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Rente als Lottospiel

Im Wortlaut von Sahra Wagenknecht,

Das Problem der Riester-Rente sind keineswegs nur die schamlose Abzocke der Finanzinstitute und intransparente Verträge. Kommen wir daher noch einmal auf die Ausgangsfrage zurück: Worauf stützte sich eigentlich die Annahme von der angeblich höheren »Rendite« kapitalgedeckter Rentensysteme im Vergleich zur Umlagerente?

Wer 30 Jahre lang rund 100 Euro im Monat in eine Riester-Versicherung einzahlt und alle staatlichen Zulagen abgreift, der bekommt ab 67 je nach Anbieter eine Rente von 164 bis 189 Euro garantiert. Eine derart jämmerliche »Rendite« hat die Umlagerente zumindest in der Vergangenheit noch keinem Rentner geboten. Immerhin entsprechen 181 Euro bei einer jährlichen Inflation von zwei Prozent nach 30 Jahren genau der Kaufkraft von heute 100 Euro. Der Rentner muß also uralt werden, um inflationsbereinigt wenigstens das wieder rauszuholen, was er eingezahlt hat.

Natürlich, die genannten Zahlen beziehen sich nur auf das, was die Anbieter garantieren. Versprechen tun sie weitaus mehr, nämlich eine jährliche Wertsteigerung des angesparten Vermögens um mindestens vier, bei fondsgebundenen Angeboten sogar um die sechs Prozent. Bevor wir der Frage nachgehen, wie realistisch solche Versprechungen sind, sehen wir uns näher an, woher die Vermehrung der eingezahlten Beiträge in den beiden alternativen Rentensystemen eigentlich kommt.

Natürlich kann man bei der Umlagerente strenggenommen gar nicht von »Rendite« sprechen, weil hier keine Gelder angelegt und später mit einem Zuschlag wieder ausgezahlt werden. Vielmehr zahlen die jeweils aktuell Beschäftigten mit ihren Beiträgen die Renten der Rentner. Da die Beiträge sich prozentual am Lohn bemessen, ist das System so konstruiert, daß die daraus finanzierbaren Renten mit der Höhe der Löhne ansteigen, was sie über Jahrzehnte auch taten. Wer in den Achtzigern oder Neunzigern in den Ruhestand ging, bekam deutlich mehr Rente, als er selbst einst an Beiträgen ins System eingezahlt hatte. Die Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung infolge erhöhter Lebenserwartung konnte diesem System über Jahrzehnte nichts anhaben. Immerhin kamen 1950 auf einen Rentner fast sieben Erwerbstätige, im Jahr 2000 waren es noch vier. Das Umlagesystem ist darüber nicht nur nicht zusammengebrochen, sondern die Leistungen wurden in dieser Zeit sogar massiv ausgeweitet. Möglich war dies dank steigender Produktivität - ein Faktor, den die Kritiker der Umlagerente regelmäßig ausblenden - und steigender Löhne, die die Produktivitätszugewinne zumindest teilweise nachvollzogen. 2030 werden auf einen Rentner noch etwa zwei Menschen im erwerbsfähigen Alter kommen. Der verteilbare Einkommenskuchen pro Kopf der Bevölkerung wird dessenungeachtet - wenn der Kapitalismus die Wirtschaft nicht völlig ruiniert - nicht kleiner, sondern größer sein als heute. Theoretisch wäre damit auch die Finanzierung eines auskömmlichen Ruhestands für Senioren per Umlagerente kein Problem. Was das Umlagesystem tatsächlich seiner Grundlage beraubt, sind stagnierende oder gar sinkende Löhne, die Zerstörung des sozialversicherungspflichtigen Normalarbeitsverhältnisses und hohe Arbeitslosigkeit.

Zum Vorteil des Kapitals

Nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wird die Zahl der in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer 2025 übrigens gar nicht unter, sondern etwa auf dem heutigem Niveau liegen. Zugrunde gelegt sind in dieser Berechnung ein jährliches Wirtschaftswachstum von 1,6 Prozent und Produktivitätssteigerungen von 1,3 Prozent. Zwar sinkt nach der gleichen Projektion auch die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter bis 2025 um über zwei Millionen. Dieser Rückgang wird jedoch in der Studie durch eine höhere Beschäftigungsrate kompensiert. Diese Voraussagen mögen eintreten oder nicht, aber darüber entscheidet die wirtschaftliche Entwicklung und jedenfalls nicht die Demographie.

