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Schöngerechnet: Wie Regierung und Arbeitsagentur bei den Arbeitslosenzahlen tricksen

Nachricht von Sabine Zimmermann,

Im monatlichen Arbeitsmarktbericht der Bundesagentur für Arbeit (BA) werden die Arbeitslosenzahlen bundesweit, auf Länderebene und für die Bezirke der Arbeitsagenturen bekannt gegeben. Dabei wird der BA gesetzlich vorgeschrieben, wer als arbeitslos zu zählen ist. Die dafür maßgebliche Definition ist im Paragraphen 16 des SGB III festgelegt, aber auch in einer Reihe anderer Paragraphen finden sich Ausnahmeregelungen, wer als arbeitslos bzw. eben nicht als arbeitslos gilt. Dadurch ist die offizielle Zahl der Arbeitslosen deutlich unterzeichnet, das heißt, Personen, die de facto arbeitslos sind, werden nicht als arbeitslos erfasst und tauchen nicht in der Statistik auf. In der Vergangenheit hat es in der Zählweise der registrierten Arbeitslosigkeit immer wieder Änderungen gegeben, welche Personen nicht als arbeitslos zu zählen sind.

Auf Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sabine Zimmermann bestätigt die BA, dass es seit 1986 17 Gesetzesänderungen und Weisungen gegeben habe, die die Messung der Arbeitslosigkeit veränderten. Insgesamt seien dadurch die Arbeitslosenzahlen im Saldo sogar erhöht worden, behauptet die BA. Aber eine „Quantifizierung der Auswirkungen ist ... nur näherungsweise und nicht für alle Änderungen möglich“, heißt es in der Antwort.

Fest steht, dass seit 2004 Teilnehmende an Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik als nicht arbeitslos gelten. Seit 2009 gelten Hartz IV-Beziehende nicht mehr als arbeitslos, wenn sie 12 Monate Hartz IV-Leistungen bezogen haben, ohne dass ihnen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung angeboten wurde. Diese Komponenten der statistischen Nichterfassung von Arbeitslosigkeit werden seit 2009 von der Bundesagentur für Arbeit in der so genannten Unterbeschäftigung abgebildet, in der Personen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, vorruhestandsähnlichen Regelungen oder in Arbeitsunfähigkeit enthalten sind.

Im Jahr 2018 lag die offiziell angegebene Arbeitslosigkeit bei 2.340.000, die Unterbeschäftigung aber bei 3.263.000. Somit wurden 923.000 Menschen nicht als arbeitslos gezählt, obwohl sie es eigentlich faktisch waren. Dazu kommt noch die so genannte Stille Reserve im engeren Sinne. Dabei handelt es sich um Personen ohne Beschäftigung, die sich aber nicht arbeitslos gemeldet haben und momentan nicht aktiv nach Arbeit suchen, aber grundsätzlich (bei sehr guter Arbeitsmarktlage mit passenden individuellen Rahmenbedingungen) eine Arbeit aufnehmen würden. In seinem Kurzbericht 7/2019 gibt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der BA die Anzahl der Stillen Reserve im engeren Sinn für das Jahr 2018 mit 344.000 an. Unter dem Strich wurden so im Jahr 2018 1.267.000 Personen nicht offiziell als arbeitslos geführt und somit die Zahl der Arbeitslosen um 54,1 Prozent niedriger als tatsächlich angegeben.  

Dazu erklärt Sabine Zimmermann, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE:

"Die Bundesregierung rechnet sich die Zahlen schön. Die Arbeitslosenstatistik ist mehr Ausdruck einer politisch bestimmten Zählweise von Arbeitslosen als eine objektive unabhängige Größe. Erst jüngst hat der Bundesrechnungshof auf Unstimmigkeiten in der Erfassung von Arbeitslosigkeit hingewiesen.1 Wir brauchen endlich eine transparente Statistik, die für jeden nachvollziehbar ist. Es kann nicht sein, dass die Bundesregierung beschließt, wer als arbeitslos zu zählen ist und wer nicht. Einzelne Regelungen zur statistischen Erfassung konterkarieren sogar die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Zum Beispiel, dass arbeitslose über 58-jährige Hartz IV-Beziehende nach einem Jahr ohne Jobangebot automatisch nicht mehr als arbeitslos gelten. Dies schafft Anreize zur Nichtförderung dieser Personengruppe."

Zimmermann weiter:

"Der Anreiz, einen schnellen statistischen Erfolg zu erzielen, ist auch bei Maßnahmen wie Ein-Euro-Jobs für die Jobcenter relativ groß, die den Betroffenen keine Brücke in reguläre Beschäftigung bauen und nicht existenzsichernd sind. Die Förderung von Erwerbslosen muss nachhaltig ausgerichtet werden, an der Integration in existenzsichernde Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt. Dazu gehört aber auch eine Arbeitslosenstatistik als Grundlage, die das wahre Ausmaß des Problems der Arbeitslosigkeit korrekt abbildet und keine künstliche Beschönigung der Zahlen zulässt."           


1 Der Bundesrechnungshof hat kürzlich darauf hingewiesen, dass die Zahl der Arbeitslosen möglicherweise unterzeichnet sein könnte, da Personen, die sich in einer Maßnahme befanden, nach Beendigung dieser zunächst nicht wieder in den Status arbeitslos zurück gesetzt worden sind.