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50 Milliarden Euro für die Konjunktur

Im Wortlaut von Axel Troost,

Welche Antworten hat die deutsche Politik auf die Weltfinanzkrise? Was würde ein Konjunkturprogramm bringen? Wie sollen die Finanzmärkte kontrolliert werden? Dazu die tagesschau-Chat-Serie mit Finanzexperten des Bundestages, heute mit Axel Troost, finanzpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag.

Moderator: Herzlich willkommen im tagesschau-Chat. Heute starten wir mit unserer Chat-Serie zum Thema Finanzkrise. Bis Freitag haben Sie, liebe User, jeden Tag die Möglichkeit, Ihre Fragen an die Finanzexperten des Bundestages zu richten. Hier im ARD-Hauptstadtstudio begrüße ich jetzt Axel Troost, den finanzpolitischen Sprecher der Linksfraktion. Schön, dass Sie bei uns sind. Können wir loslegen?

Axel Troost: Ja!

Moderator: Kommen wir zu der im Chatroom am häufigsten gestellten Frage: Welchen volkswirtschaftlichen Sinn hat das "Zocken" am Aktienmarkt? Sollte der Handel nicht besser auf mittel- und langfristige Käufe und Verkäufe beschränkt werden?

Axel Troost: Ja, er sollte beschränkt werden, weil volkswirtschaftlichen Sinn hat das Zocken überhaupt nicht. Es hat einen rein betriebswirtschaftlichen Sinn, nämlich kurzfristige Gewinne zu erzielen, aber dies hat auch negative Auswirkungen auf die Realwirtschaft. Deswegen treten wir seit vielen Jahren für eine Beschränkung und für eine Verlangsamung der Finanzmarkttransaktionen ein.

Moderator: Am Wochenende tagt der Weltfinanzgipfel in Washington, was erwarten Sie von dem Treffen?

Axel Troost: Relativ wenig konkrete Beschlüsse. Es wird viel geredet, aber konkrete Maßnahmen sind bisher so gut wie nicht besprochen und beschlossen worden. Wir glauben, dass es auch sinnvoller ist, zunächst auf europäischer Ebene entsprechende Vereinbarungen festzulegen und dann auch umzusetzen.

stadtbibliothek: Die Finanzkrise ist im internationalen Rahmen, durch die USA, ausgelöst worden. Gibt es überhaupt die Möglichkeit, wirkungsvolle Werkzeuge im nationalen Rahmen zu finden, um solchen Entwicklungen effektiv entgegen zu wirken?

Axel Troost: Ja, die gibt es schon. Dass es zu dieser Ausweitung in den internationalen Bereich gekommen ist, liegt an der Deregulierung des Finanzmarktes insgesamt. Wenn künftig Kreditverkäufe nicht mehr in diesem Maße möglich sind, weil sie mit Eigenkapital unterlegt werden müssten oder ein Großteil der Risiken bei der abgebenden Bank verbleiben würden, dann wäre es nicht in diesem Ausmaß zu einer Übertragung der amerikanischen Kreditkrise in die ganze Welt gekommen.

querbeet: Hallo Herr Troost, in der Finanzmarktkrise wurden Staatsgelder neu verteilt, um taumelnde Banken zu retten und damit ein marodes System am Leben zu halten, bzw. die ganz große Katastrophe zu verzögern. Wäre es nicht klüger gewesen, die Banken und mit ihr die Wirtschaft komplett an die Wand fahren zu lassen? Der Kollaps kommt auch ohne weitere Kapitalströme von unten nach oben ohnehin früher oder später.