Grob kann man also sagen: Die »Rendite« der gesetzlichen Umlagerente ist immer so hoch wie das Wachstum der Lohnsumme in der betreffenden Wirtschaft. Stagnieren oder sinken die Löhne oder verringert sich die Zahl sozialversicherter Arbeitsplätze, sind per Umlage auch nur noch niedrigere Renten finanzierbar. Steigen dagegen die Löhne, sinkt die Arbeitslosigkeit und verringert sich die Anzahl der Billig- und Hungerlohnjobs, würde ein Umlagesystem auch in Zukunft ohne Probleme anständige Renten finanzieren können.

Wovon hängt im Gegensatz dazu die Rendite eines kapitalgedeckten Rentensystems ab? Offensichtlich von den Kapitalerträgen, die in einem bestimmten Zeitraum von einem durchschnittlichen Portfolio akkumuliert werden können. Dabei ist die Summe aus Gewinn- und Vermögenseinkommen genau der Gegenpart zur Lohnsumme einer Wirtschaft. Je schlechter die Lohnentwicklung, desto größere Teile des Volkseinkommens werden in Form von Zinsen, Dividenden und Unternehmereinkommen eingestrichen, desto höher sind also im Schnitt die Kapitalerträge. Die künftigen Rentner können daher bei einer kapitalgedeckten Rente genau dann mehr Rente bei gleichen Beiträgen erwarten als in einem Umlagesystem, wenn der Kapitalmarktzins höher ist als die Wachstumsrate der Lohnsumme (und zwar soviel höher, daß er auch die deutlich höheren Kosten einer Privatrente in Form der Gebühren und Provisionen der Finanzindustrie kompensiert).

Die These, daß die »Rendite« der Umlagerente schlechter sei als die einer kapitalgedeckten, impliziert daher eine konkrete Annahme über die künftige Einkommensverteilung. Es wird vorausgesetzt, daß die Umverteilung zu Lasten der Arbeit und zum Vorteil des Kapitals immer weitergeht: es also noch mehr Billigjobs gibt, die Reallöhne weiter sinken, eventuell auch die Arbeitslosigkeit weiter ansteigt.

Das entspricht der Entwicklung der letzten Jahrzehnte, und speziell die SPD hat sich nach erfolgter Zerschlagung der gesetzlichen Rente mit Hartz IV, der Liberalisierung der Leiharbeit und anderen Lohndumpingverordnungen kräftig ins Zeug gelegt, diesen Trend zu verstärken. In den Jahren 1992 bis 2007 lagen die realen Kapitalmarktzinsen bei etwa drei Prozent pro Jahr, während die reale Lohnsumme in Deutschland stagnierte. Dennoch sollte nicht vergessen werden, daß das nicht immer so war. In den Siebzigern etwa lagen die Realzinsen ebenfalls bei ungefähr drei Prozent, die reale Lohnsumme dagegen stieg um fünf Prozent pro Jahr.

Aber selbst wenn der Kapitalismus sich zu einer solchen sozialen Bändigung nicht mehr als fähig erweist, sieht es für die künftigen Riester-Rentner nicht wirklich gut aus. Denn die entscheidende Frage ist eben nicht nur, was jeder vom Kuchen abbekommt, sondern vor allem, ob und um wieviel der Kuchen wächst. Da ein Großteil der Vermögen sich hochkonzentriert in den Händen der Reichsten befindet - ein Prozent der Haushalte verfügt in den Industrieländern über etwa die Hälfte des gesamten Geldvermögens -, bedeuten steigende Vermögenseinkommen eine fortgesetzte Umverteilung zugunsten derer, die ohnehin schon mehr als genug haben. Deren Einkommen fließen folgerichtig zu großen Teilen nicht auf die Güter-, sondern immer wieder zurück auf die Finanzmärkte. Finanzblasen, stagnierende Konsumnachfrage und wirtschaftliche Krisenprozesse sind die Folge. Also genau das, was wir aktuell erleben.

