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Lachende Menschen unterschiedlichen Alters beim Tauziehen

Sieben Punkte für soziale Sicherheit in Krisenzeiten

Positionspapier von Amira Mohamed Ali, Dietmar Bartsch, Jan Korte,

Wir erleben die schwerste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Die Angst vor den Folgen erneut ansteigender Infektionszahlen ist greifbar. Fragen, was dies für Kinderbetreuung, Schulen, Gesundheitsvorsorge, die Wirtschaft, den eigenen Arbeitsplatz bedeutet, sind allgegenwärtig. Mit sieben Schwerpunkten für Sicherheit und Zusammenhalt in Krisenzeiten biegen wir auf die Zielgerade dieser Legislaturperiode ein. Unser Angebot ist ein sozialökologischer Politikwechsel, der einen Schutzschirm über die Arbeit und das Leben der Menschen spannt und dem Land die Zukunftsfähigkeit bietet, die dringend notwendig ist.


Corona hat Deutschland, ja die ganze Welt mit Wucht getroffen. Es trifft dabei oft diejenigen besonders, die schon vorher zu kämpfen hatten. Wir erleben die schwerste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Die Angst vor den Folgen erneut ansteigender Infektionszahlen ist greifbar. Fragen, was dies für Kinderbetreuung, Schulen, Gesundheitsversorgen, die Wirtschaft, den eigenen Arbeitsplatz bedeutet, sind allgegenwärtig. Die Folgen der Krise werden uns weit über die nächste Bundestagswahl beschäftigen. Das Corona-Management der Bundesregierung war über den Sommer vielfach unzureichend, auch deshalb steigen die Infektionszahlen wieder an.

Die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag hat in der Krise Maßnahmen der Bundesregierung zur Rettung von Jobs und Unternehmen unterstützt. Und wir haben zusätzliche, dringend notwendige Maßnahmen eingefordert. Wir haben den Schutz vor Wohnungskündigungen sowie die Aussetzung von Hartz IV-Sanktionen erreicht. Auch durch den Druck unserer Fraktion wurde der Lohnersatz für Eltern bei fehlender Kinderbetreuung ausgeweitet und das Kurzarbeitergeld erhöht, das allerdings unserer Ansicht nach weiter zu niedrig ist. Wir kämpfen für Pandemiezuschläge auf Sozialleistungen und für ein Selbstständigengeld, um eine Pleitewelle bei kleinen Unternehmen, z.B. bei Kneipen und Pensionen sowie Solo-Selbstständigen, Künstlerinnen und Künstlern, zu verhindern. Wir fordern eine bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen für Beschäftigte, insbesondere in „systemrelevanten Berufen“. „Systemrelevant“ sind besonders Berufe und Tätigkeiten, die überproportional von Frauen ausgeübt werden. Genau diese Tätigkeiten sind aber schlecht oder nicht bezahlt. Gesellschaftlich notwendige Arbeit muss jetzt und für die Zukunft neu bewertet werden.

1. Als die soziale Opposition kämpft die Fraktion DIE LINKE für einen sozialen Schutzschirm, um die Folgen der Corona-Krise zu bewältigen.

Das Konjunkturpaket der Bundesregierung umfasst 130 Milliarden Euro, für Konzerne wie die Lufthansa stehen Unsummen bereit, für die Ärmsten gibt es allenfalls ein paar Cent. Durch die Mehrwertsteuersenkung spart der Normalverdiener beim Wocheneinkauf vielleicht ein paar Euro, während beim Kauf von Luxusautos Tausende gespart werden können. 

Für uns ist klar: Deutschland soll sozialer und gerechter aus der Krise herauskommen als es hineingegangen ist. Im Spätsommer 2020 ist nicht die Zeit, um über Farbspiele und Koalitionen Ende 2021 zu spekulieren. Bürgerinnen und Bürger verdienen jetzt Antworten auf ihre teils dramatischen Probleme. Wir brauchen soziale Sicherheit im Land - in und nach der Krise! Corona hat die weltweite Konjunktur geschockt. Beschäftigte und Unternehmen spüren die Folgen und kämpfen mit jedem weiteren Monat ums Überleben. Die Arbeitslosigkeit droht weiter zu steigen. Statt – wie beim Konjunkturpaket – Steuergeld nach dem Prinzip Gießkanne zu verteilen, brauchen wir die Mittel zielgerichtet für einen sozialen Schutzschirm:

  • Deshalb muss das Kurzarbeitergeld auf 90 Prozent erhöht und so lange verlängert werden, bis die Krise hinter uns liegt. Im Niedriglohnbereich auf 100 Prozent.
  • Hilfen für Selbstständige – gerade im Bereich der Gastronomie, der Event-Branche, in Kunst und Kultur – müssen unbefristet fortgesetzt und ausgeweitet werden. Wir setzen uns für ein effektives Selbstständigengeld ein, damit Solo-Selbstständige und Freiberufler aus der Existenzangst geholt werden. 
  • Wir wollen Beschäftigungsgarantien in Unternehmen, die Staatshilfen erhalten. Hilfen der Steuerzahler sind mit Entlassungen nicht vereinbar.
  • In den Bereichen Gesundheit und Pflege braucht es auch als Lehre aus der Krise dringend Reformen. Applaus und Mitgefühl für Pflegekräfte haben politisch nichts verbessert. Wir brauchen eine deutlich bessere Bezahlung und viel bessere Arbeitsbedingungen, insbesondere mit einer festen Personalbemessung, in der Kranken- und Altenpflege. Schluss mit Kommerzialisierung, Kostendruck und Privatisierung!
  • Dort, wo die Krise neue Formen des guten Arbeitens ermöglicht hat, wollen wir diese erhalten und ausbauen. 
  • Für die Kommunen wird Corona zu einer erheblichen Belastung. Die Bundesregierung tut zu wenig, um Städte und Gemeinden zu unterstützen. Wir brauchen einen Schutzschirm für Kommunen und einen Schuldenschnitt.

2. Mit einem starken Sozialstaat durch die Krise: Die Fraktion DIE LINKE will die sozialen Sicherungssysteme zukunfts- und krisenfest machen.

Die sozialen Sicherungssysteme müssen vor den Angriffen derjenigen geschützt werden, die Leistungen kürzen wollen, um die Krise zu bezahlen. Steigende Kosten dürfen nicht einseitig auf Beschäftigte, Versicherte, Patientinnen und Patienten verlagert werden. Die Sozialsysteme geraten durch die Krise erheblich unter Druck, die Rücklagen sind aufgebraucht. Stimmen aus Union und FDP stellen die Finanzierbarkeit des Sozialstaates wegen Corona in Frage.

  • Gerade in Krisenzeiten brauchen wir eine starke Arbeitslosenversicherung, die früher und länger greift. Statt Hartz IV lediglich um sieben Euro anzuheben, brauchen wir eine sanktionsfreie und bedarfsdeckende Mindestsicherung, die vor dem finanziellen Absturz schützt, und eine armutsfeste Grundsicherung für Kinder.
  • Zehn Millionen Beschäftigte arbeiten für weniger als 12 Euro die Stunde, vier Millionen Menschen zu einem Niedriglohn. Daher muss die Tarifbindung gestärkt werden und der gesetzliche Mindestlohn auf mindestens 12 Euro steigen. Wir brauchen Arbeitsmarktreformen, um den Missbrauch von Werkverträgen, Leiharbeit und Tarifflucht zu beenden.
  • Wir wollen die gesetzliche Rente stärken und eine Rentenkasse für alle Menschen mit Erwerbseinkommen einführen. Dabei sollen Abgeordnete des Bundestages vorangehen und in die gesetzliche Rente einzahlen.
  • In Gesundheit und Pflege wollen wir zum Prinzip der Bürgerversicherung übergehen. Jens Spahn muss eine Pflegereform vorlegen, um die Kostenübernahme in den Pflegeheimen zu regeln und eine deutlich bessere Bezahlung des Personals in Pflege und Gesundheit durchzusetzen. 
  • Zehn Milliarden Euro für ein öffentliches Wohnungsbauprogramm für den Neustart im sozialen, gemeinnützigen und kommunalen Wohnungsbau!

