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Schwarz-gelbe Placebo-Politik schont Finanzhaie

Interview der Woche von Sahra Wagenknecht,

Sahra Wagenknecht, wirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion, spricht sich dafür aus, die Finanzierung der Staaten von den Kapitalmärkten abzukoppeln und gesellschaftlichen Druck und Widerstand zu erhöhen.

In Griechenland, Portugal und Spanien antworten die Regierungen mit Sozialabbau auf die aktuelle Wirtschaftskrise. Auch in Deutschland kürzt die Bundesregierung bei Erwerbslosen, Familien und hilfsbedürftigen Senioren. Ist diese Politik alternativlos?

Sahra Wagenknecht: Was die Bundesregierung macht, ist dreiste Interessenpolitik. Statt die Verursacher der Krise und die Profiteure der vorangegangenen Spekulationsparty für die entstandenden Milliardenverluste haftbar zu machen, werden diese Verluste jetzt Hartz IV-Bezieher und Geringverdienern aufgehalst. Das ist unerträglich. Die Alternative bestünde darin, die Reichen zur Kasse zu bitten. Aber dazu sind die Regierenden schon seit vielen Jahren zu feige.

Seit dem Jahr 2008 sind in Deutschland die Staatsschulden um 180 Milliarden Euro gestiegen. Was würden Sie tun, um den Staatshaushalt zu sanieren?

Mir das Geld bei denen zurückholen, die diesen Anstieg der Staatsverschuldung zu verantworten haben. Das sind nicht die Bezieher sozialer Leistungen, sondern in erster Linie die Banken. Allein deren Rettung hat nach Angaben der Bundesbank die Staatsverschuldung in den letzten beiden Jahren um 98 Milliarden Euro nach oben getrieben. Wir brauchen also endlich eine Finanztransaktionssteuer, die selbst mit einem moderaten Satz von 0,05 Prozent in Deutschland 27 Milliarden Euro im Jahr ins Staatssäckel spülen könnte. Und wir brauchen eine ordentliche Bankenabgabe, ähnlich des Vorschlags von US-Präsident Obama, die 9 Milliarden Steuereinnahmen bringen würde. Bezahlen würden das Großbanken und Versicherungen, also genau die Richtigen. Darüber hinaus sollten all die Steuergeschenke an Reiche und Konzerne, die seit der Regierung von SPD und Grünen verteilt wurden, rückgängig gemacht werden.

In welchem Umfang würde eine sozial gerechte Steuerreform den Bundeshaushalt entlasten?

Allein die Wiederherstellung der Steuersätze der Ära Kohl würde etwa 100 Milliarden Euro Mehreinnahmen im Jahr bedeuten. Das wäre eine gewaltige Entlastung, und alle sozialen Kürzungsorgien wären mit einem Schlag überflüssig. Zudem ist es überfällig, dass große Vermögen endlich auch in Deutschland wieder besteuert werden, so wie in vielen anderen Ländern auch. Würden Privatvermögen, die eine Millionen Euro übersteigen, mit einem Steuersatz von fünf Prozent belastet, ergäbe das noch mal 80 Milliarden Euro im Jahr für handlungsfähige Länder und Kommunen. Wenn man dagegen ein Steuer-Eldorado für Reiche und Vermögende schafft, muss man sich nicht wundern, wenn die öffentlichen Kassen leer sind. Das hat die Politik selbst zu verantworten.

Kanzlerin Merkel verspricht ständig, alles unternehmen zu wollen, um eine neue Finanzkrise zu verhindern. Wie beurteilen Sie die bisherigen Bemühungen der Kanzlerin?

Das ist alles eine elende Heuchelei. Tatsächlich ist im nationalen Rahmen fast gar nichts passiert. Und man kann auch nicht sagen, dass die Bundesregierung ihr Gewicht auf europäischer Ebene wirklich eingesetzt hätte, um eine Re-Regulierung der Finanzmärkte zu erreichen. Vielmehr wird nach wie vor gezockt, als hätte es den Crash nie gegeben. Die Deutsche Bank etwa verdankt 90 Prozent ihrer Gewinne spekulativen Wettgeschäften.

Auch auf Zahlungsprobleme ganzer Staaten wird weiter gewettet und damit deren Zinslast nach oben getrieben.

Ja, aktuell geht es gegen Spanien. Die nächsten Adressaten könnten Portugal, Irland oder auch Italien sein. Das Verbot von ungedeckten Leerverkäufen und bestimmter Geschäfte mit Kreditausfallversicherungen (CDS), das die Bundesregierung jetzt beschlossen hat, deckt nicht einmal die Spitze des spekulativen Eisbergs ab. Das ist Placebo-Politik, die Handlungsfähigkeit vortäuschen soll, ohne den Finanzhaien wehzutun.

Was müsste aus Ihrer Sicht unmittelbar getan werden?

Die Finanzierung der Staaten muss von den Kapitalmärkten abgekoppelt werden. Es kann nicht sein, dass sich die Deutsche Bank bei der Europäischen Zentralbank für ein Prozent Zinsen Geld beschaffen kann. Der deutsche Staat aber darf das nicht, sondern muss sich das Geld bei den Banken für drei Prozent holen. Und andere EU-Staaten zahlen noch deutlich mehr. Außerdem müssen bestimmte Zockerinstrumente wie Kreditausfallversicherungen generell verboten werden. Sie haben überhaupt keinen volkswirtschaftlichen Wert. Bis Mitte der neunziger Jahre sind die Anleihemärkte problemlos ohne sie ausgekommen.

Sollten strukturierte Kreditderivate, die die Finanzkrise mitverursacht haben, ebenfalls verboten werden?

Ja. Überfällig sind außerdem Regeln, die die Banken zu deutlich höherem Eigenkapital verpflichten, damit nicht beim nächsten Crash wieder der Steuerzahler blechen muss. Und nicht zu vergessen: Die gigantischen weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte müssen abgebaut werden. Der notwendige Beitrag Deutschlands dazu wäre, endlich auf eine Stärkung des Binnenmarktes zu setzen statt weiter auf Exportdoping durch Lohndrückerei und Leiharbeit.

Ihre Fraktion ist im Bundestag in der Minderheit. Was muss passieren, damit Sie Ihre Forderungen umsetzen können?

Wir brauchen mehr gesellschaftlichen Druck und Widerstand. Die Demonstrationen am Wochenende in Berlin und Stuttgart waren ein wichtiger Anfang. Aber das muss weiter gehen. Und es muss auch in Deutschland selbstveständlich werden, sich mit den Mitteln des Arbeitskampfes gegen eine Politik zu wehren, die den Interessen der abhängig Beschäftigten ins Gesicht schlägt: Wir brauchen politische Streiks bis hin zum Generalstreik. Nur so kann verhindert werden, dass die Wirtschaftsmächtigen und ihre Parteien weiter so ungeniert durchziehen wie sie es bisher tun.

linksfraktion.de, 15. Juni 2010