Kein Nullsummenspiel

Daß der Zwang zu steigenden privaten Vorsorgeaufwendungen dieses Krisenpotential noch erhöht, darauf hat kürzlich das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) hingewiesen. In einer Studie wird nachgewiesen, daß die Trendwende der deutschen Sparquote nach oben genau mit der Einführung der Riester-Rente zusammenfällt. Das hat zum einen statistische Gründe. Während Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht als Ersparnis gewertet werden, gilt das für Einzahlungen in einen Riester-Vertrag sehr wohl. Aber das ist nicht der einzige Grund. Vielmehr ist die Umschichtung von der gesetzlichen zur privaten Rente für die Beschäftigten eben kein Nullsummenspiel. Sie müssen vielmehr insgesamt einen höheren Teil ihres Einkommens für die Altersvorsorge reser­vie­ren, den sie somit nicht für laufende Konsumausgaben zur Verfügung haben. So sollen die Rentenreformen den Beitragssatz für die gesetzliche Rente bis 2030 bei maximal 22 Prozent deckeln, während er andernfalls auf 25 bis 26 Prozent angestiegen wäre. Für den Beschäftigten bedeutet das, daß er von seinem Lohn elf Prozent in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen muß. Aber dazu kommen dann noch jene vier Prozent, die er in einen Riester-Vertrag versenken soll. Ergibt in der Summe eine Rentenvorsorge in Höhe von 15 Prozent des Einkommens, während es ohne Riester und bei Beibehaltung der alten Rentenformel maximal 13 Prozent gewesen wären. Nach Berechnungen des IMK hat die Einführung der Riester-Rente bereits in den letzten Jahren zu einer Dämpfung des realen Konsums um fast eineinhalb Prozent geführt.

Das letzte, was ein Land wie Deutschland, das seit Jahren unter mangelnder Binnennachfrage leidet, nun aber brauchen kann, sind Anreize zur weiteren Erhöhung der Sparquote. Entsprechend warnt das IMK, »daß der gewählte Übergang zu einer verstärkten Kapitaldeckung sowohl Wachstumsprobleme erzeugt als auch zu einer ungenügenden Sicherung im Alter führt«. Die neoliberale Mär, daß hohe Ersparnisse hohe Investitionen nach sich ziehen, hat sich längst vor der Realität blamiert. Denn Deutschlands im internationalen Vergleich relativ hohe Sparquote hat durchaus nicht verhindert, daß die Bruttoinvestitionsquote stetig gesunken ist. Lag letztere 1970 noch bei 25 Prozent, fiel sie bis 2008 auf 18,2 Prozent und damit weit unter den Durchschnitt der OECD-Staaten. Mit einer Nettoinvestitionsquote von vier Prozent vor Ausbruch der Krise belegte Deutschland sogar die Schlußlichtposition im OECD-Vergleich. Die Hoffnung, daß noch mehr Ersparnisse daran etwas ändern, kann niemand im Ernst hegen. Das bedeutet aber: Willentlich und wissentlich wird mit dem Riester-Schwachsinn nicht nur eine rapide ansteigende Altersarmut in Kauf genommen, sondern die gesamte Gesellschaft wird ärmer gemacht, um der Finanzindustrie glänzende Profite zu verschaffen.

Privatrente und Börsenboom

Kommen wir jetzt auf deren - wohlweislich nicht garantierte - Renditeversprechen von vier Prozent und mehr zurück. Derzeit liegen die Geldmarktzinsen bei etwa ein Prozent, langlaufende Staatsanleihen rentieren zwischen zwei und drei Prozent. Wer griechische Staatsanleihen kauft, bekommt tatsächlich über sechs Prozent, aber möchte man wirklich seine Altersvorsorge in griechischen Staatsanleihen investiert sehen? Wir haben oben gezeigt, daß selbst Fonds, die die Riester-Ersparnisse vollständig in Aktien investieren, legal sind und staatlich gefördert werden. Natürlich ist denkbar, daß die Aktienmärkte, die sich von den realen Gewinn- und Umsatzdaten längst abgekoppelt haben, noch einmal zu einer Hausse mit jährlichen Wertsprüngen von sechs Prozent ansetzen. Tatsächlich sind DAX wie Dow Jones in den zurückliegenden 30 Jahren mehr oder weniger stetig angestiegen (zeitweilige Rückschläge inklusive). Wenn man Kurssteigerungen und Dividenden aufs Jahr umrechnet, erhält man eine durchschnittliche Aktienrendite von fast zehn Prozent. Aber in einem längeren historischen Rückblick war diese Periode eher Ausnahme denn Regel. Was sich da im Ergebnis einer aggressiven Umverteilung der Einkommen von unten nach oben aufgebläht hat, ist eine ungeheure Blase, der jede realwirtschaftliche Grundlage fehlt. Denn weder die Gewinne noch- schon gar nicht! - das Wirtschaftswachstum haben mit dem Wertzuwachs der Aktien auch nur annähernd Schritt gehalten.

