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EU-Programm "Kreatives Europa" spricht nicht die Sprache der Kultur

Rede von Lukrezia Jochimsen,

Das vorliegende Programm "Kreatives Europa" spricht nicht die Sprache der Kultur. Es vollzieht einen klaren Paradigmenwechsel in der Förderpolitik der EU. Denn die bisherige Zielsetzung hat sich dramatisch von der Kulturförderung hin zu einer Wirtschaftsförderung verschoben.

Stand bisher im Bereich Kultur das künstlerische Schaffen, der Erhalt und Schutz des kulturellen Erbes und der nichtkommerzielle Kulturaustausch im Vordergrund, spricht die EU-Kommissarin für Bildung, Kultur, Mehrsprachigkeit und Jugend, Androulla Vassiliou nun vom Beschäftigungspotenzial der Kultur- und Kreativbranche, die EU-Fördermittel sollen helfen neue Publikumsschichten zu erreichen und neue Märkte zu erobern. „Kreatives Europa“, das heißt jetzt: Wettbewerbsfähigkeit stärken, durch Investition den Beitrag der Kultur- und Kreativbranche zum Wirtschaftswachstum erhöhen. Innovation, Beschäftigung und gar der soziale Zusammenhalt sollen so vorangetrieben werden. Das Programm „Kreatives Europa“ vermischt auf diese Weise Ungleiches, nämlich ein Wirtschaftsförderungsprogramm für die Kultur- und Kreativindustrie einerseits und ein Instrument zur Förderung der kulturellen Zusammenarbeit in Europa andererseits. Das kann nicht funktionieren. Der Kultursektor funktioniert nach grundsätzlich anderen Regeln als der Wirtschaftssektor und wird auch nach anderen Kriterien beurteilt.

Trotz der massiven Einwände gegen den Entwurf hat der Rat der Europäischen Union in den bisher vorgenommenen zwei „allgemeinen Ausrichtungen“ des Programms nur einigen Kritikpunkten Rechnung getragen.
So z.B. gibt es eine stärkere Betonung des ideellen Werts und der Doppelnatur von Kulturgütern, auch werden die Einflussnahmemöglichkeiten der Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Programms gestärkt. Aber das bleiben leere Worte, wenn nicht 1. Kulturförderung auf Non-Profit-Projekte beschränkt wird,
2. qualitativ evaluiert und
3. die finanziellen Mindestanteile der Säulen KULTUR und MEDIA festgeschrieben werden.

Die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesregierung und alle Fraktionen dieses Hauses wollen diese drei Punkte im Programm durchgesetzt sehen. Das steht zu Recht auch in der vorliegenden Beschlussempfehlung.

Die Linke hat aber auch wesentliche Bedenken gegenüber dieser Empfehlung.
Wir halten es für vollkommen inakzeptabel, dass die zur Verfügung stehenden Mittel im mehrjährigen Finanzrahmen auf 1% des EU-Bruttonationaleinkommens beschränkt werden sollen, wie es in der vorliegenden Beschlussfassung steht. Diese Grenze muss aus unserer Sicht aufgehoben werden.
Zum anderen lehnen wir den in der Vorlage gemachten Bezug zu der „Europa-Strategie 2020“ ab, denn diese misst allein mit ökonomischen Maßstäben.
Darum lehnt DIE LINKE diese Beschlussempfehlung ab.

Die viel gepriesene vorgesehene Mittelausstattung von 1,8 Mrd. Euro kann aus unserer Sicht nur ein Minimum sein. Zudem ist sie bisher allein „vorgesehen“ und mitnichten von einem Beschluss bestätigt. Die EU-Haushaltsverhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen 2014-2020 dauern noch an, der endgültige Beschluss des Verordnungsentwurfes ist erst im Februar 2013 möglich. Insofern stellt sich hier die Frage, wie relevant unsere Vorschläge und Vorstellungen für das Programm Kreatives Europa überhaupt sein können. Wir sollten nicht vergessen, es ist gerade die deutsche Bundesregierung, die im EU-Haushalt massive Kürzungen durchsetzen will und auf die Schuldenbremse pocht. Diese von Deutschland forcierten Einschnitte würden aber neben der EU-Regionalförderung auch die europäischen Kultur- und Bildungsprogramme treffen. Denn obwohl auf höchster Ebene immer die gemeinsamen kulturellen Werte Europas beschworen werden, wird dann doch zuerst bei Kultur- und Bildungsförderung gespart.

Wir fordern eine stärkere Beachtung der Kultur im Haushalt insgesamt. Was sind 1,8 Mrd. Euro, wenn es um mehr als 450 Millionen Menschen und 37 Länder geht? Darüber hinaus wird sich der Kreis der Teilnehmerländer in den nächsten Jahren um weitere Nachbarstaaten z.B. aus der Balkanregion, erweitern, d.h. das Geld wird für mehr als die bisherigen 37 Länder reichen müssen.
Man kann hier auch so rechnen: beträgt der finanzielle Anteil des Bereichs Kultur im Programm „Kreatives Europa“ laut Mitteilung der EU-Kommission für die siebenjährige Laufzeit bis 2020 etwa 497 Mio. Euro, dann bedeutet das herunter gerechnet auf ein Jahr und ein Land eine Summe von 2,6 Mio. Euro. Damit liegt man bei einem Bruchteil des Budgets eines großen Theaters. Und hier sind nur die 27 Kernländer der EU berechnet worden. Nimmt man die reale Teilnehmerzahl von 37 Ländern, dann ergibt diese Rechnung 1,91 Mio. Euro pro Jahr und Land.
Das ist geradezu lächerlich.

Das Programm Kreatives Europa muss, um seinem Namen gerecht zu werden, sich klar gegen eine ökonomische Sichtweise von Kultur und Kulturförderung aussprechen und mehr Mittel für Kultur garantieren. Es kann nur funktionieren, wenn es nicht als für sich stehend betrachtet wird - im Blick müssen gleichzeitig die EU-Strukturfonds bleiben, denn diese bisher finanziell wesentlich besser ausgestattete EU-Strukturförderung ergänzt die Kulturförderung. Und eines sollte in dieser Debatte nicht in Vergessenheit geraten: Kulturpolitik darf nicht auf Kulturförderprogramme reduziert werden. Notwendig ist es in einem Europa, das gegenwärtig durch nationale Strömungen und eine immer stärker werdende soziale Schieflage geprägt ist, auf die integrative Kraft der Kultur zu setzen.
Auch wenn es kein Problem der Bundesrepublik Deutschland direkt ist, ist doch zu fragen: was bietet das EU-Programm Kreatives Europa den Katalanen und den Schotten, die in dieser Zeit auf ganz andere neue Weise auf ihre Kultur als Identitätsstiftung innerhalb Europas setzen? Die Frage stellt sich, ob die Zeit über dieses EU-Programm nicht längst hinweg gegangen ist?