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Steuergelder verbrannt

Im Wortlaut von Sabine Leidig,

Der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG stimmte in dieser Woche einstimmig für das Megaprojekt »Stuttgart 21«. Gleichzeitig wurde bekannt, daß das Vorhaben auch nach offiziellen Bahn-Kalkulationen einen Kostensprung von 3,0 auf 4,1 Milliarden Euro gemacht hatte. Der für den Infrastrukturbereich - und damit auch für »Stuttgart 21« - verantwortliche Top-Bahnmanager Stefan Garber mußte auf derselben Sitzung seinen Hut nehmen - angeblich aus Gründen, die nichts mit der Kostenexplosion bei »Stuttgart 21« zu tun haben. Problematisch ist, daß auch die Beschäftigtenvertreter, darunter führende Mitglieder der Gewerkschaft Transnet, dem Vorhaben zustimmten (laut Transnet-Mitteilung erfolgte dies »zähneknirschend«).

In Stuttgart verkündeten die Repräsentanten von Bund, Bahn, baden-württembergischer Landesregierung und der Stadt Stuttgart, daß einem zügigen Baubeginn nichts mehr im Wege stünde. Einiges spricht dafür, daß die Herren sich ein weiteres Mal irren. So wie sie seit der erstmaligen Projektpräsentation vor 15 Jahren den Baubeginn mehrmals verschieben mußten. Tatsächlich gibt es drei grundsätzliche Einwände gegen Stuttgart 21:

Erstens - verkehrpolitisch unsinnig: Eine Tieferlegung des Hauptbahnhofs und die Umgestaltung des bisherigen Kopfbahnhofs in einen Durchgangsbahnhof bringen keinen verkehrspolitischen Nutzen. Die Zeitgewinne im Minutenbereich werden aufgefressen durch eine Rolltreppenodyssee zu den 24 Meter tiefer liegenden Gleisen und durch zusätzliche Halte am neuen ICE-Bahnhof am Stuttgarter Flughafen. Im übrigen gibt es mit dem »K21«, einer Optimierung des Kopfbahnhofs, eine überzeugende Alternative.

Zweitens - sündhaft teuer: »Stuttgart 21« ist bereits heute ein Milliardengrab. Die aktuell genannten vier Milliarden Euro Projektkosten werden noch deutlich getoppt. Der Bundesrechnungshof (BRH) kalkulierte in einem dem Bundestagsverkehrsausschuß übermittelten Bericht vom 30.10.2008 wie folgt: Die Gesamtkosten lägen nach »Erkenntnissen des Bundesministeriums für Verkehr (...) bei deutlich über 5400 Millionen Euro«. Wenn in diesen Tagen von vier Milliarden Euro die Rede ist, dann steht das in offenem Widerspruch zu den BRH-Berechnungen von vor gut einem Jahr. Nimmt man den Ausgangspunkt von 2,5 Milliarden Euro von 1995, so gab es real mehr als eine Verdopplung der Kalkulation - noch vor Baubeginn.

Drittens - Affront gegen die Bevölkerung und Mißachtung von Demokratie: In der Öffentlichkeit und in einem aktuellen Bericht des Bundesverkehrsministeriums vom 2. Dezember heißt es: »Stuttgart 21 (…) ist kein Projekt des Bedarfsplanes für die Bundesschienenwege, sondern ein unternehmerisch eigenwirtschaftliches Projekt der DB AG.« Das ist falsch. Tatsächlich handelt es sich nach Auffassung des Bundesrechnungshofes genau um dieses - um ein Projekt des Bundes. Dies deshalb, weil die Mehrheit der Projektkosten vom Bund zu tragen sind. Der Rechnungshof kommt auf »2553 Millionen Euro Finanzierungsanteile des Bundes«, womit der Bund auch »die Hauptlast der Finanzierung« tragen würde. Teil der Kostenanteile des Bundes sind laut BRH die mit »Stuttgart 21« verbundenen Grundstückserlöse im Wert von 1,4 Milliarden Euro: Die DB AG verkauft Bahngelände, das mit »Stuttgart 21« bahntechnisch nicht mehr erforderlich ist, bucht das als Bahneinnahmen, um diese Gelder dann in »Stuttgart 21« zu investieren. Der Rechnungshof argumentiert zutreffend, daß es »gängiger Praxis bei Schienenwegevorhaben des Bundes« entspricht, »Erlöse aus solchen Grundstücksverkäufen« als Teil des »Finanzierungsanteils des Bundes« zu werten.

Der Bund weigert sich, das Projekt als sein eigenes anzuerkennen, weil in einem solchen Fall die Gesamtkalkulation im Haushaltsausschuß des Bundestags durchleuchtet würde. Im Klartext: Dann würde deutlich, daß hier im Interesse einer lokalen Betonlobby - und zwar im politischen wie im wirtschaftlichen Sinn - Steuergelder in Höhe von weit über fünf Milliarden Euro verbrannt werden. Diese Gelder fehlen an anderen Stellen im Verkehrssektor des Südweststaats.

Von Sabine Leidig, verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag