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»Schutzverantwortung«

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

Gastkommentar

Von Sevim Dagdelen, Sprecherin für Internationale Beziehungen der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 



UNO, Europäische Union und Bundesregierung sind auffallend vorsichtig dabei geworden, die Verantwortung für die Toten im syrischen Ort Qubeir in der vergangenen Woche einseitig dem Assad-Regime zuzuordnen. Das war nach dem Massaker von Hula am 25. Mai noch anders: Die EU-Außenbeauftragte Ashton machte damals noch bevor die Zahl der Toten bekanntgewesen war, allein die Regimekräfte hierfür verantwortlich, und Bundesaußenminister Westerwelle (FDP) folgte dieser Einschätzung. Mittlerweile bezeichnet aber selbst die FAZ Berichte von syrischen Oppositionellen als glaubwürdig, die im Fall von Hula von einem fingierten Massaker der bewaffneten Rebellen sprechen.

EU und Bundesregierung sind daher zu einer neuen Strategie übergegangen, um ein bewaffnetes Eingreifen bzw. einen »Regime change« in Damaskus vorzubereiten: Sie beziehen sich auf diejenige Formulierung der sogenannten Schutzverantwortung, wonach eine Regierung ihre Legitimität nicht nur dann verliert, wenn sie sich selbst an ihrer Bevölkerung vergeht, sondern auch dann, wenn sie diese nicht schützen, wenn sie solche Massaker nicht verhindern kann. Eine Führung, die solche Taten in ihrem Land zulasse, habe jegliche Legitimität verspielt, erklärte etwa Regierungssprecher Seibert am vergangenen Freitag.

Das entspricht tatsächlich dem Konzept der »Schutzverantwortung«, bei der es sich nach Auffassung der Bundesregierung um eine sich etablierende völkerrechtliche Norm handelt, die ein militärisches Eingreifen ermöglicht. Tatsächlich handelt es sich bei »Responsibility to Protect« (R2P) um ein international anerkanntes Prinzip, aber keine völkerrechtlich verbindliche Regelung. »R2P« soll als Blankoscheck für gewaltsame Regimewechsel dienen, wie der Fall Syrien dokumentiert. Hier kooperiert Deutschland eng mit denjenigen Kräften, die den Konflikt seit Monaten durch Geld- und Waffenlieferungen eskalieren und hilft unmittelbar bei der diplomatisch-politischen Aufwertung der bewaffneten Opposition. Noch am 1. Juni hatte die Bundesregierung im UN-Menschenrechtsrat eine von Katar eingebrachte einseitige Resolution zum Massaker in Hula unterstützt und damit verhindert, daß dieser auch die von bewaffneten Gruppen der Opposition begangenen Menschenrechtverletzungen verurteilt.

junge Welt, 12. Juni 2012