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Eine Pflegerin lächelt ein alte Frau an, die ihr zugewandt ist. © istock.com/AlexRathsFoto: istock.com/AlexRaths

Private und soziale Pflegeversicherung zusammenführen

Im Wortlaut von Harald Weinberg, Pia Zimmermann,

Ist die private Pflegeversicherung verfassungswidrig? Diese Frage stellte sich in der Anhörung zum Antrag (PDF) der Fraktion DIE LINKE für eine Abschaffung der privaten Pflegeversicherung am 8. Mai 2019 im Gesundheitsausschuss des Bundestags. Dabei brachten Sachverständige und Verbände, die Union, FDP und AfD benannt hatten, erstmal erwartungsgemäß ihre üblichen Abwehr-Argumente. Die Abschaffung der privaten Pflegeversicherung verstoße gegen die Berufsfreiheit und Vertragsfreiheit und sei deshalb klar verfassungswidrig. Der Sachverständige Prof. Dr. Stefan Greß drehte die Frage aber um und fragte: „Ist denn die derzeitige Pflegesituation etwa verfassungsgemäß?“

Denn daran zweifeln immer mehr Verbände und Experten: Das Bundesverfassungsgericht entschied  2001, dass der Gesetzgeber 1995 zwar eine Pflegevolksversicherung mit zwei Zweigen schaffen durfte, der privaten (PPV) und der sozialen Pflegeversicherung (SPV). Jedoch müsse die Zuordnung der Versicherten „sachgerecht und unter dem Gesichtspunkt einer ausgewogenen Lastenverteilung“ erfolgen. Und genau dies sei aus vielen Gründen nicht gegeben. Privat Pflegeversicherte haben 60 Prozent mehr Einkommen als die in der SPV Versicherten. Pro Kopf der privat Pflegeversicherten gibt es nur halb so viele Menschen mit Pflegebedarf wie in der SPV. Und die Privatversicherten, die bereits pflegebedürftig sind, haben eher niedrige Pflegegrade, kosten also deutlich weniger als im Durchschnitt der SPV. 

Deshalb sind die Pro-Kopf-Ausgaben der SPV fast viermal so hoch, wie die der PPV, die Beiträge in Euro doppelt so hoch wie bei den Privatversicherten. Gesetzlich Versicherte zahlen also in Prozent ihres Einkommens fast viermal so hohe Beiträge wie Privatversicherte. Das ist alles andere als eine „ausgewogene Lastenverteilung“ und auch keine sachgerechte Zuordnung der Pflegerisiken zu beiden Systemen. Daher ist die Frage völlig berechtigt, ob die derzeitige Pflegefinanzierung verfassungswidrig ist und ob ein Systemwechsel daher geboten ist.

DIE LINKE sagt dazu: Diese himmelschreiende Ungerechtigkeit müssen wir ändern!

Dies alles und die dramatisch steigenden finanziellen Belastungen für Familien mit Pflegebedarf sprechen dafür, die beiden Versicherungssysteme zusammenzuführen. Auf der Einnahmeseite bedeutet das, dass alle Pflegeversicherten den gleichen prozentualen Anteil ihres Einkommens zahlen müssen. Und nicht – wie bisher –  die Gutverdienenden besonders wenig. Auf der Ausgabenseite würden dann alle Pflegekosten aus einem großen Topf bezahlt.  Wir wollen keine Aufteilung in zwei Systeme: Zweite Klasse für Versicherte mit hohem Pflegerisiko und erste Klasse für die „guten Risiken“.

Das sahen viele Sachverständige so, auch die Sachverständige des Sozialverbands VdK, DR. Ines Verspohl. Sie forderte erstens, den Ausgleichsfonds der SPV und der PPV zusammenzulegen. Zweitens forderte sie eine verfassungsrechtliche Überprüfung, wie man die Alterungsrückstellungen der PPV –  35 Mrd. Euro – integrieren kann. Im dritten Schritt soll es dann eine Pflegevollversicherung geben.

Und das ist der Clou an der Finanzierungsfrage. Es geht nicht nur darum, die Pflegeversicherung gerechter zu machen, sondern auch, sie fit für die Zukunft zu machen. Das wird Geld kosten. Die Versicherten sind mehrheitlich bereit, für eine gute und umfängliche Absicherung mehr zu bezahlen. Aber nur, wenn es gerecht zugeht. Mehr Geld brauchen wir für mehr Pflegekräfte und für ihre dringend notwendige tarifliche Bezahlung. Mehr Geld brauchen wir, weil die Zahl der Leistungsberechtigten weiter steigen wird. Mehr Geld brauchen wir, um alle pflegerisch notwendigen Leistungen für jede und jeden finanzieren zu können. 

Denn die Pflegeversicherung wurde geschaffen, damit Menschen wegen ihrer Pflegebedürftigkeit nicht in die Sozialhilfe, also in die Armut abrutschen. Die Pflegeversicherung sollte die Kommunen von den Kosten der Sozialhilfe entlasten. Dieses Gründungsversprechen wird zunehmend gebrochen. Wirklich verhindern kann man die finanzielle Bedrohung der Menschen mit Pflegebedarf aber nur, wenn alle pflegerisch notwendigen Kosten bezahlt werden. Dafür müssen die – weiter wachsenden – Leistungen auch von allen finanziert werden. Das wäre gerecht und nachhaltig zugleich.


Weitere Informationen zum Thema finden Sie in unserem Dossier zur Solidarischen Gesundheits- und Pflegeversicherung.