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Protest dort, wo die Macht liegt

Im Wortlaut von Gregor Gysi,

Gregor Gysi über die neuen Protestbewegungen und Vorschläge der Fraktion DIE LINKE zur Lösung der Krise

In den letzten Wochen sorgt eine neue Protestbewegung für Schlagzeilen. »Occupy« (Besetzen) heißt es weltweit. Wie bewerten Sie diese Ereignisse?

Gregor Gysi: Positiv. Viele Menschen wollen zum Ausdruck bringen, dass sie ihrer Enteignung durch die Diktatur der Finanzmärkte nicht länger tatenlos zusehen wollen. Deshalb tragen sie ihren Protest dorthin, wo die eigentliche Macht liegt. Sie ziehen in den USA nicht vor das Weiße Haus, sondern zur Wall Street …

… dem Zentrum der Banken und der Börse.

Aus ihrer Sicht ist es albern, beim amerikanischen Präsidenten zu demonstrieren, denn sie wissen, an der Wall Street wird entschieden, was weltweit geschieht. In Deutschland dasselbe Bild. Seit wann spielten Proteste vor Banken oder Börsen mal eine Rolle? So gut wie nie. Jetzt kampieren die Leute im Frankfurter Bankenviertel.

Neu scheint ja auch zu sein, dass sich Menschen aus fast allen Bereichen der Gesellschaft engagieren. Warum und vor allem warum so massenhaft?

Es betrifft Menschen aus fast allen Schichten. Sie akzeptieren nicht länger, dass ausgerechnet ihnen die Kosten der Krise durch Staatsverschuldung, Sozialkürzungen und Entlassungen aufgedrückt werden, während die Krisenverursacher ungeschoren davonkommen.

Wo steht DIE LINKE?

Wir unterstützen diese Proteste und stehen auf der Seite derer, die eine sozial gerechte Bewältigung dieser Krise verlangen. Wir sind übrigens die Einzigen, die auch politisch glaubwürdig gegen die Diktatur der Finanzmächte auftreten können. Nicht nur, weil DIE LINKE bereits vor fünf Jahren – lange vor Ausbruch der Finanzkrise – ein Verbot der Hedge-Fonds und die Einführung der Tobinsteuer, die heute umständlich Finanztransaktionsteuer heißt, forderte. Sondern auch, weil DIE LINKE die Politik der Deregulierung der Finanzmärkte, die von SPD und Grünen betrieben und von Union und FDP fortgesetzt wurde, entschieden bekämpfte und bekämpft. Wir sind zu keiner Zeit den Verheißungen dieser Märkte gefolgt.

Wie sieht der Krisenplan der LINKEN für Europa aus?

Wir brauchen eine Stärkung der Binnenwirtschaft in Deutschland genauso wie in Griechenland, um nicht weiter in die Staatsschuldenkrise zu rutschen. Europaweit müssen endlich die Reichen zur Kasse gebeten werden. Deswegen fordern wir eine europäische Vermögensteuer. Zudem müssen die Staatsfinanzen endlich von den Privatbanken getrennt werden. Derzeit entscheiden die Banken willkürlich darüber, wie hoch die Zinsen sind und wie sich dadurch die Staaten immer weiter und höher verschulden. Mit den Ratingagenturen verfügen sie über ein fatales Instrument. Ganze Staaten können einfach per Mausklick herabgestuft werden.

Kürzlich hat ja sogar eine angebliche Panne bei einer dieser Ratingagenturen Frankreich in Bedrängnis gebracht.

Es ist nicht hinnehmbar, dass viele Regierungen noch immer auf die Urteile dieser drei  amerikanischen Agenturen hören, denn sie haben sich spätestens mit ihren Ratings über Giftmüllpapiere, denen sie glänzende Zeugnisse ausstellten, diskreditiert. Ratingagenturen lassen sich darüber hinaus von denen bezahlen, die dann gute Ratings erwarten, nämlich Vermögensbesitzern. Deshalb brauchen wir endlich öffentlich-rechtliche Ratingagenturen.

Und die Alternative zu diesem Bankensystem?

Die großen Privatbanken müssen verkleinert und öffentlich-rechtlich organisiert werden. Nur so sind sie demokratisch zu kontrollieren, und nur so können sie reguliert und auf ihre eigentlichen Aufgaben zurückgeführt werden: als Dienstleister für private Kunden und Unternehmen der realen Wirtschaft. Vereinfachend gesagt: Wir brauchen mehr Sparkassen und keine Zockerbuden.

Aber auch Landesbanken, die öffentlich-rechtlich sind, haben sich verzockt.

Das stimmt. Sie waren nur staatlich. Und es lag daran, dass der damalige Finanzminister Steinbrück und sein bayerischer Amtskollege Faltlhauser ihre WestLB und BayernLB deregulierten und ihnen erlaubten und von ihnen forderten, in Irland so genannte Zweckgesellschaften zu gründen, die es dann den Hedge-Fonds und anderen Investmentbanken gleich taten und kräftig mitzockten. Sie taten also das genaue Gegenteil von dem, was eigentlich erforderlich gewesen wäre.

Was wird aus den Menschen in Griechenland?

Die europäischen Regierungen, vor allem die Bundesregierung, müssen ihre in jeder Hinsicht kontraproduktive Auflagenpolitik der Sozialkürzungen, der Kürzungen von Löhnen, Renten und Investitionen aufgeben, denn sie hat die Krise in Griechenland maßlos verschärft. Man kann Schulden nicht abbauen, wenn infolge der Krise Steuereinnahmen wegbrechen und das Land eine schwere Rezession durchleidet. So werden die Schulden erst recht unbezahlbar. Griechenland und andere Länder brauchen stattdessen einen Marshall-Plan zum Aufbau des Landes, mehr Investitionen in die Infrastruktur und in die Wirtschaft. George Soros, der König der Hedge-Fonds, also wahrlich kein Linker, spricht sich für Investitionen als Mittel gegen die Krise aus – etwa in regenerative Energien. Nur so lässt sich wieder Wachstum erzeugen, aus deren Überschüssen auch die reduzierten Schulden refinanziert werden können.

linksfraktion.de, 28. November 2011

Das Interview erscheint in diesen Tagen in der gedruckten 23. Ausgabe der Fraktionszeitung KLAR.