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"Oskar Lafontaine steht für den Erfolg"

Im Wortlaut von Gregor Gysi,

Gregor Gysi im ZDF-Sommerinterview über seine Partei und die Lage in Afghanistan

Endlich werde seine Partei "auch bundespolitisch" wahrgenommen, sagt Gysi, und das sei in erster Linie Oskar Lafontaine zu verdanken. Das solle man bei aller Kritik an seiner Person nicht vergessen, mahnt der Fraktionschef der Linken im ZDF-Sommerinterview. Zu der schwierigen Lage in Afghanistan äußert er sich besorgt. Aufbauarbeit sei wichtig - doch der Krieg mache den "Hass auf den Westen" nur größer und helfe nicht gegen den Terror, so Gysi.

ZDF: Während wir hier an dem malerischen Hafen von La Teste-de-Buch sitzen, bewegen uns zu Hause in Deutschland die schrecklichen Bilder aus Afghanistan - drei getötete BKA-Polizisten. Ist dieser Terror dort nicht ein Beweis dafür, dass wir uns in diesem geschundenen Land viel mehr engagieren müssen?

Gregor Gysi: Ja, aber anders - das ist zumindest meine Auffassung. Sie haben aber zunächst völlig recht, das beschäftigt einen. Man denkt auch an die Angehörigen und wie sie darunter leiden, denn damit haben sie ja auch überhaupt nicht gerechnet. Das ist furchtbar, der ganze Terror ist furchtbar. Nur: Das Mittel Krieg hilft nicht gegen den Terror.

ZDF: Aber mit Sozialarbeit können Sie die Probleme vor Ort ja auch nicht lösen?
Gysi: Nein, aber es gibt Hass auf den Westen, also muss man sich überlegen, wie der entsteht und wie man den abbauen kann. Wenn wir darauf mit Bomben reagieren, wie im Irak und auch in Afghanistan, dann vergrößern wir den Hass. Es gibt dann wieder unschuldige Tote, und diese haben Angehörige, haben Freunde - da entsteht neuer Hass. Die werden dann von irgendwelchen Bin Ladens gewonnen, um wieder neue Terrorakte zu begehen. Wir müssen raus aus der Spirale der Gewalt. Das ist wirklich meine tiefe Überzeugung.

ZDF: Heißt das, Sie sagen: Raus aus Afghanistan?

Gysi: Aus der Spirale der Gewalt, sage ich erst einmal.

ZDF: Gut, dann frage ich den, der die Partei der internationalen Solidarität vertritt. Wollen Sie denn die Menschenrechte, Frauenrechte oder den Schulbesuch alles wieder der Schreckensherrschaft der Taliban überlassen?

Gysi: Nein, auf gar keinen Fall. Wir müssen lernen, die Kräfte zu unterstützen, die für die Selbstbefreiung der Völker sorgen. Das mit den Mädchen und den Schulen hat mich deshalb nie so überzeugt, denn als die Sowjetunion in Afghanistan einmarschierte, durften die Mädchen auch zur Schule gehen. Das hat aber den Einmarsch nicht gerechtfertigt. Ich habe mit einem ehemaligen Angehörigen der Bundeswehr gesprochen, der Arzt ist und der im Süden Afghanistans viele Dinge regelt, und der hat mir gesagt: Das einzige, was seine Aufbauarbeit stört, sind die amerikanischen Soldaten. Wenn die weit genug entfernt sind, kann er dort vieles erreichen.

Das heißt, ich bin davon überzeugt, dass wir andere Wege gehen müssen. Da dürfen wir nicht nachlassen, da müssen wir sogar mehr machen. Aber der Glaube, mittels Krieg die Probleme lösen zu können, der geht auf gar keinen Fall auf. Im Gegenteil: die Anschläge in Spanien, in Großbritannien zeigen, dass der Terror dadurch nur zunimmt. Ich glaube, dass das eine Spirale steigender Gewalt ist - und aus der müssen wir herauskommen.

