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Weihnachtsinterview mit Gregor Gysi

Im Wortlaut von Gregor Gysi,

Es könnte alles viel besser sein - ist es aber nicht. Linke Einschätzungen stoßen in der Wirtschaft oft auf Unverständnis. Doch nicht in allen Bereichen gehen die Meinungen wirklich weit auseinander. Das Interview mit Gregor Gysi zu den drängenden Fragen 2007.

Telebörse.de: Sie sind jemand, der immer wieder aufsteht, kämpft und weitermacht. Ist das nicht auch die Haltung, die wir in unserer Gesellschaft brauchen, um Deutschland langfristig auch wirtschaftlich vorne zu halten?

Gregor Gysi: Es ist vor allem eine Haltung mit der man sehr viel besser, weil engagierter und sinnvoller lebt. Wenn viele Menschen sich so engagieren, geht es auch dem Land besser, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sozial und vor allem kulturell.

Telebörse.de: Wäre das nicht zu viel verlangt, angesichts einer immer größer werdenden Gruppe von Menschen, denen es in Deutschland nicht gut geht. Um den hässlichen Begriff Prekariat zu verwenden - auch ein Unwort 2007 - wie motivieren wir die Hartz4-Empfänger eine Arbeit aufzunehmen?

Gregor Gysi: Die meisten Arbeitslosen wollen eine Erwerbstätigkeit, aber es wird ihnen keine entsprechend ihrer Qualifikation angeboten. Das ist das Hauptproblem. Einige gibt es auch, die sich selbst nicht vertrauen, die Angst vor einer Erwerbsarbeit haben. Hier ist psychologische, menschliche Hilfe gefragt. In der DDR wurden so genannte Asoziale leider verurteilt. Zum Schluss gab es aber Brigaden, die sich um solche Leute kümmerten, die auch mal einen Tag fehlen konnten, die zum Teil morgens abgeholt wurden, um ihnen Schritt für Schritt wieder Selbstvertrauen zu geben. In einer kapitalistischen Gesellschaft wird leider kaum so gehandelt.

Telebörse.de: Wie motivieren wir die Menschen, die Vollzeit arbeiten und trotzdem noch auch staatliche Hilfen angewiesen sind? Und ist es nicht verständlich, dass sich Menschen, die hart arbeiten und dafür nicht anständig bezahlt werden, darüber aufregen, dass Manager Millionen einstreichen?

Gregor Gysi: Ich streite für einen gesetzlichen Mindestlohn, damit niemand Vollzeit arbeitet und von seinem Geld nicht in Würde leben kann. Die diesbezüglichen Realitäten sind eine Zumutung und nicht hinnehmbar. Die Lösung "Kombilohn" ist ebenfalls nicht hinnehmbar. Einerseits müssen Vollzeitbeschäftigte den demütigenden Weg einer Antragstellung auf Sozialhilfe gehen und andererseits sollen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler die Lohndifferenz bezahlen. Nein, die Unternehmen sind verpflichtet, Löhne zu bezahlen, mit denen die Menschen in Würde leben können. Managergehälter sind zum Teil maßlos. Maßlosigkeit wird in jeder Gesellschaft abgelehnt.

Telebörse.de: Ist es im Umkehrschluss aber wirklich verwerflich, dass Manager Millionen einstreichen und wenn ja, warum?

Gregor Gysi: Ich bin gegen gleiche Bezahlung. Der Begabte soll mehr bekommen als der Unbegabte, der Fleißige, der mit größerer Verantwortung, die mit höherer Qualifikation ebenfalls. Aber alles muss nachvollziehbar sein und die Millionen bei Managern sind nicht nachvollziehbar. Auch ihr Tag hat nur 24 Stunden.

Telebörse.de: In der Wirtschaft werden Manager oft am Aktienkurs gemessen. Auch wenn sie zuvor 10.000 Menschen entlassen haben. Was macht aus Ihrer Sicht einen guten Manager aus?

Gregor Gysi: Wirtschaft ist ein Austausch des Menschen mit der Natur oder sie dient der Erbringung von Dienstleistungen. Danach müssen wir sie bemessen. Wirtschaft ist Mittel zum Zweck. Wir benötigen für Jede und Jeden die Möglichkeit zur Erwerbsarbeit. Heute orientiert sich Wirtschaft nur noch am Gewinn. So jubeln die Börsianer, wenn tausende Menschen entlassen werden. Das ist nicht hinnehmbar und hier müsste der Gesetzgeber über Steuergesetze und auf andere Art und Weise eingreifen.

Telebörse.de: Wieviel sollten Manager bezahlt bekommen?

