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Eine Pflegerin hilft einer älteren Frau beim Anziehen © iStockphoto.com/SolStockFoto: iStockphoto.com/SolStock

»Pflege darf weder arm machen noch Rendite garantieren«

Im Wortlaut von Susanne Ferschl, finanzen.de,

13.000 zusätzliche Stellen in der Altenpflege werden seit Jahresbeginn über das sogenannte Sofortprogramm Pflege finanziert. Doch es fehlt an Fachkräften, die die Arbeit machen wollen. Entsprechend unzufrieden zeigt sich die Linken-Abgeordnete Susanne Ferschl. Der Pflegenotstand ist dabei längst nicht die einzige Baustelle im Pflegebereich.

 

„Wir stellen sicher, dass die Krankenkassen 13.000 Pflegestellen in der Altenpflege finanzieren“, betonte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im November 2018, als der Bundestag das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz beschlossen hat. Doch „um die Ziele des Sofortprogramms umzusetzen, braucht es zwingende Änderungen an den Grundlagen der Pflegeversicherung“, kritisiert Susanne Ferschl. Die Politikerin leitet den Arbeitskreis Arbeit, Soziales und Gesundheit der Fraktion Die Linke im Bundestag. Im Interview mit finanzen.de erklärt sie, welche pflegepolitischen Änderungen aus ihrer Sicht kommen müssen.

 

In der gesetzlichen Pflegeversicherung hat sich in den letzten Jahren viel getan, allem voran die Umstellung von Pflegestufen auf Pflegegrade 2017. Unter Gesundheitsminister Spahn soll sich nun insbesondere die Situation für Pflegekräfte verbessern. Wie bewerten Sie diesbezüglich seine bisherige Arbeit?

Susanne Ferschl: Wir erleben Aktivismus und Maßnahmen, die Stückwerk bleiben. Gesetzliche Regelungen laufen ins Leere, vor allem die notwendige Besetzung zusätzlicher Stellen. Tarifliche Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen – das sind entscheidende Voraussetzungen, um neue Pflegekräfte zu gewinnen.

Das Grundproblem der Pflegeversicherung wurde bis heute nicht angefasst: ihr Teilleistungscharakter und die Finanzierung. So bezahlen vor allem die Menschen mit Pflegebedarf jede Lohnerhöhung über steigende Eigenanteile. Jede Leistungsverbesserung wird außerdem durch höhere Beitragssätze finanziert.

Ist das Sofortprogramm Pflege in Ihren Augen ein geeignetes Maßnahmenpaket, um einerseits einen Pflegenotstand abzuwehren und andererseits Pflegekräfte zu entlasten?

Susanne Ferschl: Nein, ist es nicht. Denn um die Ziele des Sofortprogramms umzusetzen, braucht es zwingende Änderungen an den Grundlagen der Pflegeversicherung. Aktuell ist die Lage doch so, dass die zugesagten neuen Stellen in den Pflegeeinrichtungen nicht beantragt werden oder aber aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen und Löhne nicht besetzt werden können. Die Heimkosten für Menschen mit Pflegebedarf steigen rasant. In den Krankenhäusern wird Personal aus anderen Stationen abgezogen, um die Pflegepersonaluntergrenzen einzuhalten.

Was ist Ihrer Meinung nach derzeit die größte Baustelle im Pflegebereich?

Susanne Ferschl: Der gesamte Pflegebereich ist eine Baustelle und der Handlungsbedarf ist riesig. Erstens müssen die Finanzierungsgrundlagen grundlegend neu gestaltet werden. Zweitens brauchen wir dringend mehr und gutes Personal. Tarifliche Entlohnung und gute Arbeitsbedingungen sind dafür zwingende Voraussetzung. Drittens muss die Versorgung mit wohnortnaher, professioneller Pflege sichergestellt werden – und das flächendeckend und bezahlbar!

Dafür sind die Investitionsverantwortung der Bundesländer und die Investitionsfähigkeit der Kommunen zu stärken, auch durch Bundeszuschüsse. Pflege gehört wieder in öffentliche Hand und unter demokratische Kontrolle. Pflege darf weder arm machen noch Rendite garantieren.

Sie setzen sich für eine Pflegebürgerversicherung ein. Welche Vorteile hätte diese im Vergleich zum Status quo?

Susanne Ferschl: Die Linke will das Solidarsystem wieder so ausbauen, dass es seinen Namen verdient. Alle hier lebenden Menschen zahlen ein und zwar ohne Beitragsbemessungsgrenze. Wir wollen alle Privatversicherten in die solidarische Gesundheits- und Pflegeversicherung überführen. Verbeitragt werden alle Einnahmen, auch Kapitalerträge. Alle Einkommenshöhen sollen dafür gerecht herangezogen werden. Die Private Pflegeversicherung entfällt als Vollversicherung, kann jedoch mit Zusatzangeboten weiter bestehen.

Solidarisch ist: Alle Mitglieder der Gesellschaft übernehmen Verantwortung für eine Lebenssituation, die jede und jeden treffen kann. Gerecht ist: Jede und jeder trägt entsprechend seiner Leistungsfähigkeit zu dieser solidarischen Versorgung im Pflegefall bei – die Besserverdienenden eben mehr als prekär Beschäftigte. Und es stehen ausreichend Finanzmittel für eine bessere gesundheitliche Versordnung insgesamt in hoher Qualität ohne regionale Unterschiede bereit.

Was würde eine Bürgerversicherung für den Pflegebeitrag bedeuten?

Susanne Ferschl: Wird die Pflegeversicherung konsequent solidarisch finanziert, könnte sie eine Vollversicherung werden, ohne dass die Eigenanteile weiter steigen. Gute Arbeitsbedingungen, vor allem gute und flächendeckende Tariflöhne, wären bundeseinheitlich finanzierbar. All das wäre möglich, ohne die Versicherungsbeiträge weiter anzuheben.

Für die meisten Versicherten und Arbeitgeber wären die zusätzlichen Kosten für eine Pflegevollversicherung gering und überschaubar, wenn sie als soziale Bürgerversicherung ausgestaltet würde. Aktuell müssten gesetzlich Versicherte für eine Voll-Absicherung durchschnittlich gut fünf Euro im Monat mehr bezahlen als jetzt. Auch viele Versicherte in der Privaten Pflegepflichtversicherung würden durch die Bürger-Vollversicherung besser abgesichert als bisher.

finanzen.de,