Das bedeutet, diese Leute und diese Völker müssen wissen: Wir antworten nicht mit Krieg, sondern wir antworten mit einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung. Die müssen wir auch hinbekommen. Denn wenn das Elend zunimmt in anderen Ländern, wird leider eben auch der Terror zunehmen, weil es dann immer Leute gibt, die so etwas organisieren. Das müssen wir abbauen - das ist ganz klar. Wir können uns das nicht leisten, und die anderen können es sich nicht leisten.

ZDF: In den letzten Tagen ist die Vergangenheit wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt - Stichwort: die Dokumente zum Schießbefehl an der Mauer. Ihre Vertreterin Petra Pau hat dazu gesagt, es sei ein Stück Geschichte der Partei, die man wieder neu aufarbeiten müsse. Wie geschieht das konkret?

Gysi: Ich glaube, dass wir seit 1990 mehr an Aufarbeitung getan haben als jede andere Partei. Das war auch nötig, denn wir mussten uns ja demokratisch in jeder Hinsicht reformieren. Wir mussten die Schlussfolgerung ziehen und sagen, der Staatssozialismus ist gescheitert, und zwar weil er unproduktiv war und weil er keine Freiheit und keine Demokratie garantierte - was nicht heißt, dass es nicht auch soziale Leistungen gab. Aber diese Kritik muss erst einmal vorne stehen. Und dann muss man sagen: Es kommt für uns nie wieder ein diktatorischer, autoritärer Sozialismus in Frage, sondern nur noch ein demokratischer.

Das war der Beginn, und da haben wir viele Kongresse durchgeführt. Wir haben mit Leuten gestritten. Ich meine, es gibt in anderen Parteien immer Leute, die werden uns sagen, das war zu wenig. Aber da können wir auch machen, was wir wollen, das werden die sowieso immer sagen. Ich glaube, wir haben mehr Aufarbeitung der Geschichte geleistet, als es andere je in ihrer Geschichte getan haben.

ZDF: Aber man hat beim Schießbefehl immer gedacht, den hat es so explizit nicht gegeben. Hat sich denn jetzt durch das Auftauchen dieser Dokumente Ihr Bild von der DDR verändert?

Gysi: Seit dem 13. August 1961 war klar: An dieser Grenze wurde geschossen, und dafür muss es irgendeine Befehlsstruktur gegeben haben. Da hatte ich nie einen Zweifel, und da gab es ja auch Tote. Das war die Niederlage des Staatssozialismus: dass er einräumen musste, die Leute flüchten nicht zu ihm aus dem Kapitalismus, sondern umgekehrt, von ihm in den Kapitalismus - von Ausnahmesituationen wie Chile unter Pinochet mal abgesehen. Das war mit Gegenstand unserer Aufarbeitung, zu sagen, das kommt für uns überhaupt nicht wieder in Frage.

Wenn wir eine sozialistische Gesellschaft bekommen sollten, dann können die Leute wählen. Und wenn sie sie wieder abwählen, dann ist sie wieder abgewählt - fertig. Verstehen Sie, man muss immer beides akzeptieren können: Erfolge und Niederlagen, das gehört zur Demokratie dazu.

ZDF: Gut, aber eines wissen Sie natürlich auch: Mord verjährt nicht.

Gysi: Ja, ich weiß.

ZDF: Muss das jetzt neu aufgerollt werden?

Gysi: Das weiß ich nicht. Diese Dokumente waren ja schon seit 1997 bekannt. Ich glaube, die Staatsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof hat das schon alles erforscht, und sie ist bei der Totschlagvariante geblieben. Ich denke, sie werden die Rechtsprechung nicht ändern. So war zumindest mein Eindruck damals, und das wird auch jetzt nicht geschehen. Aber die politische Aufarbeitung ist dringend.
Ich will nur zwei Sachen sagen. Es gibt zwei Parteien, von denen ich mir Mängel diesbezüglich nicht vorhalten lasse. Das eine ist die CDU und die zweite ist die FDP, und zwar aus einem einfachen Grunde. Die haben je zwei DDR-Parteien übernommen und haben nicht mal eine halbe Stunde Aufarbeitung geleistet, während wir uns wirklich monatelang in Kongressen und mit Dokumenten herumgeschlagen haben. Das zweite: Wenn wir uns nicht so erfolgreich mit der Geschichte auseinandergesetzt hätten, hätte es auch die Vereinigung jetzt mit der WASG nicht gegeben. Das war eine Partei aus den alten Bundesländern - und die hätte uns ohne eine solche Erneuerung auch gar nicht akzeptiert.