3. Wer zahlt die Rechnung? Die Fraktion DIE LINKE im Bundestag fordert, dass Superreiche zur Finanzierung der Krise herangezogen und Geringverdiener und Mittelschicht vor den Krisenkosten geschützt werden. 

Die Corona-Krise wird laut Antwort der Bundesregierung auf unsere Anfrage mindestens 1,2 Billionen Euro kosten. Bisher kümmert sich die Koalition nicht um die Gegenfinanzierung. Wählerinnen und Wählern droht, dass ihnen die Corona-Rechnung nach der Bundestagswahl präsentiert wird. Für uns ist klar: Diese Krise darf nicht wieder – wie bei der Finanzkrise – von den „normalen“ Leuten bezahlt werden. Wir brauchen einen fairen Lastenausgleich, wie ihn das Grundgesetz für solche Fälle vorsieht. 

  • Wir wollen eine einmalige Vermögensabgabe für Multimillionäre und Milliardäre einführen. Jetzt ist die Solidarität derer gefordert, denen es sehr gut geht. Nach der Krise braucht es eine große Steuerreform, die Geringverdiener und die Mitte entlastet.
  • Wir wollen eine progressive Vermögenssteuer für Multimillionäre und Milliardäre, die im Jahr rund 100 Milliarden Euro einbringt und dauerhaft Zukunftsinvestitionen in Bildung, Sozialstaat, Energiewende und Infrastruktur ermöglicht.
  • Auch auf EU-Ebene brauchen wir eine Abgabe auf Vermögen von Multimillionären und Milliardären, um die Mittel des Wiederaufbaufonds refinanzieren zu können. Für uns gilt: Weder die deutsche Verkäuferin noch der italienische Krankenpfleger sollen für diese Krise bezahlen. 

4. Geld für Schulen statt für Panzer: Die Fraktion DIE LINKE. setzt sich dafür ein, bis 2025 eines der besten und sozial gerechtesten Schul- und Kitasysteme der Welt aufzubauen. Wir wollen das Zwei-Prozent-Aufrüstungsziel der NATO kippen und von den Einsparungen jährlich zehn Milliarden Euro in eine Bildungsoffensive investieren.

Kinder, Jugendliche und Familien sind in der Krise von der Bundesregierung sträflich vernachlässigt worden. Die Unions-Ministerpräsidenten haben sich lieber mit ihren Kanzler-Träumen als den Perspektiven von Kindern befasst. Im Konjunkturpaket stellt die Bundesregierung mehr Mittel für Rüstung als für Schulen und Familien bereit. Über Monate haben sich berufstätige Eltern von Tag zu Tag gehangelt, um für ihre Kinder da zu sein. 

  • Entsprechend fordern wir ein Investitionsprogramm für die pandemiegerechte Ausstattung der Einrichtungen der Frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung, damit diese wichtigen Angebote den Kindern und Familien verlässlich zur Verfgügung stehen.
  • Soziale Ungleichheit bekämpfen: Digitales Lernen für alle, neue Computer und Lernsoftware brauchen wir dauerhaft öffentlich finanziert - jedem Schüler, jeder Schülerin, jeder Lehrkraft ein eigenes digitales Gerät!
  • Bedarfsdeckendes BAföG statt sozialer Spaltung! Die Zahl der BAföG-Empfängerinnen und -Empfänger ist mit elf Prozent der Studierenden auf einem historischen Tiefstand, nur sieben Prozent aller Studierenden erhalten den vollen BAföG-Satz. Dadurch können Arbeiterkinder seltener studieren. Das gilt umso mehr in der Pandemie, in der studentische Nebenjobs weggebrochen sind. Das BAföG muss krisensicher ausgebaut und der Kreis der Empfängerinnen und Empfänger erweitert werden.

5. Null-Toleranz bei Hass und Hetze! Wir müssen diejenigen stärken, die den Zusammenhalt in der Gesellschaft sichern.

Hass und Hetze in den sozialen Medien und auf der Straße nehmen zu. Oft sind es rassistische Angriffe auf Menschen mit Migrationshintergrund, sexistische Angriffe und sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen und Transpersonen. Auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes oder z.B. der Deutschen Bahn sind vermehrt Opfer physischer Gewalt. Rechtsextreme Netzwerke in der Bundeswehr und in Teilen der Polizei untergraben das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden. All das ist für uns nicht hinnehmbar. Sicherheit endet für uns nicht beim Sozialstaat. 

