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Wagenknecht: Reiche zur Kasse bitten

Im Wortlaut von Sahra Wagenknecht,

 

Im Schuldenstreit mit Griechenland widerspricht Sahra Wagenknecht Bundeskanzlerin Merkel: Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei sagte im DLF, die Auflagen der Gläubiger seien falsch. Stattdessen plädierte sie für drastische Abgaben für die griechische Oberschicht - und verwies auf ein historisches Vorbild aus Deutschland. 

 

Das Interview in voller Länge:

 

Dirk-Oliver Heckmann: Die Rede war von einer Woche der Entscheidungen in Sachen Griechenland, und tatsächlich werden die Abstände der Verhandlungen auf Spitzenebene immer kürzer. Am Montag das Treffen im Kanzleramt in Berlin, am Mittwoch der Verhandlungsmarathon in Brüssel, das nächste Spitzentreffen steht in diesen Tagen an. Die hektische Betriebsamkeit hat ihren Grund, denn immer näher läuft Athen auf die Staatspleite zu. Allein heute wurde eine Rückzahlung an den Internationalen Währungsfonds in Höhe von 300 Millionen Euro fällig. Doch die wurde verschoben. Telefonisch zugeschaltet ist uns jetzt Sahra Wagenknecht, Erste stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke. Guten Morgen, Frau Wagenknecht!

Sahra Wagenknecht: Guten Morgen.

Heckmann: Athen zieht die Sambia-Option und verschiebt alle für diesen Monat fälligen Rückzahlungen auf Ende des Monats. Zeigt das, der Zahlungsausfall steht unmittelbar bevor? Denn vorher hat man ja noch gesagt, man werde zahlen und auch zahlen können.

Wagenknecht: Es war aber doch allen klar, dass Griechenland irgendwann nicht mehr zahlen kann. Vielleicht hätten sie irgendwo noch die 300 Millionen zusammengekratzt, aber es kommen ja jetzt demnächst viele, viele Milliarden, im Sommer sind es über 20 Milliarden an Rückzahlungen. Die kann dieses Land nicht zahlen, weil Griechenland seit dem Jahr 2010 überschuldet ist, und deswegen ist natürlich auch jetzt das wieder keine Lösung. Es ist Zeit gekauft und Zeit gewonnen, aber das Problem ist, dass Griechenland einen erheblichen Teil seiner Schulden nie wird zurückzahlen können. Und wenn man jetzt neue Kredite macht, damit alte Schulden zurückgezahlt werden, ist das auch überhaupt keine Lösung.

Sie sagen, Griechenland wird nicht zahlen können. Umso größer wäre die Notwendigkeit eigentlich gewesen, entsprechende Maßnahmen von Seiten der griechischen Regierung einzuleiten, oder?

Wagenknecht: Na ja, die Frage ist doch, welche Maßnahmen braucht Griechenland, und das Problem ist, dass von Seiten der Troika - die heißt ja jetzt die Institutionen, also EZB, EU-Kommission und auch die Euroländer - immer wieder ein Maßnahmenpaket diktiert wird, Lohnkürzungen, Rentenkürzungen, Privatisierungen. Das macht Griechenland inzwischen seit fünf Jahren und das Ergebnis ist, die Wirtschaft ist eingebrochen, das Land ist ärmer als zuvor und die Schulden sind in dieser ganzen Zeit immer weiter gestiegen. Und man muss doch irgendwann mal darüber nachdenken, ob es sinnvoll ist, einem Land ein Programm aufzuerlegen, das am Ende genau den gegenteiligen Effekt hat, den es angeblich haben soll. Es löst das Schuldenproblem nicht, es verschlimmert das Schuldenproblem. Das heißt, wenn Griechenland auch nur einen Teil seiner Schulden zurückzahlen will, dann braucht es zwei andere Dinge: Es muss erstens die Wirtschaft wieder auf die Beine bringen, es muss wieder investiert werden in Griechenland, damit überhaupt was erwirtschaftet wird und vielleicht auch mal exportiert wieder werden kann. Und das zweite Entscheidende ist: Es muss eine deutlich höhere, ich würde sogar sagen drastische Besteuerung derer geben, die das Ganze, nämlich die ganze Misere mit angerichtet haben, von ihr profitiert haben, und das ist die griechische Oberschicht. Und genau das hat ja die griechische Regierung durchaus jetzt vorgeschlagen.