ZDF: Kommen wir jetzt mal zu dieser Vereinigung - Sie nennen sich ganz bescheiden "Die Linke"?

Gysi: Richtig, ein bisschen Anmaßung muss sein, Sie wissen das doch, sonst kommt man nicht weiter.

ZDF: Kommen wir jetzt mal weiter. Sie haben im Osten 6000 Mandatsträger, die politische Verantwortung tragen. Im Augenblick wird die Partei durch Lafontaine geprägt, als eine fundamentale Oppositionspartei in Radikalopposition wahrgenommen. Die Warnung aus den Ostreihen der Linken, die sagen, wir dürfen uns hier nicht zu stark rechts orientiert verkaufen, ist also berechtigt?

Gysi: Also, die Dinge sind ja immer ein bisschen komplizierter. Oskar Lafontaine steht bei unserer Partei erst einmal für einen Erfolg, und zwar für einen Erfolg der Akzeptanz in den alten Bundesländern, wie wir sie nie erreicht haben. Er steht für ein Wahlergebnis - auch bei der letzten Bundestagswahl - wie wir es nie erreicht haben, für Umfragewerte, die wir bis dahin gar nicht kannten. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass das Bedürfnis nach sozialer Gerechtigkeit eben nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern auch in den alten ganz erheblich gestiegen ist. Wenn man jemanden so viel Erfolg verdankt, dann soll man nicht gleich wieder anfangen rumzunörgeln.

ZDF: Es gibt aber Prominente aus ihren Reihen...

Gysi: Ja, ich komme ja noch dazu...

ZDF: Der Fraktionsvorsitzende aus Sachsen-Anhalt, der aus Sachsen, dann André Brie, der als Vordenker bei Ihnen gilt, der sagt, wir dürfen uns hier auch nicht in eine Feindschaft, geradezu feldzugartige Feindschaft zur SPD bringen lassen.

Gysi: Ja, ich wollte auf etwas anderes hinaus. Erst einmal verdanken wir ihm einen großen Erfolg, und das muss man erst einmal bedenken, bevor man sich dann mit irgendetwas auseinandersetzt. Zweitens sind wir eine demokratische Partei - da gibt es unterschiedliche Auffassungen, unterschiedliche Meinungen. Die können auch geäußert werden, das ist auch wieder ganz normal. Natürlich dominiert er im Augenblick das Geschehen, was doch auch mit seiner Persönlichkeitsstruktur zusammenhängt. Dagegen spricht auch nichts, solange alle demokratischen Kontrollfunktionen tatsächlich stattfinden und die finden statt.

Es gibt unterschiedliche Auffassungen, die werden in der Fraktion geäußert, die werden im Parteivorstand geäußert, die werden auch auf dem Parteitag geäußert. Ich mache mir diesbezüglich wenig Sorgen.

Aber ich will noch eine Sache sagen zum Osten und Westen. Für uns besteht doch der Fortschritt darin, dass wir endlich auch bundespolitisch wahrgenommen werden. Früher haben Sie mich ganz überwiegend nach dem Osten gefragt, weil Sie uns eben ostpolitisch wahrgenommen haben, und das ist ja mit ein Verdienst von Oskar Lafontaine - auch von anderen, aber auch von ihm. Und dass zweitens der Osten nicht zu kurz kommt, was die Benachteiligung der Leute bei Löhnen betrifft, bei Renten und auf anderen Gebieten, dafür sorgen schon Lothar Bisky, dafür sorge ich, dafür sorgen unsere Frauen, Dagmar Enkelmann, Petra Pau oder Gesine Lötzsch.

ZDF: Gut, dann kommen wir jetzt mal ganz schnell zu den Frauen.

Gysi: Denken Sie auch an Frau Kipping - alles tapfere Frauen aus dem Osten. Die werden dafür schon streiten.