Gregor Gysi: Es gab mal die Vorstellung, dass ein Manager nur das 20fache vom Durchschnittsverdienst in seinem Unternehmen verdienen soll. Wie dem auch sei, der Staat könnte auf jeden Fall Gehälter in Millionenhöhe, Abfindungen in Millionenhöhe ganz anders besteuern und dadurch indirekt einen Beitrag leisten, die Verhältnisse gerechter zu gestalten.

Telebörse.de: Ist es nicht so, dass Politiker derzeit bei denen auf Stimmenfang geht, die verständlicherweise ihren Mitmenschen keine Top-Gehälter zugestehen, weil sie selber nicht wissen, wie sie finanziell über die runden kommen sollen? Und wenn ja, finden Sie das legitim?

Gregor Gysi: Sie werden mit der Einschätzung von Politikerinnen und Politikern nicht ganz Unrecht haben. Aber es gibt auch solche, die immer die gleichen Töne anschlagen und denen sollte man glauben. Es gibt einen einfachen Maßstab. Wenn Politiker wie ich Steuergesetze vorschlagen, bei denen sie selber mehr zahlen müssten, dann verdienen sie auf jeden Fall mehr Vertrauen als jene, die regelmäßig das Gegenteil vorschlagen.

Telebörse.de: Wie könnten wir die Verteilung der Einkommen gerechter gestalten ohne unserer Wirtschaft damit zu schaden?

Gregor Gysi: Eine gerechte Verteilung von Einkommen schadet keiner Wirtschaft, im Gegenteil, sie nutzt ihr. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die angemessen verdienen, sind bei der Arbeit viel motivierter. Sie stehen zu ihrem Unternehmen, zum Produkt. Schlecht bezahlte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, auch noch solche ohne Kündigungsschutz haben einen Mangel an Selbstwertgefühl, sind von Angst getragen. Das nutzt keiner Wirtschaft.

Telebörse.de: Ist es nicht von Vorteil, dass wir den Gürtel bald noch wesentlich enger schnallen müssen, weil wir uns dann auf andere - nicht kapitalistische - Werte besinnen werden? Wird die Gesellschaft dann nicht zwangsläufig eine Kehrtwendung hin zu Werten wie Familie, Liebe, Freundschaft, Beziehung machen. Oder andersrum gefragt: ist Krankheit unserer Zeit, die Beziehungsarmut, nicht eine direkte Folge der Überbewertung des Materiellen?

Gregor Gysi: Meines Erachtens muss man die Krankheit anders beschreiben. Es findet eine Vereinzelung des Menschen statt. Nicht die Überbewertung des Materiellen, sondern eine falsche Art der Individualisierung hat zu den Störungen in unserer Gesellschaft geführt. Im Staatssozialismus war es so, dass der Mensch vornehmlich als gesellschaftliches Wesen und zu wenig als Individuum angesehen wurde. Heute wird der Mensch vorwiegend als Individuum und zu wenig als gesellschaftliches Wesen angesehen. Ich strebe einer Gesellschaft an, in der begriffen wird, dass der Mensch beides ist: Ein Individuum und ein gesellschaftliches Wesen.

Telebörse.de: Und an dieser Stelle: Besitzen Sie Aktien? Wenn ja, welche und warum gerade die? Wenn nicht, wie würden Sie investieren?

Gregor Gysi: Aber ich bitte Sie. Mir fehlt diesbezüglich der Hang zum Risiko.

Telebörse.de: Und zuvorletzt: Worin unterscheiden sich aus Ihrer Sicht Heuschrecken von vernünftigen Finanzinvestoren?

Gregor Gysi: Das ist ziemlich einfach. Die einen wollen etwas kaufen, um es zu zerlegen und nach kurzer Zeit teurer weiter verkaufen zu können. Dazu vernichten sie Arbeitsplätze usw. Die anderen haben langfristige Ziele. Sie wollen in ein Unternehmen investieren, sie denken nicht beim Erwerb an Weiterverkauf. Auch sie wollen Gewinn machen aber in einer Art und Weise, dass auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und überhaupt die Gesellschaft davon etwas haben.

Telebörse.de: Dann zuletzt: Was hat Ihnen im scheidenden Jahr am meisten Hoffnung gegeben und was wünschen Sie sich für das kommende Jahr?

Gregor Gysi: Am meisten Hoffnung hat mir gegeben, dass immer mehr Menschen die Ziele eines Mannes wie Präsident George W. Bush durchschauen und nicht bereit sind, ihm zu folgen. Für das nächste Jahr wünschte ich mir, dass der Westen insgesamt aus der Spirale der Gewalt aussteigt. Wir dürfen nicht länger Ressourcen militärisch sichern oder erobern und wir dürfen Terror auch nicht mit Krieg bekämpfen, weil Krieg neuen Terror erzeugt.

Die Fragen stellte Telebörse.de-Redakteurin Meera Acharyya