Axel Troost: So pessimistisch bin ich nicht. Auch wenn wir einen realwirtschaftlichen Abschwung und eine Krise erwarten, wird diese doch geringer sein, als sie bei einem Zusammenbruch des Bankensystems gewesen wäre. Deswegen war es aus unserer Sicht richtig, Maßnahmen zu ergreifen, um eine gewisse Beruhigung wieder in den Finanzmarkt hinein zu bekommen. Unsere Kritik am Bankenrettungsfonds in der Bundesrepublik konzentriert sich auf drei Punkte. Erstens, dass parlamentarische Verfahren beim Bundestag und Bundesrat im Nachhinein außen vor gehalten werden. Zweitens die Tatsache, dass nicht geklärt ist, wer eventuell entstehende Kosten und Verluste am Schluss zu tragen hat. Hier haben wir eindeutig dafür plädiert, dass dies die Kreditwirtschaft und nicht die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler tragen müssen. Und drittens, wenn Eigenkapital Banken zur Verfügung gestellt wird, dann muss dies mit Stimmrechten versehen werden, damit die öffentliche Hand Einfluss auf die Geschäftspolitik der betreffenden Banken nehmen kann.

Fero: Wie viel mehr Staat benötigt der Finanzmarkt?

Axel Troost: Wir brauchen endlich wieder eine deutliche Regulierung und das heißt, auch die Rücknahme von sehr vielen Gesetzen aus den letzten zehn Jahren. Rot-Grün hat mit der Deregulierung begonnen, hat versucht, die sogenannte Finanzindustrie in der Bundesrepublik zu fördern und dies ist von der Großen Koalition fortgesetzt worden. Wir brauchen wieder deutlich mehr Staat und staatliche Regulierung in diesem Bereich. Diese Position wird zumindestens im Grundsatz von allen Parteien, vielleicht mit Ausnahme der FDP, im Bundestag getragen.

Moderator: Welche Regelungen für den internationalen Finanzmarkt schlagen Sie vor? Welche Instrumente sind praktikabel?

Axel Troost: Das Erste ist, dass wir eine drastische Beschränkung der Kreditverbriefungen durch mehr Eigenkapitalanforderungen und durch die Überlassung von Restrisiken bei der abgebenden Bank herbeiführen müssen. Wir müssen bestimmte Kreditgeschäfte, insbesondere mit Hedgefonds und Private-Equity-Fonds, ebenfalls stärkeren Eigenkapitalpflichten unterwerfen. Wir müssen im ganzen Bereich der Derivate in erheblichem Umfange Einschränkungen herbeiführen, zum Beispiel durch die Einführung eines Finanz-TÜVs, der von uns als Die Linke Anfang des Jahres vorgeschlagen wurde. Der prüft bei jedem Produkt zunächst bei Einführung ersteinmal, ob mit diesem Produkt überhaupt gehandelt werden kann und dieses zulassen würde.

Moderator: Welche Stelle sollte das prüfen?

Axel Troost: Dazu müsste möglicherweise im Rahmen der Bankenaufsicht eine eigene Stelle bei der BaFin oder der deutschen Bundesbank bei der Bundesrepublik geschaffen werden. Bei der Gesamtfrage spielt dann auch noch die Frage der Rating-Agenturen eine zentrale Rolle. Die Rating-Agenturen haben gegenwärtig eine nicht verträgliche Doppelrolle. Sie sollen Produkte auf ihre Seriösität prüfen und beraten Banken gleichzeitig beim Handel mit diesen Produkten. Wir sind für die Einführung einer europäischen öffentlich-rechtlichen Rating-Agentur bzw. eine Einrichtung die über Gebühren von den Nutzern finanziert wird.

Bilderberg: Hallo Herr Troost. Einen großen Beitrag zur aktuellen Finanzkrise haben die Hedgefonds geleistet. Eine ähnliche Art auf fallende Kurse zu "wetten", gab es schon Anfang des 20. Jahrhunderts, bis sie nach dem Börsencrash in den 20ern verboten wurden. Wieso wurden sie zwischendurch wieder erlaubt?

Axel Troost: Ja, das ist insgesamt die Frage der Deregulierung der Finanzmärkte, wo im Prinzip der klassische Industriekredit inzwischen ersetzt wird durch Beteiligungen an Unternehmen in Form von Hedgefonds und Private-Equity-Fonds. Wir sind der Ansicht, dass diese Branche wieder massiv zurück geschnitten werden muss. Gerade weil durch diese Fonds in erheblichem Umfang Einfluss auf die Realwirtschaft, das heißt auf Unternehmen, ihre Geschäftsmodelle und die dort beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ausgeübt wird.

Vincent: Wie stehen Sie zu einer Verstaatlichung von Banken?

Axel Troost: Ich halte die Forderung in dieser Abstraktheit für wenig Ziel führend. Wir haben in der Bundesrepublik ein dreigliedriges Bankensystem, wo neben den Privatbanken ein öffentlich-rechtlicher Bankensektor und ein Genossenschaftssektor existiert. Wenn alle Privatbanken nun auf einmal in Form von Unternehmen des Bundes geführt würden, würde dies eine massive Konkurrenz oder auch den Untergang für das Sparkassenwesen bedeuten und das scheint mir nicht zielführend zu sein. Was wir aber brauchen, ist eine deutliche Regulierung aller drei Bankensysteme und die Beschränkung des Einflusses von Privatbanken auf die Realwirtschaft.

controller: Wie ist es möglich, dass öffentliche Einrichtungen, wie Landesbanken oder die Kfw sich an hochspekulativen Fonds beteiligen dürfen und was will man künftig dagegen tun?

Axel Troost: Es ist in der Tat ein Skandal, dass die öffentlichen Banken, insbesondere die großen Landesbanken, im internationalen Bereich an spekulativen Geschäften in diesem Ausmaß teilgenommen haben. Dies widerspricht ihrem öffentlich-rechtlichen Aufgabenbereich und muss künftig auch gesetzlich untersagt werden.

Moderator: Welche Funktionen sollen die Landesbanken in Zukunft wahrnehmen?

Axel Troost: Häufig wird behauptet, dass sämtliche Landesbanken in einer Krise seien. Aus meiner Sicht ist diese pauschale Aussage so nicht richtig. In erheblicher Schieflage war die Sachsen LB und ist heute die West LB und die Bayern LB. Die anderen Landesbanken haben durchaus auch tragfähige Geschäftsmodelle, zum Beispiel im Bereich der Finanzierung des Schiffbaus, im Bereich der Finanzierung der Flugzeugindustrie aber auch des großen Mittelstandes mit seinem entsprechenden Auslandsgeschäft. Aber Landesbanken sind langfristig nur dann wirklich sinnvoll, wenn sie die Geschäftsaktivitäten der regionalen Sparkassen unterstützen und nicht mit diesen in Konkurrenz treten, beziehungsweise deren Gewinne dann anschließend verzocken. Die Linke ist seit langer Zeit in intensiven Kontakten mit dem Giro- und Sparkassenverband. Wir haben gemeinsam die Privatisierung der Berliner Sparkasse verfolgt und einen Einfluss von Privatkapital dort verhindern können. Auch seit Beginn der Finanzmarktkrise sind wir in intensiven Kontakten und Gedankenaustausch.

kai: Wie viele kleine und mittelständische Unternehmen müssen noch kaputt gehen, bevor die Banken in die Schranken gewiesen werden?

Axel Troost: Sicherlich ist die Kreditvergabe an kleine und mittelständische Unternehmen auch durch die Regelungen von Basel II erschwert worden. Die jetzige Finanzkrise führt möglicherweise in dem einen oder anderen Fall auch dazu, dass Kreditanforderungen verschärft worden sind oder Zinsen erhöht worden sind. Aus unserer Sicht ist es gerade in dieser Situation zwingend erforderlich, dass die Sparkassen hier in die Bresche springen und entsprechende Liquidität und Kredite für kleine und mittelständische Unternehmen zur Verfügung stellen.

Kriese73: Hallo Herr Troost. Warum wurde die Entwicklung zur Finanzkrise/ Weltwirtschaftskrise nicht früher erkannt (durch die US-Regierung oder durch andere Regierungen/Institutionen) und warum wurde nicht frühzeitig entgegen gesteuert? Sah man die Krise nicht kommen oder konnte/ wollte niemand reagieren?