ZDF: Jetzt kommt Christa Müller, die Ehefrau von Oskar Lafontaine, und sie steht mit ihrer Familienpolitik rechts von der CSU, indem sie in der Diskussion um Krippenplätze vom Zwang zur Fremderziehung spricht. Oskar Lafontaine hat sich explizit hinter seine Frau gestellt in dieser Position. Werden Sie sie jetzt, wie einige fordern, bei der nächsten Vorstandssitzung zurückpfeifen?

Gregor Gysi: Auch bei frauenpolitischen Sprecherinnen und Sprechern müssen wir lernen, zwischen Eheleuten zu unterscheiden. Christa Müller ist ein Individuum, und Oskar Lafontaine ist ein Individuum. Beide haben zum Teil auch unterschiedliche Auffassungen, das ist völlig legitim.

ZDF: Aber sie spricht für die Partei im Saarland.

Gysi: Ja, aber zum zweiten hat sie ihre Auffassungen in der Familienpolitik in einer Zeitung geäußert, die wir offensichtlich beide gelesen haben, und von der ich sage: 90 Prozent ihrer Aussagen teile ich nicht. Dann gefallen mir die Positionen von Frau von der Leyen sogar besser. Allerdings trifft das bei zehn Prozent der Aussagen wiederum nicht zu, nämlich bei der Finanzfrage und der realen Entscheidungsfreiheit. Wofür treten wir ein als Linkspartei?

Als Linkspartei sagen wir: Erstens, Mutter und Vater zu werden ist eine der höchsten Verantwortungen, die man übernehmen kann, und man lernt es nicht. Das ist doch ein Problem. Und die Qualitäten von Müttern und Vätern sind höchst unterschiedlich. Das werden wir beide gar nicht bestreiten können. Wie kriegt man die Kinderbetreuung in der Gesellschaft vernünftig organisiert?
Ich glaube, was bei Christa Müller passiert, ist, dass sie ihre eigene Situation etwas unzulässig verallgemeinert. Sie denkt, in jeder Familie kann das so laufen. Das kann es aber nicht. Zweitens habe ich eine eigene Erfahrung als Vater gemacht, die mich gelehrt hat: Auf die Mischung kommt es an. Eltern müssen genügend Zeit für ihre Kinder haben, am Nachmittag und am Abend, am Wochenende, im Urlaub und an Feiertagen. Dann kann eine sehr enge Beziehung entstehen - und dann ist es keine Fremdbetreuung, wenn die Kinder außerdem in die Krippe und die Kindertagesstätte gehen. Ganz im Gegenteil: Da lernen Kinder, sozial zu leben, nämlich im Umgang mit anderen Kindern. Das ist für mich eine wichtige Ergänzung. Ich möchte das gar nicht alternativ haben.

Aber wir brauchen eine Entscheidungsfreiheit der Leute. Deshalb hat unsere Fraktion beschlossen, was ich sehr vernünftig finde, dass etwa zwei Jahre, oder ein Jahr die Mutter und ein Jahr der Vater - bei allein Erziehungsberechtigten ist es dann nur die eine Person - von Geburt bis zum siebenten Lebensjahr in verschiedenen Abschnitten das Kind betreuen können. Dafür sollen sie allerdings kein Herdgeld kriegen, sondern ein ordentliches Elterngeld. Und da muss ich jetzt auch Kritik an Frau von der Leyen anbringen, weil sie eine Änderung durchgeführt hat, die jetzt teuer bezahlt wird.

Die Änderung besteht in folgendem: Wir hatten schon früher ein Elterngeld für Leute, die wenig verdienten. Die bekamen zwei Jahre lang 300 Euro monatlich, und das ist auf ein Jahr verkürzt worden - wenn der Vater noch zwei Monate zu Hause bleibt, auf 14 Monate - es ist also fast um die Hälfte gekürzt worden. Dafür ist der Betrag für Besserverdienende aufgestockt worden, und jetzt haben wir die erste Statistik. Über die Hälfte derjenigen, die dieses Elterngeld beziehen, kriegen den Mindestbetrag. Für die ist das Elterngeld faktisch um die Hälfte gekürzt worden, und das kann ich überhaupt nicht akzeptieren. Da bin ich mit Christa Müller wieder völlig einer Meinung. Wir brauchen ein gerechtes Elterngeld.