Statt dessen beruhte der Börsenboom zu wesentlichen Teilen auf einem ordinären Schneeballsystem: er lebte davon, daß fortgesetzt mehr Geld auf die Finanzmärkte floß, als von ihnen abgezogen wurde. Das war zum einen die Folge der Einkommenskonzentration bei den Reichsten, die eben mehr sparen als Otto Normalverdiener. Die Kursgewinne wurden verstärkt durch die nahezu unerschöpfliche Kapazität des modernen Bankensystems, Kreditgeld zu schöpfen, wobei ein Großteil dieser Kredite wieder als Nachfrage nach Finanzprodukten wirksam wurde und deren Preise weiter nach oben trieb. Die Zentralbanken begünstigten diese Entwicklung, indem sie den Zockern billiges Geld zur Verfügung stellten- eine Strategie, die derzeit besonders aggressiv verfolgt wird. Ein dritter Faktor schließlich, der den Schnellball über all die Jahre am Rollen hielt, war just der weltweite Trend zur Privatisierung der Altersvorsorge, der auch die Mittelschichten dazu zwang, wachsende Teile ihres Einkommens ins schwarze Loch der Finanzmärkte zu kanalisieren.

Aber daß etwas schon lange funktioniert, heißt nicht, daß es auch in Zukunft funktionieren wird. Vielmehr liegt es in der Natur eines Schneeballsystems, daß es irgendwann zusammenbricht. Was die normalen Rentner nämlich von den wirklich Reichen unterscheidet, ist, daß sie keineswegs von den Erträgen ihres Vermögens leben können. Sie müssen vielmehr ihr angespartes Geld irgendwann verbrauchen, es also von den Finanzmärkten wieder runterholen. Spätestens, wenn mehr Rentner ihr Geldvermögen auflösen wollen als Sparer neues bilden, hat der Finanz-Schneeball sein Lebenselixier verloren, und das Kartenhaus fällt zusammen. Insofern stellt die demographische Entwicklung das kapitalgedeckte Rentensystem vor erheblich größere Probleme, als sie in einem Umlagesystem bei anständiger Lohnentwicklung aufgetreten wären.

Intensive Lobbyarbeit

Doch vermutlich wird die Finanzblase schon früher platzen. Einen Vorgeschmack hat das Jahr 2008 gegeben. Die OECD schätzt den Verlust, den private Pensionspläne weltweit in jenem Krisenjahr erlitten haben, gemessen am Aktienwert, auf 5,4 Billionen US-Dollar beziehungsweise 23 Prozent. Fast ein Viertel der angelegten Gelder hat sich also in einem einzigen Jahr in Luft aufgelöst. Das wurde durch die Börsenerholung 2009 nicht ansatzweise ausgeglichen, und niemand weiß, ob die Höchststände von 2006 und 2007 jemals wieder erklommen werden. In Japan etwa hat der NIKKEI-Index seine Spitzenwerte von 1989 bis heute - nach über zwanzig Jahren! - nicht wieder erreicht. Wer damals Aktien gekauft hat und sie heute wieder verkaufen muß, weil er das Geld für Konsumzwecke braucht, hat einen Teil seiner Ersparnisse unwiderruflich verloren. Wer kann garantieren, daß dieses Schicksal den aktienbasierten Riester-Fonds nicht auch irgendwann blüht? Und dabei ist eine japanische Zukunft noch die milde Variante. Über die Entwicklung der Weltbörsen nach dem Schwarzen Freitag 1929 wollen wir besser nicht reden.

