialisiert werden.

Noch sind die technischen Maßnahmen eher harmlos, doch stehen schon jetzt mächtigere Sperrwerkzeuge bereit. Hätte die Bundesregierung ein tatsächliches Interesse an der Bekämpfung von Kinderpornographie im Netz gehabt, hätte sie anstatt des sogenannten „Zugangserschwerungsgesetzes“ schnelle und effiziente Maßnahmen zur Ergreifung der Täter und zur Löschung der Inhalte umsetzen können.

18. Wie stehen Sie im Vergleich dazu zum Waffengesetz und Schützenvereinen?

Tragische und aufwühlende Ereignisse wie in Erfurt oder in Winnenden erzeugen zu Recht einen sehr starken Druck auf Parteien, Verbände und Wissenschaft, Gesetze, Verordnungen und Verhaltensweisen intensiv zu überprüfen. Leider gehen dann auch hier symbolische und Lobbypolitik unheilvolle Bündnisse ein. Das erschwert den Weg zu den wenigen wirkungsvollen Maßnahmen bei solch komplexen Problemen wie Amokläufen oder „School-Shootings“.

Nach jahrelangen Auseinandersetzungen wurde erst jetzt ein zentrales Waffenregister beschlossen. Im Gegensatz dazu wurden in Windeseile als Teil der letzten Gesetzesänderung vor wenigen Wochen biometrische Sicherungen für privat aufbewahrte Waffen und Munition beschlossen. Aus technischen Gründen stehen sie noch gar nicht zur Verfügung, ihre Entwicklung liegt aber ganz auf der Linie der „Biometrie-Strategie“ der Bundesregierung. Sie tritt in dieser Frage also sozusagen als Lobby in eigener Sache auf.

Unser Ziel ist es dagegen, Schusswaffen weitestgehend aus Privathaushalten herauszunehmen, um die Verfügbarkeit der Waffen einzuschränken, wenn der Entschluss zur Aktion gefallen ist. Hier sehen Experten die ganz entscheidende situative Voraussetzung, die aus einem möglicherweise ebenfalls blutigen oder gar tödlichen Anschlag ein Massaker machen kann.

Für diesen Paradigmenwechsel wollen und können wir auch Mitglieder von Schützenvereinen und Berufsverbänden gewinnen.

Interview von Kristian Metzger

Eurogamer.de, 14. Juli 2009