Zum Hauptinhalt springen

Wirkungslos in Washington

Im Wortlaut von Ulrich Maurer,

Der Weltfinanzgipfel der größten Industrie- und Schwellenländer sollte das Fundament für eine neue internationale Finanzarchitektur legen. War das Treffen am Wochenende wirklich ein historisches Ereignis wie sein Vorbild Bretton Woods?

Es ist ein außergewöhnliches Umfeld, in dem der Weltfinanzgipfel stattfand. Erstmals seit 34 Jahren verläuft eine Rezession in den Industrieländern synchron. Nach Einschätzung des früheren US-Notenbankchefs Alan Greenspan befindet sich die Welt mitten in ihrer schwersten Wirtschaftskrise der vergangenen 100 Jahre. Das Wort Deflation macht die Runde.

Die Headlines der Wirtschaftsblätter sprechen Klartext: Welthandelsorganisation warnt vor langer Eiszeit im Welthandel. Rohstoffpreise im freien Fall. Schwellenländer vor Staatsbankrott. Die Kreditvergabe bricht ein, der 60 000 Mrd. $ schwere Markt für Kreditversicherungszertifikate wackelt, der Verfall der Immobilienpreise hält an. Und die Ohnmacht der Notenbanker ist manifest.

Auch deutsche Unternehmen sind massiv betroffen. Bedrohlich ist etwa, dass sich die Refinanzierungssätze für die 2009 fällig werdenden Anleihen der Dax-Konzerne in Höhe von 50 Mrd. € verdoppelt haben. Zudem wächst auch bei uns die Spaltung zwischen Arm und Reich. Seit 2000 sind die Gewinne und Vermögenseinkommen um 40 Prozent gestiegen, die Löhne um fünf Prozent gefallen. Und eines ist klar: Das wahre Krisenjahr kommt erst 2009.

Ob die recht allgemein gehaltenen Forderungen des 47-Punkte-Plans von Washington geeignet sind, die entfesselten Finanzmärkte wieder einzuschnüren und die Steueroasen endlich auszutrocknen, muss jedoch bezweifelt werden.

Dabei hatte der französische EU-Ratsvorsitz einen weitgehenden Vorschlag vorgelegt. Darin forderte Paris im Rahmen einer »Weltfinanzregierung« eine weltweit integrierte Aufsicht über real- und finanzwirtschaftliche Sektoren, ein System fester Wechselkurse und die Lockerung des EU-Stabilitätspakts. Diese Forderungen stießen jedoch auf Widerstand. Vor allem die Bundesregierung, die sich früher kräftig für Deregulierung eingesetzt hatte und sich nun zur Speerspitze des Gegenteils erklärt, tat sich dabei hervor. Und der amtierende US-Präsident George W. Bush beeilte sich, vor Beschränkungen der freien Märkte zu warnen.

Die eigentliche Herausforderung, die Verhinderung einer neuen globalen Depression, war dagegen auf dem Gipfel kein Thema. Dabei sind mehrere Schritte überfällig. Erforderlich ist zunächst eine internationale Vereinbarung von Eckpunkten für eine konzertierte und zum Teil kreditfinanzierte Stützung der nationalen Volkswirtschaften. Diese hat das Ziel, die Massenkaufkraft zu stärken, die Niedriglohnpolitik zu stoppen, öffentliche Investitionen und soziale Leistungen zu erhöhen. Ziel muss es auch sein, das auf 167 000 Mrd. $ explodierte globale Finanzvermögen drastisch zu beschneiden, die kapitalgedeckte Alterssicherung zurückzuführen und klimapolitische Herausforderungen ernsthaft anzufassen. Nationale Konjunkturprogramme sind dringlich, dürfen in Deutschland aber nicht zulasten Dritter gehen.

Außerdem muss in einem ersten Schritt der Internationale Währungsfonds in eine Institution zur Kontrolle der Finanzmärkte und zur Prävention von Krisen transformiert werden. Dazu muss sein bislang bloß reaktiver, marktradikaler Fokus auf die Entschärfung regionaler Wirtschaftskrisen reformiert werden. Erforderlich sind dabei auch ein größerer Einfluss von Schwellen- und Dritte-Welt-Ländern sowie ein stärkeres Gewicht der Uno. Kapitalverkehrskontrollen, Wechselkurszielzonen und eine Finanztransaktionssteuer dürfen nicht ausgeklammert werden. Und klar ist: Deutschland muss als Weltmeister der Leistungsbilanzüberschüsse einen überdurchschnittlichen Beitrag bei den Stützungsmaßnahmen leisten.

Wir brauchen nicht nur ein zweites Bretton Woods - von dem in Washington nichts zu hören war. Zwarmuss die Zeitbombe Finanzmärkte entschärft werden. Aber die verbreitete Vorstellung ist fahrlässig, ein Crash könne durch Geldpolitik und Finanzmarktgesetze verhindert werden. Nötig ist ein zweiter New Deal, und zwar auf globalem Niveau. Das Zusammentreffen der weltweiten Krise, der Selbstdemontage des Neoliberalismus, der internationalen Renaissance keynesianischer Konzepte und des angekündigten Wandels in den USA muss genutzt werden.

ULRICH MAURER ist Parlamentarischer Geschäftsführer der Linken im Bundestag.

Financial Times Deutschland, 19. November 2008