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Foto: Rico Prauss

Sozialismus auf grünem Rasen?

Kolumne von Dietmar Bartsch,

 

Von Dietmar Bartsch, 2. stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

In dieser Kolumne geht es, so ist allwöchentlich im Kopftext zu lesen, um Schwerpunkte der Arbeit unserer Bundestagsfraktion. Das ist dieses Mal nicht direkt der Fall. Die Redaktion hat mich gebeten, meine Sicht auf eine der schönsten Nebensachen der Welt aufzuschreiben. Die Nebensächlichkeit wird allerdings in den nächsten Wochen in aller Munde sein. Auf ein paar Hiebe werde ich mich trotzdem einstellen müssen…

Also: Hier stehe ich, kann und will nicht anders und bekenne: Ich bin Fußballfan und freue mich auf die bevorstehende Weltmeisterschaft. Mit Freude werde ich mich einlassen auf den Disput über den Zehner im Sechzehner, über die doppelte Sechs, die falsche Neun und natürlich den Streit in der Königsdisziplin schlechthin: War es nun Abseits oder nicht? Viele Leserinnen und Leser werden das ebenso sehen, einige werden eine solche Haltung tolerieren, manche werden sie ablehnen. Bei Letzteren denke ich weniger an jene, die mit Fußball überhaupt nichts am Hut haben. Die soll es ja auch geben.

Es gibt gute und gewichtige Gründe, Großereignisse wie das jetzt in Brasilien stattfindende abzulehnen. Selbstverständlich muss der Gigantismus solcher Großveranstaltungen wie Olympischer Spiele oder eben Fußballweltmeisterschaften kritisiert und – sollen sie eine Zukunft haben – letztlich auch überwunden werden. Auch halte ich es für unerträglich, wenn der Fußballweltverband seit Jahrzehnten Vorwürfe von Betrug und Korruption nicht glaubhaft aus der Welt schaffen kann und eher Anlässe bietet, dass es immer mehr und immer härtere werden. Die FIFA wird die Gewinnerin der Weltmeisterschaft in Brasilien sein, das steht lange vor dem Endspiel fest – und das ist schlimm! Es gibt weitere sehr ernste Gründe gegen derartige Spektakel. Natürlich dürfen wir nicht schweigen, wenn selbstherrliche Regenten Skisport in den Tropen oder Ballspiele in der Wüste inszenieren, wenn sie schwere Verstöße gegen Menschenrechte in Kauf nehmen, von der Diskriminierung Homosexueller bis zu menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen zum Beispiel beim Bau der Sportstätten. Und wir dürfen nicht die Augen schließen oder tatenlos zusehen, wenn Millionen Menschen in den Ausrichterländern sportlicher Großveranstaltungen in bitterer Armut leben, wenn, neben ein paar vernünftigen Investitionen in die Infrastruktur, in Größenordnungen (Protz-) Bauten entstehen, für die es dauerhaft keine sinnvolle Nutzung gibt. Dass Fußballspiele medial oft wie Schlachten zelebriert werden, ist mindestens gedankenlos in einer Zeit, da es in vielen Ecken der Welt brennt.

Ich glaube allerdings nicht, dass wir ausgerechnet im Sport die heile Welt schaffen können, und ich glaube ebenso wenig, dass ein Verzicht auf große sportliche Wettkämpfe auch nur eines der Übel dieser Welt wird beseitigen können. Man mag mich einen treuherzigen Träumer nennen, aber ich will mich vom völkerverbindenden Ansatz der olympischen Idee nicht verabschieden. Vom "Sommermärchen 2006", der Fußball-WM in Deutschland, ist bei mir das Bild einer sympathischen Weltoffenheit hängen geblieben, nicht das dumpfer Deutschtümelei, die es damals leider auch gab (und weiter gibt).

So werde ich in den nächsten Wochen hoffentlich viele Spiele sehen können, leidenschaftlich mit diskutieren, ob dieser oder jener Elfmeter berechtigt oder Folge einer Schwalbe war, ich werde hier und da mit den Außenseitern fiebern und mich gelegentlich als Beobachter schlicht freuen, wenn es guten Sport zu sehen und Spannung zu erleben gibt.

Ganz sicher aber wird für mich der Fußball nicht zum Mittelpunkt der Welt. Für derartige Übertreibungen gibt es unselige Beispiele genug. Zu den eher harmlosen zählt, wenn ein Sportreporter in einer TV-Quizsendung eine Fußballfrage falsch beantwortet und die Boulevardpresse sogleich von der 2größten TV-Blamage aller Zeiten" spricht.

William Shankly, ein schottischer Fußballspieler und -trainer, hat wunderbare Zitate hinterlassen und entwickelte fast eine Philosophie zum Spiel: "Im Sozialismus, an den ich glaube, arbeitet jeder für den anderen und alle bekommen einen Teil des Gewinns. So sehe ich Fußball, so sehe ich das Leben."

Von Shankly stammt auch ein Spruch, bei dem sich vielleicht sogar hartgesottene Fans und humorvolle Gegner dieses Sports treffen können: "Es gibt Leute, die denken Fußball ist eine Frage von Leben und Tod. Ich mag diese Einstellung nicht. Ich kann ihnen versichern, dass es noch sehr viel ernster ist."