Axel Troost: Letztlich hat die Presse, wie auch die Wissenschaft, seit vielen Jahren darauf hingewiesen, dass die Entwicklung in den USA relativ ungesund gewesen ist. Trotzdem hat niemand international, wie auch in der Bundesrepublik, hier wirkliche Konsequenzen gezogen. Man muss immer wieder sagen, im Rahmen der Finanzkrise haben die Vorstände der Banken versagt, haben die Aufsichtsräte ihre Aufgaben nicht richtig wahrgenommen, haben die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften Testate ausgestellt, die im Nachhinein wenig wert sind, haben die Rating-Agenturen Bewertungen abgegeben, die sich als völlig unrealistisch herausgestellt haben, hat die BaFin und die Bundesbank stark versagt, weil die Risiken nicht richtig erkannt worden sind. Aber auch das Bundesfinanzministerium und letztlich natürlich auch die Politik und die Finanzpolitiker haben nicht frühzeitig Gegenmaßnahmen ergriffen.

Ramon: Was halten Sie davon, dass Politiker alle Schuld auf die Spekulanten schieben? Lenken Sie dann nicht auch von ihrem eigenen Unvermögen ab, denn schließlich wussten sie seit langem von dem Regelungsbedarf hinsichtlich der Finanzmärkte und haben so ja auch mit Schuld an der Situation...

Axel Troost: Wir betonen immer wieder als Linke und auch Oskar Lafontaine als Person, dass es Viele gegeben hat, die in den letzten zehn Jahren vor dieser Entwicklung gewarnt haben. Aber leider haben alle Politiker der anderen Parteien, erst Rot-Grün und dann die große Koalition, genau gegenteilige Beschlüsse herbeigeführt. Insofern ist die Politik natürlich auch für dieses Versagen in die Haftung zu nehmen.

Moderator: Welchen Anteil hat denn Ihr Partei- und Fraktionsvorsitzender Lafontaine als Mitglied im KfW-Verwaltungsrat?

Axel Troost: Zunächst einmal bleibt es dabei: Oskar Lafontaine hat 1999 genau auf diesen Regulierungsbedarf hingewiesen und galt dann in der internationalen Finanzwelt als der gefährlichste "Regulierer" in der ganzen Welt...

Moderator: ... Sie lenken ab!

Axel Troost: Lafontaine ist eines von vielen Verwaltungsratsmitgliedern, er hat meines Wissens nach als Einziger gegen die Rettungsmaßnahmen der IKB gestimmt. Die bedeuten, dass öffentliche Gelder in Höhe von fast zehn Milliarden Euro zur Sanierung der IKB verwendet worden sind, denen Verkaufserlöse in Höhe von weniger als 200 Millionen Euro gegenüberstehen.

Moderator: Jetzt haben Sie die Politik kritisiert und bei Ihrer eigenen Partei sind Sie so unkritisch?

Axel Troost: Nein, es geht weniger um die Politiker in den Aufsichtsräten, sondern es geht um die Politiker als Gesetzgeber, die bestimmte Geschäfte und Geschäftsmodelle unterbinden oder stark regulieren müssen. In den Aufsichtsräten selbst ist die Chance der Einflussnahme ausgesprochen schwierig, weil letztlich ein Aufsichts- oder Verwaltungsratsmitglied, dies kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen, natürlich auf Angaben des Vorstandes und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften bzw. der Bankenaufsicht angewiesen ist.

TOBL: Wann hat Lafontaine denn bisher Verantwortung gezeigt? Hat er sich nicht vielmehr als inaktiv während der Finanzkrise erwiesen?

Axel Troost: Lafontaine ist gegenwärtig ein wichtiger Oppositionsführer, aber nicht in der Lage, aus dieser Position heraus Verantwortung und Einfluss zu nehmen.

gunda: Wie hätte man die Finanzkrise abwenden können?

Axel Troost: Das Grundproblem der ständig wieder aufkochenden Finanzblasen in aller Welt liegt in zweierlei Tatbeständen: Erstens in der Tatsache, dass wir in den letzten zehn Jahren weltweit - besonders stark aber in der Bundesrepublik - eine Umverteilung von unten nach oben feststellen müssen. Mit der Konsequenz, dass große Kapitalmengen im privaten Bereich angesammelt worden sind, die nun auf den Finanzmarkt geworfen werden. Dass heißt, vom früheren Umlagesystem in ein Anlagesystem überzugehen, mit der Konsequenz, dass Billionen von Mitteln weltweit verzinslich angelegt werden müssen, um die private Altersvorsorge sichern zu können. An beiden Punkten ist aus unserer Sicht dringender Änderungsbedarf angesagt. Wir brauchen wieder eine Rückverteilung zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und wir brauchen wieder eine Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung. Zu Beiden hat die Linke entsprechende Maßnahmepläne und Gesetzesvorschläge eingebracht.

harald: Was halten Sie vom Konjunkturpaket?