Tatsächlich hat der Gesetzgeber zwar, wie erwähnt, den Anbietern von Riester-Produkten zur Auflage gemacht, daß sie für den nominalen Werterhalt der eingezahlten Beiträge garantieren müssen. Er hat aber nach intensiver Lobbyarbeit der Branche darauf verzichtet, sie auch zu Vorkehrungen zu zwingen, die eine solche Nominalwertgarantie am Ende tatsächlich absichern können. Die Vorgeschichte des Riester-Unfugs und die Einflußnahme der Finanzkonzerne auf den Gesetzestext sind detailreich in dem lesenswerten Buch von Diana Wehlau »Lobbyismus und Rentenreform. Der Einfluß der Finanzdienstleistungsbranche auf die Teil-Privatisierung der Alterssicherung« (Wiesbaden 2009) geschildert. Dort wird auch beschrieben, daß der Bundesverband Investment und Asset Management (BVI) eine Garantie der eingezahlten Beiträge zunächst überhaupt verhindern wollte und zumindest erreichte, daß die Riester-Fonds einen solchen Werterhalt nicht - wie ursprünglich vorgesehen- bereits nach zehn Jahren gewährleisten müssen. Noch wichtiger aber war der »Erfolg«, die Beitragsgarantie zu Beginn der regulären Auszahlungsphase nicht durch eine entsprechende Eigenkapitalunterlegung absichern zu müssen.

Um die Unnötigkeit entsprechender Eigenkapitalpolster zu begründen, wurde ein Gutachten des vom BVI ko-finanzierten Lehrstuhls für Investmentwesen in Frankfurt/Main bemüht, das diensteifrig bescheinigte, daß durch Kombination bestimmter Fondstypen mit bestimmten Mindestlaufzeiten die Wahrscheinlichkeit eines Verlusts nach »neuen, wissenschaftlich abgesicherten Erkenntnissen« vernachlässigbar gering sei. Um dieser »wissenschaftlichen Erkenntnis« zusätzlichen Nachdruck zu geben, drohte der Verband mit Kapitalabwanderung nach Luxemburg, sollte an den Eigenkapitalanforderungen festgehalten werden. Am Ende gab sich auch das Bundesaufsichtsamt für Kreditwesen überzeugt, daß Investmentgesellschaften bei entsprechender Produktgestaltung in der Lage seien, den Kapitalerhalt der Riester-Beiträge zu gewährleisten, ohne Eigenkapital vorzuhalten. Man kann den künftigen Zusammenbrüchen solcher Fonds also erwartungsvoll entgegensehen.

Aber auch mit einer nicht-fondsgebundenen Riester-Versicherung im Rücken sollte man sich nicht zurücklehnen. Zwar dürfen Versicherungen in Deutschland nur 35 Prozent ihrer Gelder in Aktien anlegen - aktuell liegt deren Aktienquote sogar nur bei sieben Prozent. Nicht hier drohen die Gefahren. Aber andere Bereiche des globalen Finanzmarktes sind kaum sicherer. So crashten 2008 bekanntlich nicht nur die Aktien, sondern noch verheerender jene Wertpapiere, die seither als toxisch gelten und in denen private Kredite und Hypotheken aller Art verpackt sind, die sogenannten Asset Backed Securities (ABS). Zwar wurde dieser Markt mit viel - vor allem US-amerikanischem - Staatsgeld mühsam wiederbelebt. Aber faul bleibt faul, und Papiere, deren zugrunde liegende Kredite nichts mehr einbringen, müssen irgendwann doch abgeschrieben werden.

Branchenexperten zufolge stecken nun allerdings »erhebliche Teile der festverzinslichen Anlagen der Versicherungen indirekt auch in Produkten wie ABS«, was für die künftigen Rentner wenig Gutes verheißt (Wirtschaftswoche, 14.8.2007). Auch Anlagen in hochspekulative Hedgefonds waren vor der Krise bei (fondsgebundenen) Lebensversicherungen in Mode gekommen. Nicht wenige dieser Wettbuden haben die letzte Finanzkrise bekanntlich nicht überlebt.