ZDF: Wenn man Sie so reden hört, gewinnt man den Eindruck, sie wollten wirklich regieren - in Berlin tun Sie es ja bereits. Als nächstes stehen die Wahlen im Flächenland Hessen an. Wenn die Mehrheit reichen würde, die SPD-Spitzenkandidatin, Frau Ypsilanti, zur Ministerpräsidentin zu machen, macht die Linke das dann?

Gysi: Zunächst einmal zu Berlin: Da haben wir Lehrgeld gezahlt - das war eine extrem schwierige Situation. Wir haben die finanzschwächste Stadt Europas übernommen, muss man einfach mal sagen...

ZDF: Die SPD war dabei, und genau die ist Ihr jetziger Koalitionspartner.

Gysi: Ja, und es wurde in den fünf Jahren vieles gemacht, um das wieder zu reparieren, um auch eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht zu führen, die dann leider verloren wurde. Unsere Partei in Berlin hat daraus gelernt. Sie steht jetzt für ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit und kriegt das schrittweise hin, deshalb bin ich hinsichtlich des nächsten Ergebnisses optimistisch.

Im Westen geht es zunächst um eine andere Frage: Wir müssen einziehen in die Landtage. Aber natürlich scheitert die fortschrittliche Regierungsbildung an uns nie, wenn es denn eine Bündnisfähigkeit gibt. Das muss aber der Landesverband entscheiden.

ZDF: Aber die Bündnisfähigkeit scheitert ja zur Zeit bei der SPD zunächst an der Person Lafontaine, und da sagt Brie: Wir können uns nicht in die Gefangenschaft von Lafontaine begeben. Wenn das daran scheitern sollte, opfern Sie Lafontaine dann?

Gysi: Nein, natürlich nicht. Erstens sagt André Brie das so nicht, und zweitens, was viel wichtiger ist, ich habe doch die Zeit vor Oskar Lafontaine erlebt. Was glauben Sie denn, wie viel Angebote von der SPD ich aus Hessen bekommen habe oder gar auf Bundesebene, davon kann doch gar keine Rede sein. Das ist doch fauler Zauber, muss ich mal sagen.

ZDF: Das heißt also, wenn Kurt Beck sagt "mit uns nicht", dann trauen Sie dem nicht?

Gysi: Die SPD auf Bundesebene ist zur Zeit für uns nicht koalitionsfähig. So ist die Wahrheit, nicht umgekehrt, und ich will Ihnen auch sagen, warum. Sie bestehen darauf, dass man Soldaten weltweit entsenden muss. Die haben da eine andere Auffassung. Die bestehen darauf, dass man Rente erst ab 67 bekommt, und dass eine Formel gilt, die dazu führt, dass die Rentnerinnen und Rentner an den Lohnsteigerungen und der Produktivität der Entwicklung nicht mehr beteiligt werden. Sie bestehen darauf, dass die Pendlerpauschale fast halbiert worden ist und viele die nicht mehr bekommen. Sie bestehen auf Hartz IV, was wir alles nicht akzeptieren.

Die SPD ist für uns nicht koalitionsfähig auf Bundesebene. Wenn Sie wieder sozialdemokratisch werden würde, und das ist doch nicht zu viel verlangt von der SPD, dann könnte man darüber reden. Deshalb sage ich, was Hessen betrifft, so wird das vor Ort entschieden. Das hängt ganz von der Situation ab. Ich wäre ja erst einmal zufrieden, wenn wir dort überall einzögen und allen anderen Parteien klar werden würde, die soziale Frage spielt in Deutschland wieder eine andere Rolle, und zwar auch in Hessen.

ZDF: Sie haben jetzt gesagt, was die anderen bieten müssen. Aber Koalition ist ja auch immer ein Geben und Nehmen. Was bieten Sie? Etwa im Hinblick auf eine Wiederwahl des Bundespräsidenten. In der SPD sagen viele, den könnten wir mitwählen. Wie sieht das in Ihrer Partei aus?