Vorgeschlagen, aber immer noch nicht umgesetzt. Woran liegt das denn? Wie erklären Sie sich das denn, dass die Syriza-Regierung, die linke Syriza-Regierung, die ja mit einer rechtspopulistischen Partei zusammenarbeitet, nicht einmal diese Ankündigung wahr gemacht hat bisher? 

Wagenknecht: Meines Wissens ist das im Gesetzgebungsprozess, aber ich könnte mir durchaus auch vorstellen, dass man sehr viel weitergehende Maßnahmen in dieser Richtung beschließt. In Deutschland gab es nach dem zweiten Weltkrieg den sogenannten Lastenausgleich. Da ging es um 50 Prozent des Vermögens derer, die sehr wohlhabend waren. Eine solche Vermögensabgabe in Griechenland könnte ich mir durchaus vorstellen. Man muss einfach wissen: Etwa 600 Familien gehört in Griechenland ein Großteil der Wirtschaft und diese 600 Familien haben nicht nur ein riesiges Vermögen, sondern sie haben in den letzten Jahren, selbst in der Krise dieses Vermögen weiter ausgebaut. Aber man muss auch sagen, auch in Folge der Maßnahmen, die von der EU oder von der Eurozone, von der Troika vorgeschlagen wurden. Zum Beispiel die Privatisierungen haben die griechische Oberschicht reicher gemacht. Da wurde Staatsvermögen regelrecht verschleudert, und das ist genau der gegenteilige Effekt. So kann man am Ende Schulden noch weniger zurückzahlen. Und das heißt, der deutsche Steuerzahler wird irgendwann sehr, sehr großen Verlusten ins Auge sehen müssen.

Sie haben gerade gesagt, Frau Wagenknecht, die griechische Regierung, die jeweils amtierende griechische Regierung, muss man ja dazu sagen, habe in den letzten fünf Jahren die Reformen umgesetzt, die ihnen von den Geldgebern aufoktruiert worden seien. Das sehen aber die Euroländer völlig anders. Denen reicht das noch überhaupt gar nicht, was da an Reformen vorgelegt wurde, auch beispielsweise beim Thema Privatisierungen.

Wagenknecht: Na ja, man muss ja schon sehen, dass in Griechenland die Löhne drastisch gesunken sind. Der durchschnittliche Arbeitnehmer hat heute fast die Hälfte weniger Einkommen als vorher.

Und daran sind die Geldgeber schuld?

Wagenknecht: Ja! Das war ja eine Auflage. Die Mindestlöhne wurden abgesenkt, es wurden gerade im öffentlichen Bereich massive Eingriffe in die Lohnstruktur vorgenommen, die Renten wurden gesenkt, das Gesundheitssystem wurde auch fast um die Hälfte reduziert, mit dem Ergebnis: sehr, sehr viele Ärzte wurden entlassen, die sind ausgewandert, die sind gar nicht mehr da in Griechenland, was natürlich für ein Land auch nicht gerade ein Wirtschaftsförderungsprogramm ist, wenn ich Ärzte ausbilde, die dann alle im Ausland ihr Heil suchen müssen, weil sie im eigenen Land keine Chance mehr haben. Das sind natürlich falsche Auflagen. Und bei den Privatisierungen ist inzwischen auch belegt, diese Privatisierungen haben in einer Weise - und zwar unter Aufsicht der Troika - stattgefunden, wo es teilweise nur einen Bieter gab, der dann aus der griechischen Oberschicht kam und der teilweise zur Hälfte des Verkehrswertes riesige Ländereien oder sehr, sehr wertvolle Immobilien bekommen hat, und das ist natürlich ein Ausverkauf des Staates. Das ist eine völlig falsche Politik gewesen, und das Schlimme ist, dass bis heute an dieser Politik festgehalten wird. So sind die Wahrscheinlichkeiten, dass Steuergeld zurückkommt, dass die Schulden gezahlt werden können, immer weiter minimiert worden und nicht vergrößert worden.

Frau Wagenknecht, ohne das Geld der Geldgeber wäre Athen längst pleite. Bereuen Sie inzwischen eigentlich, dass Sie sich enthalten haben im Bundestag bei der Verlängerung des Griechenland-Pakets?

Wagenknecht: Nein. Ich finde, die Entwicklung hat ihm ja sehr Recht gegeben. Dieses Griechenland-Paket war ja keine Hilfe für Griechenland. Es ist ja auch bis heute kein Geld geflossen. Und ich finde, es war eine absolut richtige Position, dass wir als Linke seit 2010 gesagt haben, dieser Weg ist ein falscher Weg.