Sicherheit? Fehlanzeige

Wieviel Riester-Geld die Krise tatsächlich zerstört hat, läßt sich an den Bilanzen der Institute nicht unbedingt ablesen, da viele Anbieter die Wertverluste von 2008 bis heute nicht verbucht haben. Wohl um die Angst in Grenzen zu halten, erlaubte ihnen die Bankenaufsicht BaFin in größerem Umfang als bisher, Geldanlagen mit einem höherem Buchwert auszuweisen, als sie tatsächlich noch haben. Dahinter steht die Hoffnung, daß das Beben bald vorbei ist und danach alles weiterlaufen wird wie zuvor. Aber was, wenn es nicht weiterläuft?

Im Januar 2010 wies die Financial Times Deutschland darauf hin, daß viele Versicherer gegenwärtig »fast nur noch von ihrer Substanz« leben (FTD, 22.1.2010). Immerhin müssen sie auch alte Lebensversicherungen weiterhin bedienen, bei denen die Garantiezinsen noch bei vier Prozent lagen. Das Geld dafür wird überwiegend aus den Reserven genommen. »Die Versicherer müssen ihre Garantien erwirtschaften, aber es mangelt an konservativen Anlagen, die die nötige Rendite dazu bieten«, bestätigt die Kölner Agentur Assekurata. Die Hoffnung, daß irgendein riesternder Neukunde am Ende auch nur einen müden Euro mehr als die garantierten 2,25 Prozent erhält, kann man daher getrost in den Wind schreiben.

Es muß schon gut laufen, damit er wenigstens das bekommt. Selbst traditionelle Anleihen, die eigentlich am Ende der Laufzeit die Rückzahlung eines bestimmten Nominalwertes garantieren und deshalb die wichtigste Anlageform von Renten-Versicherungsgeldern sind, bedeuten keine hundertprozentige Sicherheit. Sie sind nämlich fast nichts mehr wert, wenn der Emissär der betreffenden Anleihe pleite geht. Bei Unternehmen und selbst Banken ist das so unwahrscheinlich nicht, zumal beim nächsten Crash nur noch die wenigsten Staaten in der Lage sein dürften, solche Pleiten mit derselben Großzügigkeit zu verhindern, wie sie es beim letzten getan haben. Die Freigiebigkeit, mit der die öffentliche Hand die privaten Schulden der Zocker seit 2007 auf ihre Kappe genommen und damit die Staatsverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt im OECD-Schnitt um 24 Prozentpunkte hochgetrieben hat, ist ein Grund mehr, warum man sich selbst bei Staatsanleihen nicht mehr allzu sicher sein sollte. Wenn ein Land wie Griechenland tatsächlich noch einmal auf die Beine kommen will, muß es die Bedienung seiner durch spekulative Extremzinsen hochgetriebenen Schulden irgendwann aussetzen. Und ähnliches gilt für eine Reihe weiterer Länder. Kurz: Die modernen Finanzmärkte sind nichts als Schaum und Blasen, und es gibt keine Sicherheit. Nirgends.

Zu den Staaten, die vermutlich erst als letzte pleite gehen werden, gehört die Bundesrepublik Deutschland. Aber wenn als einzige halbwegs verläßliche Anlageform für die Riester-Rentner am Ende deutsche Staatsanleihen übrig bleiben, wäre es wirklich sinnvoller (und billiger!), das Steuergeld, statt es für Zinsen zu verbraten, gleich als Zuschuß in ein Umlagesystem zu geben, das die Bezüge der Senioren finanziert.

Ohnehin wird der Staat am Ende nicht zusehen können, wie Millionen Riester-Sparer ihr Geld verlieren. Also wird er es sein, der die verzockten Renten kompensieren muß. Aber je früher der Riester-Spuk beendet und zu einer soliden Umlagerente zurückgekehrt wird, desto weniger werden wir alle dabei draufzuzahlen haben.

Riesters Amtsvorgänger Norbert Blüm hatte schon recht, als er den Riester-Betrug auf folgenden knappen Nenner brachte: »Je madiger die Rentenversicherung gemacht wird, umso mehr klingelt das Geld in den Kassen der Allianz. Darum geht es und um sonst nichts.« Freilich, auch Riester selbst lag nicht daneben, als er die nach ihm benannte Rente als »das größte Vermögensbildungsprojekt …, das jemals aufgelegt worden ist«, bezeichnete. Er vergaß nur hinzuzufügen, für wen.

Von Sahra Wagenknecht

junge Welt, 19. April 2010