Gysi: Also, Herr Köhler ist jetzt zwei Jahre Bundespräsident. Er hat gerade mal die Hälfte rum. Ich finde, dass ist eine Debatte zur absoluten Unzeit. Er hat sich noch nicht einmal selbst entschieden, ob er wieder kandidieren will oder nicht. Aber lassen Sie es mich auf meine Art beantworten: Er hat ja noch zwei Jahre Zeit, viele gute Taten zu begehen, so dass er auch uns überzeugen kann. Wollen wir es abwarten.

ZDF: Was gute Taten anbelangt, erwartet man auch von Ihnen, dass Sie die Außendarstellung nicht nur Oskar Lafontaine überlassen - im Augenblick erleben wir da eine "One-Man-Show". Greifen Sie nach Ihrem Urlaub wieder ins Geschehen ein?

Gysi: Das mache ich auf jeden Fall. Ich war auch immer dabei. Das ist auch ganz gut, dass der Oskar da im Vordergrund steht, weil er auch für Erfolg steht. Er macht das nicht alleine, ich habe vorhin vier Frauen aufgezählt, ich kann noch mehr aufzählen, und es gibt noch Lothar Bisky und mich. Da müssen Sie sich alle keine Sorgen machen.

Früher, als wir noch nicht zusammengingen oder als wir dabei waren das vorzubereiten, haben die Journalistinnen und Journalisten immer gesagt, wie halten das denn zwei solche Gockel nebeneinander aus? Nun kriegen wir es hin. Jetzt beklagen Sie sich wieder darüber. Aber Sie können mir glauben, ich bleibe in der Öffentlichkeit. Aber das Maß reicht mir - ich werde mich einbringen. Der Osten wird nicht vergessen, die soziale Frage nicht und die Friedensfrage. Ich bin da eher optimistisch.

ZDF: Sie haben drei Herzinfarkte gehabt, sie haben eine schwere Gehirnoperation hinter sich, waren dann aus der Politik weg. Denkt man manchmal: Warum tust du dir das eigentlich wieder an?

Gysi: Ja. Da ich es anders mache als früher, komme ich damit gut hin. Wenn ich es so betriebe wie früher, dann glaube ich, hätte ich meine Schwierigkeiten. Die drei Jahre, die ich nur Anwalt war, waren für mich wichtig, und zwar deshalb, weil ich das erste Mal erfahren habe, was wir im Bundestag beschließen, und was die Justiz daraus macht.

Man kann mir nichts mehr vormachen im Bundestag. Solche Lebenserfahrungen zu sammeln, die ich ja nur aus der DDR hatte, jetzt hatte ich sie auch aus der Bundesrepublik, das war mir ungeheuer wichtig. Ich finde das ungeheuer spannend, gerade wenn man, so wie ich, 1989 angefangen hat, Politik zu machen. Man will, dass aus diesem Verein was Vernünftiges wird, die Partei muss demokratisch erneuert und nach vorne gebracht werden. Da hat man nur Akzeptanz im Osten erreicht, nicht im Westen - darunter habe ich gelitten. Jetzt plötzlich hat man eine Akzeptanz in der ganzen Bundesrepublik, bringt das ganze Parteienspektrum durcheinander. Das macht fast Spaß.

ZDF: Ja, aber mal Hand aufs Herz. Denken Sie jetzt manchmal, da setze ich meine Zeit und meine Gesundheit ein und lasse mich vor den Karren eines frustrierten saarländischen Wessis spannen, der einen Rachefeldzug gegen seine Partei führt?

Gysi: Nein, Sie sehen ihn da auch sehr einseitig. Er ist viel politischer, als man das glaubt. Er hat politische Ziele, und er hat doch auch vieles erreicht. Jetzt haben wir die Vereinigung beider Parteien erreicht, das ist doch auch ihm zu verdanken, und wir haben eine große Akzeptanz in der Bevölkerung. Wissen Sie, es hacken jetzt alle auf ihm rum, und ich habe da so eine ganz einfache Regel. Schon bei meinem politischen Gegner habe ich das nie gemacht. Ich habe Kohl immer kritisiert, solange er Kanzler war. Als er nicht mehr Kanzler war, fanden sich ganz viele aus seiner Partei, aber mich haben Sie nicht mehr gefunden. Wenn ich schon beim politischen Gegner da nicht mitmache - bei politischen Freunden erst recht nicht.

ZDF, 19. August 2007