Eine Position, die Die Linke aber geräumt hat.

Wagenknecht: Na so ganz geräumt hat Die Linke sie nicht.

In ihrer Mehrheit. 70 Milliarden Euro Verlust sind möglich.

Wagenknecht: Wir haben ja sehr unterschiedlich abgestimmt und es ist auch völlig offen, wie wir uns demnächst verhalten werden. Aber man muss doch im Nachhinein sagen, wenn man nicht 2010 diesen fatalen Fehler gemacht hätte, einem überschuldeten Staat Kredite zu geben auf Steuerzahlerkosten, und damit die Banken aus der Haftung zu nehmen, dann hätten wir jetzt nicht dieses Problem, dass vielleicht Deutschland demnächst 60 Milliarden, 70 Milliarden Euro Verluste macht.

Das heißt, es war ein großer Fehler Ihrer Kolleginnen und Kollegen in der Linken-Fraktion, die der Verlängerung dieses Griechenland-Pakets zugestimmt haben, unter anderem Gregor Gysi?

Wagenknecht: Die, die damals zugestimmt haben, haben das natürlich getan, weil sie gehofft haben, dass der neuen Regierung dadurch erst mal eine Atempause verschafft wird, dass sie erst mal die Chance bekommt, überhaupt ihre Programme umzusetzen. Nur genau das ist nicht eingetreten. Sie haben keinen einzigen Euro bekommen, sie haben keine Atempause bekommen, sondern sie haben immer wieder den Druck bekommen, macht weiter wie bisher, kürzt weiter die Löhne, kürzt weiter die Renten, und dass an die Oberschicht rangegangen wird, war nie eine Auflage der Troika. Das muss man auch sehen. Bis heute nicht.

Frau Wagenknecht, morgen beginnt in Bielefeld der Parteitag der Linken. Gregor Gysi will am Sonntag bekanntgeben, ob er weitermacht als Fraktionschef oder nicht. Wissen Sie es schon?

Wagenknecht: Ich denke, Gregor Gysi wird das am Sonntag allen sagen, und dann werden wir uns auch dazu verhalten.

Meine Frage war, ob Sie es wissen.

Wagenknecht: Ich glaube, selbst wenn ich es wüsste, würde ich es nicht medial erzählen.

Aber Sie können uns bestimmt sagen, ob Sie es sich wünschen würden, dass Gregor Gysi weitermacht.

Wagenknecht: Ja natürlich würde ich es mir wünschen, weil er natürlich für Die Linke eine ganz wichtige Persönlichkeit ist, und deswegen wäre es eine sehr gute Lösung, wenn er weitermachen würde.

Wenn Gysi aber aufhören sollte, dann wird eine neue Fraktionsführung gesucht. Sie haben ja vor rund drei Monaten, glaube ich, war das, darauf verzichtet, die Fraktionsvorsitzende zu werden. Gilt das eigentlich noch, auch wenn Gregor Gysi sich zurückziehen sollte?

Wagenknecht: Wissen Sie, ich habe wirklich kein Interesse, jetzt die Partei und die Öffentlichkeit auch noch vor dem Parteitag mit irgendwelchen Personalspekulationen zu unterhalten, und insoweit denke ich, wir warten erst mal ab, was Gregor Gysi am Sonntag sagen wird.

Ein Dementi hört sich anders an.

Wagenknecht: Es geht nicht darum, ob ich ein Dementi mache, sondern es geht darum, dass am Sonntag überhaupt Gregor Gysi erst mal die Chance hat und auch die Gelegenheit ergreifen wird, sich zu erklären, und ich halte es für überhaupt nicht sinnvoll, vorher irgendwelche anderen Modelle, Möglichkeiten oder was auch immer zu debattieren.

Dann halten wir fest, dass Sie sich das durchaus offenhalten, diese Entscheidung.

Wagenknecht: Das ist Ihre Interpretation.

Wir werden sehen, wie sich das weiter entwickelt. - Sahra Wagenknecht war das, Erste stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Linken. Frau Wagenknecht, danke für dieses Gespräch, danke für Ihre Zeit, einen schönen Tag noch.

Wagenknecht: Sehr gerne. Tschüss!

 

Deutschlandfunk, 5. Juni 2015

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