Axel Troost: Wir halten es erstens für wesentlich zu gering, weil Herr Steinbrück mit allen Mitteln versucht, Maßnahmen, die bereits lange beschlossen worden sind, in dieses Paket hinein zurechnen. Wir glauben zum Zweiten dass viele Maßnahmen, wie zum Beispiel die befristete Aufhebung der KfZ-Steuer letztlich nicht zielführend sind. Nötig sind öffentliche Investitionen in großem Umfang, insbesondere ausgeführt durch den kommunalen Bereich. Dies sichert unmittelbar Beschäftigung und kann insbesondere im Handwerksbereich und bei kleinen und mittelständischen Unternehmen den Verlust weiterer Arbeitsplätze verhindern.

Moderator: Lafontaine kritisiert Merkels Konjunkturanreize als "Schutzschirmchen", welche Summen möchte die Linkspartei ausgeben?

Axel Troost: Wir glauben, dass auch kurzfristig eine Größenordnung von 50 Milliarden Euro notwendig ist, um einen Konjunktureinbruch, wie er möglicherweise noch nie in der Bundesrepublik in diesem Ausmaß stattgefunden hat, entgegenzuwirken. Die Gefahr, dass wir weltweit in eine Rezession gleiten, hat es in dieser Form seit dem zweiten Weltkrieg noch nie gegeben. Deswegen sind alle Länder und natürlich auch die Bundesrepublik als wichtiges führendes Land in Europa gefordert, hier massiv entgegenzuwirken. Dies wird aber nur Erfolg haben, wenn die Politik deutlich macht, dass sie auch mittelfristig wirklich gewillt ist, die Wirtschaftskrise abzuwenden. Wenn bereits jetzt wieder diskutiert wird, dass man 2012 wieder einen ausgeglichenen Haushalt auf der Bundesebene anstrebt, dann muss man bezweifeln, dass wirklich ernsthafte Maßnahmen zur Konjunkturstabilität wirklich durchgeführt werden. In den USA ist in den 30er Jahren mit der sogenannten New-Deal-Politik gezeigt worden, dass ein Gegensteuern möglich ist, wenn die Politik entsprechend konsequent handelt.

JRauchfuss: Ihre Partei fordert in ihrem Sofortprogramm die Verschärfung der Haftung von Managern. Inwieweit sollen Manager haften? Macht dies nicht den Posten Manager in Deutschland denkbar unattraktiv?

Axel Troost: Manager sollen aus unserer Sicht durchaus mehr verdienen als normale Beschäftigte. Unsere Vorstellung ist allerdings, dass es nicht mehr als das 20fache des Durchschnittseinkommens in den entsprechenden Betrieben sein sollte. Wenn wir, wie gegenwärtig, ganz andere Zahlen immer wieder sehen, dann ist aus unserer Sicht eine deutlich verschärfte Manager-Haftung zwingend erforderlich. Wenn man aus der heutigen Presse entnehmen kann, dass im Bereich der Dresdner Bank an eine einzelne Person ein Bonus von 400 Millionen Euro gezahlt werden soll, dann ist dies ein Hohn auf die politischen Bestrebungen, hier regulierend einzugreifen.

berolina: Bekommen wir nächstes Jahr eine Rezession? Was ist Ihre Prognose?

Axel Troost: Alle Prognosen gehen davon aus, dass wir im nächsten Jahr einen Rückgang des Sozialproduktes erleben werden. Wir haben unterschiedliche Schätzungen, die von minus 0,2 bis minus 0,8 reichen. Ich halte es aber auch nicht für ausgeschlossen, dass wir Ende nächsten Jahres bereits bei einem Minus von 2 Prozentpunkten wären. Dies wäre der stärkste Rückgang in der Bundesrepublik seit dem Zweiten Weltkrieg. Dies hätte dann auch zur Folge, dass wir ein massives Ansteigen der Arbeitslosigkeit und damit wieder Arbeitslosenquoten im zweistelligen Bereich befürchten müssen.

hansi: Halten Sie einen ausgeglichen Bundeshaushalt bzw. einen Schuldenabbau nicht für wichtig?

