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Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" ist auf einem schlechten Weg

Rede von Lukrezia Jochimsen,

Vor total leeren Tribünen - mit Ausnahme der Eltern des Kollegen Kurth, die dankenswerterweise da sind - diskutieren wir jetzt als letzten Tagesordnungspunkt über eines der großen Themen der Erinnerungskultur. Ich finde, die Art, wie wir darüber diskutieren, ist dem nicht angemessen. Statt eine groß angelegte Debatte mit der Öffentlichkeit zu führen, treibt die Regierungskoalition ihren Gesetzentwurf zur Errichtung der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchs Parlament.

(Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Wo soll der Gesetzentwurf denn sonst verabschiedet werden?)

Der Grund: So soll ein Skandal versteckt werden.

(Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Das ist doch Unsinn!)

Doch: Der Skandal der Erpressung der Bundesregierung durch den Bund der Vertriebenen.

(Beifall bei der LINKEN)

Alle Hauptpunkte des neuen Gesetzes gehen auf Forderungen des Bundes der Vertriebenen zurück, der sich als Interessenvertretung damit eine Bundesstiftung zur Beute macht.

(Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Die FDP gehört nicht zum BdV!)

Die sechs Vertreter des Bundes der Vertriebenen - ich bleibe dabei; ich kann rechnen - dominieren als größte Einzelgruppe den Stiftungsrat, während zum Beispiel der Bundestag nur vier Vertreter in den Stiftungsrat entsenden darf.

(Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Rechnen? Abrechnen!)

Während im geltenden Gesetz ein zweistufiges Berufungsverfahren festgelegt war - die Organisationen benennen; aber das Kabinett entscheidet über die Benennungen und beruft -, darf der Bundestag jetzt nur über ein fertiges Personalpaket mit 21 feststehenden Benennungen entscheiden. Zitat:

Der Wahl liegt ein Gesamtvorschlag zugrunde, der nur als Ganzes angenommen oder abgelehnt werden kann.

„Nur als Ganzes angenommen oder abgelehnt“, das nenne ich ein völlig undemokratisches Verfahren.

(Heike Brehmer (CDU/CSU): Das müssen Sie gerade sagen!)

Während es von den Koalitionsfraktionen auch noch als besonderes Beispiel für Transparenz und als Stärkung der Rolle des Parlaments verkauft wird, nenne ich es eine Missachtung des Parlaments.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich frage mich, welche Abgeordnete und welcher Abgeordnete mit ein bisschen Selbstrespekt so etwas mit sich machen lässt.
Was ist aus dem prestigereichen Vorhaben mit dem Motto „Sichtbares Zeichen“ von 2005 geworden? Ein Geschacher über die Personalie Steinbach. Eine Beschädigung des deutsch-polnischen Verhältnisses. Ein Gründungsdirektor, der behauptet, dass in der Geschichte der Bundesrepublik wohlgemerkt: der Bundesrepublik das Schicksal der Vertrieben nicht angemessen behandelt worden sei. Eine Institution, die von internationalen Wissenschaftlern verlassen wurde. Insgesamt ein Schadensfall für die Erinnerungspolitik.

Die Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ ist wahrlich auf einem schlechten Weg. Die parlamentarische Zustimmung hat dramatisch abgenommen. Während das vorige Gesetz vom Dezember 2008 mit der Zustimmung der Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP bei Enthaltung der Grünen verabschiedet wurde und nur die Linksfraktion es ablehnte, ist das heute ganz anders.

(Otto Fricke (FDP): Sie lehnen es doch immer noch ab!)

Sie haben immer gesagt, es gehe Ihnen um große Zustimmung des Parlaments. Sie wissen ganz genau, dass Sie diese große Zustimmung des Parlaments nicht haben: Alle drei Oppositionsparteien lehnen heute die Gesetzesänderungen ab.

(Zuruf von der FDP: Wie wollen Sie das schon wissen? - Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Schlimm genug!)

Das sind über 46 Prozent, fast die Hälfte der Abgeordneten.

(Otto Fricke (FDP): Jeder hat ein anderes Verständnis von Opposition!)

Die Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ ist jetzt ein reines CDU/CSU-FDP-Projekt. Das mag die Koalitionsfraktionen nicht stören; doch nach dem heutigen Abend können sie nicht mehr behaupten, dass diese Institution der Erinnerungskultur von einer großen Mehrheit des Bundestages gewollt sei. Das ist eigentlich das Einzige, was heute gut ist, und einiger Trost an diesem Abend.
Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Sie hätten den Gesetzentwurf doch in jedem Fall abgelehnt!)