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Streik bei Ikea Hannover

Streik bei IKEA: Heute keine Köttbullar!

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IKEA Deutschland hat im Geschäftsjahr 2022 ein Umsatzplus von 7,1 Prozent gemacht. Wie viel davon werden sich die Beschäftigten zurückholen? Ein Besuch kurz hinter der Autobahnausfahrt bei Hannover.

Das gab es im Einrichtungshaus in Großburgwedel bei Hannover noch nie: »Wegen Streik bleibt heute unser Restaurant bis auf weiteres geschlossen.« Weil heute niemand die Brötchen backen kann, gibt es kein Frühstück. Die Rentnerinnen und Rentner, die hier jeden Morgen um 9.30 Uhr bei IKEA aufschlagen, um das günstige Frühstück und endlos viele Tassen Kaffee mit ihrer Family Card abzuholen, sind enttäuscht, aber nicht entrüstet. »Dann komme ich eben morgen wieder«, sagt ein Kunde und grüßt den streikenden Koch und die beiden Mitarbeiterinnen freundlich. Man kennt sich.

Seit 5 Uhr morgens steht der Pavillon der Gewerkschaft Ver.di auf dem Parkplatz. Es regnet. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Logistik sind die ersten, die sich dem Streik anschließen, es folgen Kolleginnen aus der Kantine und dem Restaurant, den Kassen und sogar der Küchenplanung. Nicht nur das Restaurant bleibt an diesem Märztag geschlossen, auch die beliebte Fundgrube. »Dann haben wir doch heute schon was geschafft«, sagt Betriebsratsvorsitzende Rebecca Jepson immer wieder.

Jepson ist seit zehn Jahren bei der Gewerkschaft, seit einem Jahr ist sie hier in Großburgwedel Betriebsratsvorsitzende. Genau wie ihr Vater, der dreißig Jahre Betriebsratsvorsitzender war. »Der guckt vielleicht gerade vom Himmel runter«, sagt sie, »und wird bestimmt stolz sein.« Jeder im Einrichtungshaus kennt sie hier als »Küchenfee« – beste Voraussetzung, wenn man ein ganzes Haus organisieren will. Von den 220 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind an diesem Tag zunächst erst etwa zwanzig streikbereit, im Laufe des Vormittags schließen sich aber immer mehr Kollegen an. Am Ende sind es etwa vierzig.

Becci, wie die Kolleginnen sie nennen, begrüßt alle herzlich. Sie berichtet von einem Krankenstand von 9 bis 10 Prozent, das sei höher denn je. An diesem Tag geht es um einen Tarifvertrag Zukunft, der Arbeitsplätze sichern soll, wenn Tätigkeiten von Maschinen übernommen werden. Ab dem 1. Mai ist allerdings auch der Tarifvertrag gekündigt, der die Entlohnung regelt. Die Beschäftigten fordern 2,50 Euro mehr pro Stunde. »Wir nehmen auch mehr«, scherzt Jepson. Gerade in der Küche werde »wie im Akkord gearbeitet«. Dafür verdient man dort das »beschissenste Gehalt«, ergänzt der Koch. IKEA Food Deutschland ist einer der größten Systemgastronomieanbieter im ganzen Land. Mit Ausnahme der Corona-Pandemie verzeichnete das Unternehmen jährlich steigende Rekordumsätze.

IKEA werde auch unter Beschäftigten immer wieder als Familie, als Gemeinschaft wahrgenommen, sagt Gewerkschaftssekretär Mizgin Ciftci gleich zu Beginn seiner Rede vor den Streikenden. Das Unternehmen habe im letzten Jahr Rekordgewinne von 50 Milliarden Euro eingefahren, fährt er fort – aber von Rekordgehältern sei keine Spur.

Es ist seine Feuertaufe in diesem Betrieb, den er gerade erst übernommen hat. Im Handel, so Ciftci, sei es besonders schwer, die Beschäftigten zu organisieren: Der Anteil an Frauen, die sich nebenher noch um die Sorgearbeit kümmern, ist hoch, die Bezahlung schlecht, viele arbeiten in Teilzeit. Bei einigen Firmen kommt auch noch massiv gewerkschaftsfeindliches Verhalten hinzu. Aber »die Gewerkschaft«, das betont er in seiner Ansprache, »ist eine Selbsthilfeorganisation«. Er ist sich sicher: Die Kolleginnen und Kollegen im Einzelhandel sind bereit, sich zu wehren. Für den Tarifvertrag fordern die Beschäftigten 2,50 Euro mehr pro Stunde; das entspricht einer Gehaltssteigerung von 14 Prozent für eine einfache Verkäuferin und 400 Euro brutto mehr im Monat. Das sei gerade für die unteren Entgeltgruppen entscheidend. Eine Forderung, für die es sich aus Ciftcis Sicht zu kämpfen lohnt. Er greift alle Mitarbeiter vor dem Eingang ab und versucht jeden und jede davon zu überzeugen, mitzustreiken. Es ist auch eine Aufwärm­runde für den Mai.

Bei einigen gelingt es. Sie ziehen sich munter die knallgelbe Warnweste an und treten in die Gewerkschaft ein. Heute seien es schon drei gewesen, sagt Ciftci, eine vierte Person habe es versprochen. »Das glaube ich aber erst, wenn ich die Unterschrift habe.« Einige, die schon lange hier beschäftigt sind und an diesem Tag zum ersten Mal streiken, sind selbst davon überrascht, dass sie trotz des miesen Wetters lieber auf dem Parkplatz stehen als im Büro oder an der Kasse. Auf die Frage, was ihn überzeugt hätte, antwortet ein Kollege, der seit 25 Jahren bei Ikea arbeitet: »Als Mizgin zu unserer Betriebsversammlung gekommen ist, das hat mich einfach überzeugt, seine ganze Art, sein Wille. Und da dachte ich mir: Warum soll ich als kleiner IKEA-Fuzzi nicht auch mal streiken?«

In diesem Streikfrühling waren es Beschäftigte bei der Bahn, bei der Post und im öffentlichen Dienst, die für einen höheren Lohn und mehr Anerkennung für ihre Arbeit streikten. Insgesamt sind es fast 10 Millionen Menschen in Deutschland, die sich für einen Inflationsausgleich einsetzen. An die 2,6 Millionen Beschäftigten im Einzelhandel und die knapp 1,2 Millionen im Groß- und Außenhandel senden diese vorangegangenen Streiks ein wichtiges Signal. Eine Kollegin, die an diesem Morgen ebenfalls zum ersten Mal streikt, sagt, sie habe bei ihrem Mann im öffentlichen Dienst erlebt, was die Streiks bedeuten. Sie habe das Gefühl, im ganzen Land entstehe gerade so eine Bewegung. Sie zeigt hinter den Streikposten auf den blauen Klotz mit den gelben Großbuchstaben: »Ich tue es also auch für alle da drinnen.«