Axel Troost: Die Linke hat hier eine sehr differenzierte Position. Die Tatsache, dass wir im Augenblick über 1,5 Billionen Schulden haben, ist im Wesentlichen auf zwei Prozesse zurückzuführen: Erstens, beim Prozess der deutschen Einheit von 1992 bis 1998 ist die öffentliche Verschuldung um 700 Milliarden Euro angestiegen. Zweitens, durch einen Steuersenkungswahn, eingeleitet von Rot-Grün ab dem Jahr 2000, der dazu geführt hat, dass Einnahmeausfälle von weit über 300 Milliarden Euro entstanden sind. Die sind über Neuverschuldung dann ausgeglichen worden. Das heißt, eine Billion der insgesamt 1,5 Billionen Gesamtschulden sind auf diese beiden Prozesse zurückzuführen. Deswegen glauben wir, dass einer allgemeine Verteufelung von Staatsverschuldung entgegenzuwirken ist. In der wirtschaftlichen Krise ist staatliche Neuverschuldung die einzige Möglichkeit, Konjunktureinbrüchen wirklich entgegen zu wirken. Mittelfristig sind wir allerdings der Ansicht, dass wir wieder eine erhöhte Steuerquote benötigen. Aus unserer Sicht müssen die Besserverdienenden in Form einer reformierten Vermögens- und Erbschaftssteuer wieder zu einer Finanzierung des Sozialstaates beitragen.

Kalotta: Sehen Sie den Fehler im System Kapitalismus? Wenn ja, was ist ihre Alternative?

Axel Troost: In ersten Schritten geht es zunächst einmal um eine Regulierung dieses Kapitalismus. Wir haben ganz unterschiedliche Ausprägungen in der Vergangenheit, wie auch gegenwärtig. Die Spanne zwischen einem anglo-amerikanischem Kapitalismus und dem, was wir in den skandinavischen Ländern sehen, ist sehr groß. Aus unserer Sicht gilt es, aus Erfahrungen - aus positiven Erfahrungen - aus den skandinavischen Ländern zu lernen und viele Dinge von dort auch zu übernehmen.

T: Was kann der gewöhnliche Bürger tun, um sein Vermögen zu retten? Edelmetalle kaufen?

Axel Troost: Nein, das halte ich für genauso spekulativ, wie viele andere Anlagenformen auch. Ich glaube, dass ganz normale Bankguthaben bei allen Banken, aber insbesondere beim Sparkassensektor, die sichere Form der Anlage sind.

Moderator: Letzte Frage: Wie viel haben Sie persönlich in den vergangenen Wochen am Aktienmarkt verloren?

Axel Troost: Überhaupt nichts. Ich hatte für meine Tochter eine private Altersvorsorge auf Fondsbasis abgeschlossen und diese bereits Anfang des Jahres komplett aufgelöst. Ich selbst besaß und besitze keine Aktien, geschweige denn irgendwelche dubiosen Derivate.

Moderator: Das waren 45 Minuten tagesschau-Chat zum Thema Finanzkrise. Herr Troost, ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit! Vielen Dank auch an die User, leider konnten wir nicht alle Fragen stellen. Doch morgen geht’s weiter: Um 13 Uhr ist dann der Vize-Chef der FDP-Bundestagsfraktion, Carl-Ludwig Thiele, im tagesschau-Chat zu erreichen. Das Team von tagesschau.de freut sich auf die Diskussion. Noch einen schönen Tag und bis morgen!

Axel Troost: Herzlichen Dank für die vielen interessanten Fragen. Morgen werden Sie von Herrn Thiele die extreme Gegenposition zur Kenntnis nehmen können.

Moderator: Wir sind gespannt!

Der Chat wurde moderiert von Corinna Emundts und Thomas Querengässer

tagesschau.de, 10. November 2008