  • Wir brauchen eine konkrete Agenda gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus in der Gesellschaft, welche die Situation der Betroffenen rassistischer, antisemitischer und rechtsextremer Gewalt tatsächlich verbessert.
  • Daher muss der Perspektive der Angegriffenen, von rassistischer Alltagsgewalt Traumatisierten und Verletzten Gehör verschafft werden. 
  • Wir verlangen, rechte Strukturen in der Polizei und bei den Sicherheitsorganen schonungslos aufzulösen sowie unabhängige Beschwerdestellen einzurichten.
  • Wir wollen eine handlungsfähige Polizei, die mit mehr Personal in der Lage ist, Menschen mehr Sicherheit zu geben.

6. Zukunftsinvestitionen und Klimapolitik dürfen nicht unter den Tisch fallen.

Das Virus droht, den notwendigen sozial-ökologischen Wandel in den Hintergrund zu rücken. Statt dem entgegenzuwirken, hat sich die Bundesregierung darauf ausgeruht. Klimaschutz beginnt nicht mit sperrigen Begriffen, sondern im Alltag. In der Krise erlebt das Auto auch in Großstädten eine Renaissance. Wir werfen das niemandem vor. Es zeigt, vor welchen Herausforderungen die Deutsche Bahn und der ÖPNV stehen. 

  • Wir brauchen Milliardeninvestitionen in den sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft und einen mutigen Preisdeckel bei Bus und Bahn. Wir wollen den ÖPNV unschlagbar günstig, sauber und sicher machen.
  • Der Transformationsprozess in den Unternehmen muss sozial und von den Beschäftigten mitbestimmt gestaltet werden.

7. Die Fraktion DIE LINKE will den Verteidigungsetat kürzen. Höchste Zeit für mehr internationale Zusammenarbeit.

Im März, fünf Tage vor dem Lockdown, hat die Bundesregierung die Verteidigungsausgaben um sechs Milliarden Euro erhöht. Die Summe aller Rüstungsprojekte der nächsten Jahre beläuft sich auf 137 Milliarden Euro. Diese Ausgaben sind nicht nur sicherheitspolitisch unverantwortlich, sondern grotesk angesichts der Kosten zur Bewältigung der Krise. 
Wir fordern daher:

  • Abrüstung statt Aufrüstung! Wir brauchen jeden Euro zur Rettung von Jobs und Unternehmen.
  • Beendigung der Auslandseinsätze der Bundeswehr.
  • Diese Krise darf nicht in einem „Weiter so“ münden. Deutschland war schlecht auf die Krise vorbereitet und hat so wertvolle Zeit verloren. Masken und Desinfektionsmittel waren wochenlang Mangelware. Die internationale Krisenkommunikation hat nur bedingt funktioniert und bei der Eindämmung kaum geholfen.
  • Wir wollen, dass die internationale Zusammenarbeit ausgebaut und zugleich nationale Schutzmechanismen gestärkt werden. Der Einsatz und die Mittel für die WHO müssen erhöht werden.
  • Die Herstellung von Schutzausrüstung, Medikamenten und medizinischem Gerät muss der Globalisierung entzogen und als nationale Aufgabe für den Krisenfall begriffen werden.


Unser Angebot heißt: sozial-ökologischer Politikwechsel.

Mit diesen sieben Schwerpunkten für Sicherheit und Zusammenhalt in Krisenzeiten biegen wir auf die Zielgerade dieser Legislaturperiode ein. Wir machen weiterhin Druck, damit wir sozial und solidarisch aus dieser Krise herauskommen. 2021 wird ein Superwahljahr mit richtungsweisenden Entscheidungen auch in den Ländern Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Unser Angebot ist ein sozial-ökologischer Politikwechsel, der einen Schutzschirm über die Arbeit und das Leben der Menschen spannt und dem Land die Zukunftsfähigkeit bietet, die dringend notwendig ist.

Vom Fraktionsvorstand unterstütztes Papier anlässlich der Fraktionsklausur am 3./4. September 2020 in Potsdam