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Perspektiven für die olympische Idee

Im Wortlaut von Jens Petermann,


Jens Petermann (l.) während der Olympischen Spiele 2012 mit Nachwuchssportlerinnen und -sportlern im Deutschen Olympischen Jugendlager London

 

Jens Petermann, für DIE LINKE Mitglied des Sportausschusses des Bundestages und vor Ort in London, zieht eine Bilanz der Olympischen Spiele 2012 und erläutert, warum die deutsche Sportförderung dringend auf den Prüfstand gehört

Zwei Wochen lang stand die britische Hauptstadt im Focus der Sportwelt. Am Anfang stellte sich die Frage, ob es erwartungsgemäß erfolgreiche Spiele werden. Die Vorzeichen waren trügerisch. Neben schlechtem Wetter, das in London miese Stimmung erzeugte, waren vor allem die hohen Sicherheitsvorkehrungen ein Grund für Kritik. Entgegen allen Mutmaßungen werden die Spiele, gespickt mit Höchstleistungen und Überraschungen, als gelungenes Großsportereignis in die olympische Geschichte eingehen. Beim Sport liegen Freude und Ärger oft nah beieinander, nicht alle Medaillenträume reiften, so dass die eine oder der andere enttäuscht aus der britischen Metropole nach Hause zurückkehrte.

Organisatorisch hatten die Briten allen Unkenrufen zum Trotz das Riesenspektakel bestens im Griff. Tausende immer freundliche freiwillige Helferinnen und Helfer wiesen den Gästen die richtigen Wege, der öffentliche Nahverkehr funktionierte nahezu reibungslos und auch die Einlasskontrollen, denen am Flughafen ähnlich, gingen in der Regel schnell und reibungslos vonstatten, was bei den zu bewegenden Hunderttausenden täglich schon an ein Wunder grenzt.

Vor Beginn der Spiele war befürchtet worden, dass die starke militärische Präsenz ein negatives Image erzeugt und auf die Atmosphäre drückt. Natürlich mutet ein Flugzeugträger auf der Themse martialisch an. Letztlich fiel die Anwesenheit des Militärs aber außer bei den Einlasskontrollen, wo kurzfristig ein zivile Sicherheitsdienst ersetzt werden musste, zwischen den hundertausenden weltweit angereisten Sportfans kaum auf.

Am Schlusstag, an dem eine gigantische Abschlussfeier den Schlussstrich unter diese Spiele setzt, ist es Zeit für eine kritische Nachbetrachtung:

Aus Sicht der Athletinnen und Athleten, die in London Tag für Tag die Zuschauerinnen und Zuschauer mit Höchstleistungen unterhielten, sorgte eine Reihe von unglaublichen Fehlentscheidungen der Kampfrichter für anhaltende Diskussionen. In einigen Disziplinen waren die Kampf- und Schiedsrichter leider nicht in Topform. So fühlte sich eine koreanische Fechterin ebenso um ihre Finalteilnahme betrogen, wie die ukrainischen Turner um ihre Bronzemedaille. Glimpflich verliefen Pannen des Kampfgerichts noch für die deutsche Siebenkämpferin Lilli Schwarzkopf und die Hammerwerferin Betty Heidler. Nach Protesten erhielten sie doch noch ihre hart erkämpften Medaillen. Die größte Fehlleistung gelang allerdings einem Ringrichter, der einen hoffnungslos unterlegenen Boxer zum Sieger kürte. Trotz dieser Negativbeispiele sind die Ergebnisse mehrheitlich regelkonform zustandegekommen. Was eine Platzierung tatsächlich wert ist, werden wir dennoch erst in acht Jahren wissen, wenn die Aufbewahrungsfrist für die Dopingproben abgelaufen ist.

Aus Sicht linker Sportpolitik kann als erstes kleines Fazit festgestellt werden, dass trotz der am Ende vorzeigbaren Medaillenausbeute die deutsche Sportförderung dringend auf den Prüfstand gehört. Dies gilt sowohl für den Spitzensport als auch für die Nachwuchsförderung. Bei einem Besuch des Jugendlagers des Deutschen Olympischen Sportbundes forderten die jungen Athletinnen und Athleten beispielsweise, die Bildungssysteme der Bundesländer zu vereinheitlichen und bei der schulischen Ausbildung die sportlichen Belange besser zu berücksichtigen. Offensichtlich sind die unterschiedlichen Systeme einer sportlichen Karriere abträglich. Jürgen Hingsen, der immer noch den deutschen Rekord im Zehnkampf hält, weist den Weg, wenn er verlangt, den Schulsport zu stärken, unter anderem durch die generelle Einführung der dritten Sportstunde und durch eine Reduzierung des Stundenausfalls.

Auch einige deutsche Olympioniken nahmen kein Blatt vor den Mund und kritisierten die verkrusteten Strukturen des deutschen Sports. Ein Spitzenathlet in Deutschland komme sich im Wettstreit mit westeuropäischen Konkurrenten eher vor wie ein Amateur, hieß es nicht nur hinsichtlich der vergleichsweise geringen Alimentierung. Die Kritik zielte speziell in Richtung des DOSB, der seinen Trainerinnen und Trainern keine echten Perspektiven biete. Die Spiele von London sind damit auch für die Politik eine Zäsur. Sie muss endlich ein Konzept für eine athletengerechte Sportförderung vorlegen, die auch die Zeit nach dem Sport absichert. Lohnenswert ist ein Blick über den Tellerrand: Warum war das britische Olympiateam eigentlich so erfolgreich wie noch nie?

Zudem ist während der zwei Wochen des wichtigsten Sportereignisses der Welt eine weitere Baustelle in der deutschen Sportpolitik ans Licht der Öffentlichkeit gelangt. Es gibt offenbar kein umfassendes Konzept, keine wirkliche Strategie, um zu verhindern, dass Rechtsextreme den Sport für sich vereinnahmen. Der Fall der Ruderin zeigt exemplarisch, welche Auswirkungen mangelnde Sensibilität von Sportfunktionären, speziell im Ruderverband haben kann, aber auch welche Verantwortung gerade in den Sportvereinen in Sachen Aufklärung gegen die Gefahren des Rechtsextremismus für die Gesellschaft besteht.

Ja, auch der olympische Geist war in London 2012 zu spüren. Trotz der erwähnten Fehlentscheidungen in einigen Disziplinen herrschte zwischen den Sportlerinnen und Sportler eine faire Konkurrenz geprägt von Respekt und freundschaftlichem Umgang über nationale Grenzen hinweg. Der Olympische Friede hingegen blieb wie so häufig während vergangener Spiele nur ein frommer Wunsch, wie besonders die erschreckenden Bilder aus Syrien deutlich machten. Auf einen Nationen übergreifenden Appell der Olympiateilnehmerinnen an die Kriegsparteien, die Waffen ruhen zu lassen und sich an den Verhandlungstisch zu setzen, wartete man leider vergebens. Die Debatte um den Stellenwert der olympischen Werte muss dringend geführt werden, damit Olympia nicht komplett zur bloßen Hülle für die Realisierung von Profitinteressen verkommt. Denn das wäre auch das Ende der olympischen Idee.

linksfraktion.de, 12. August 2012