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Die verlogenen Propheten

Im Wortlaut,

ND-Wirtschaftskolumne

Von Rudolf Hickel

Der Absturz 2009 ist kaum vorbei, da sind die konjunkturellen Gesundbeter à la Brüderle schon wieder da. Nicht nur den Beinaheabsturz der Finanzmärkte, auch die Ursachen der Krise werden Opfer einer Amnesie. Dabei lehrt das gegenüber der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er schnelle Ende des Absturzes den Erfolg einer aktiv gestaltenden Finanz-, Geld- und Wirtschaftspolitik. Ein entscheidender Grund lag in der, allerdings zeitlich sehr kurz bemessenen, Abkehr von der neoklassischen Doktrin der optimalen Selbststeuerung entfesselter Märkte.

Mit der Rückkehr zur Etappe vor der Krise wird die nächste, noch tiefere Krise programmiert. Jedenfalls tun die Banken mit ihrer Lobbyarbeit gegen die Regulierung ihrer Geschäftsfelder alles, damit der Blick in den Abgrund frei wird.

Die Hurra-Meldungen über die sich positiv entwickelnde Wirtschaft reißen nicht ab. Im zweiten Quartal stieg die Produktion real um 2,2 Prozent. Die Auftragseingänge stimmen optimistisch. Vor allem in der exportstarken Elektroindustrie und im Maschinenbau nimmt die Auslastung zu. Auch der Ifo-Geschäftsklimaindex zeigt nach oben. Firmen stocken ihre Lager auf, die Gewinne ziehen gegenüber den Löhnen massiv an. Im zweiten Quartal sind gegenüber 2009 die Arbeitnehmerentgelte um 2,5 Prozent angestiegen – Gewinne und Vermögen verzeichneten einen Zuwachs von 21,9 Prozent.

Mit der daraus bedienten Optimismusproduktion werden die Anzeichen für eine Konjunkturabkühlung verdrängt. Dabei zeigt der Geschäftsklimaindex, dass die aktuelle Stimmung bei gewinnträchtigen Unternehmen gut ist, jedoch die Aussichten werden schlecht bewertet. Deshalb erfolgen die meisten Neueinstellungen derzeit auch per Zeitarbeit und befristet.
Der Exportwirtschaft droht ein massiver Einbruch. Die Entwicklung in Südosteuropa wird negativ bewertet. Die USA kämpfen gegen niedriges Wirtschaftswachstum, Arbeitslosigkeit und einen abstürzenden Immobilienmarkt. Auch wird mit einer Wachstumsdelle in China gerechnet. Wenn schließlich viele Länder ihre Antikrisenpolitik zurückfahren und Einsparungen durchsetzen, wird die Sucht nach deutschen Produkten versiegen. Niedrige Entlohnung und kaum steigende Einkommen belasten zudem die Binnenwirtschaft.

In Deutschland geht das DDD-Gespenst um: Ein erneutes Eintauchen in eine Rezession (»Double Dip«), möglicherweise auch eine sich verfestigende Deflation (D) wird nicht ausgeschlossen. Mit der Deflation sinken die Preise. Käufe werden jedoch mit der Hoffnung auf noch billigere Preise verschoben. Zudem verlieren die Notenbanken ihre Macht über die Geldpolitik. Die Gefahr, sich mit der Vermeidung von Deflation eine Inflation einzufangen, ist nicht gegeben. Dagegen wäre die Geldpolitik wieder handlungsfähig.

Das Gespenst lässt sich jedoch vertreiben: Unter Nutzung der Erfahrung, wie schnell der Absturz 2009 überwunden werden konnte, bedarf es einer aktiv gestaltenden Politik zur Wirtschaftsstabilisierung. Strukturpolitisch ist ein relativer Positionsgewinn der Binnen- gegenüber der Exportwirtschaft einzuleiten. Dazu dienen kontrollierte Spielregeln für Finanzmärkte. Auch müssen die Arbeitsmärkte rereguliert werden. Dazu gehören vor allem Mindestlöhne. Auch weil die Gewinne expandieren, ist die lohnpolitische Bescheidenheit aufzukündigen. Zudem sollte die Finanzpolitik mit Infrastrukturinvestitionen dem ökologisch fundierten Wachstum dienen. Da sind die Einsparprogramme unter dem Diktat der Schuldenbremse, mit der der Sozialstaat weiter demontiert wird, Gift.

Neues Deutschland, 10. September 2010