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»Zipi Livni will einen haltbaren Frieden«

Im Wortlaut von Gregor Gysi,

Gregor Gysi über die Perspektiven des Nahost-Konflikts nach der Ära George W. Bush

Sollte es Zipi Livni gelingen, in 42 Tagen eine Koalition zustande zu bringen, wäre sie Israels neue Regierungschefin. Wird sie in der Region als Hoffnungsträgerin wahrgenommen?

Das wurde mir zumindest von vielen Gesprächspartnern so geschildert. Ich habe sie auf einer Veranstaltung erlebt, auf der sie sagte, dass es Frieden nur dann gäbe, wenn Israel bereit sei, Territorium wieder zurückzugeben. Diese Position vertrat sie, obwohl sie wusste, dass sie mit dieser Forderung beim Publikum keinesfalls auf ungeteilte Zustimmung stieße.

Livni spricht sich für einen Kompromiss aus. Trifft sie damit die Stimmung in der Bevölkerung?

Die israelische Bevölkerung ist mit der jüngsten Entwicklung relativ zufrieden. Durch den Mauerbau und andere Maßnahmen ist - egal wie man zu ihnen steht - die Zahl der Anschläge in Israel um 80 Prozent zurückgegangen. Dadurch ist in Israel der Druck seitens der Bevölkerung auf die Politik, eine Lösung des Nahostkonflikts zu erreichen, ebenso gesunken wie die Kompromissbereitschaft. Das ist ein Problem. Das andere Problem besteht in der Unsicherheit bei der Regierungsbildung. Vermutlich wird es wieder eine stark religiöse Partei in der Koalition geben, die auf Siedlungen besteht. Trotzdem: Frau Livni ist eine andere Politikergeneration, und meinem Eindruck nach will sie einen Frieden, der haltbar ist, also keinen Unterwerfungs-, sondern einen Kompromissfrieden. Ich hoffe, dass sie die Kraft hat, sich durchzusetzen.

Der politische Wille ist das eine. Andererseits schafft Israels Regierung durch den Ausbau der Siedlungen und der Checkpoints Fakten, die den Verhandlungsprozess erschweren.

Diese beiden Punkte, Siedlungsausbau sowie die Zunahme der Checkpoints und der Verhaftungen im Westjordanland, habe ich in meinen Gesprächen klar kritisiert. Durch diese Politik verlieren jene Palästinenser, die mit den Israelis über einen Frieden verhandeln, an Ansehen bei ihrer Bevölkerung. Trotz Verhandlungen verschlechtert sich insoweit die reale Lage - damit kann man bei den Palästinensern keine Punkte machen. Ein Beispiel: Im Gaza-Streifen, wo die Hamas regiert, gibt es keine Verhaftungen durch Israel, jedoch im Westjordanland. Das stärkt Präsident Mahmud Abbas sicher nicht. Den Palästinensern geht es in Westjordanland besser als im Gaza-Streifen und es gibt eine wachsende Bereitschaft für Verhandlungen, die allerdings zwingend in einen wirklich lebensfähigen palästinensischen Staat führen müssen.

Einen lebensfähigen Palästinenserstaat sieht der Fahrplan von Annapolis bis Anfang 2009 vor. Realistisch?

Nein. Was sich US-Präsident George W. Bush zum Ende seiner Amtszeit erträumt, nachdem er so viele völkerrechtswidrige Kriege geführt hat, wird nicht in Erfüllung gehen. Aber für die Zeit nach Bush halte ich einen Friedensvertrag für möglich, sogar noch 2009.

Einen Vertrag mit einem Präsidenten Abbas, der im Gaza-Streifen nichts zu melden hat?

Die Schwierigkeit liegt in der Tat darin, dass Abbas etwas unterschreiben kann, was im Gaza-Streifen nicht gilt. Das nächste innerpalästinensische Problem liegt darin, dass die Fatah-Politiker, mit denen wir gesprochen haben, allesamt sagen, mit der Hamas ist kein Staat zu machen. Ihre Begründung: Die Hamas will schlussendlich einen islamistischen Staat, was für die Fatah nicht in Frage kommt. Zudem spricht Hamas Israel nach wie vor das Existenzrecht ab. Das ist die Lage.

Die Ägypter unterhalten Kontakte zur Hamas. Liegt darin eine Chance?

Ägypten versucht in der Tat, diesen Knoten aufzulösen, indem es mit allen redet und versucht, Hamas und Fatah zu einer Übereinkunft zu bewegen. Der Druck dafür besteht, denn 2010 stehen Parlamentswahlen an. Spätestens dann wird auch der Palästinenserpräsident neu gewählt. Wenn der Gaza-Streifen sich Wahlen verweigert, würde er sich illegalisieren. Wird im Gaza-Streifen gewählt, gewinnt nach ihrer Einschätzung die Fatah. Ob diese zutrifft, weiß ich nicht. Fest steht: Die Fatah ist davon überzeugt, entweder über Wahlen oder die Illegalisierung zu einer Lösung zu kommen.

Könnte ein künftiger US-Präsident Barack Obama im Nahen Osten Positives bewirken?

Mit aller Vorsicht: Ich denke schon. Die USA haben zu viele Brandherde: Irak, Afghanistan, Nordkorea, Iran, Georgien, Pakistan und den Nahost-Konflikt. So schwierig es ist: Der Nahost-Konflikt ließe sich vergleichsweise noch am leichtesten lösen. Obama und selbst McCain könnten darauf drängen, allerdings auch, um sich auf andere Brandherde stärker konzentrieren zu können.

Interview: Martin Ling

Neues Deutschland, 20. September 2008