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Ökonomie in der Klimafalle

Im Wortlaut,

ND-Wirtschaftskolumne

Ernsthaft kann die sich brutal ausbreitende Klimakatastrophe nicht mehr bestritten werden. Die Katastrophenuhr steht nicht mehr auf 5 Minuten vor, sondern 15 Minuten nach 12. Studien zu den weit über die Weltwirtschaftskrise hinausgehenden Einbrüchen beim wirtschaftlichen Wachstum sind wichtig, greifen jedoch viel zu kurz. Es geht schlicht und ergreifend um die Überlebensfrage der Menschheit. Die Natur, die seit der Industrialisierung viel zu geduldig die Rolle als Müllkippe einer umweltignoranten Produktions- und Konsumtionsweise gespielt zu haben scheint, gerät schon seit Jahren aus den Fugen. Seriöse Modellrechnungen zeigen, dass selbst bei einer radikalen Reduktion der Umweltbelastung nur noch das Tempo der wachsenden Klimakatastrophe abgebremst werden kann.

Eine radikale Neuordnung von Produktion und Konsumtion muss sich weltweit auf eine durchgreifende Reduktion des wichtigsten Klimakillers CO2 konzentrieren. Die wichtigsten Instrumente im Energiebereich: Revolutionierung der Energieeffizienz, umfassende Energieeinsparung sowie Nutzung ökologisch sanfter Energiequellen. Um die Wirtschaft für die Umbauprojekte zu gewinnen, wird auf die technologischen und ökonomischen Chancen hingewiesen. Für ökologische Produkt- und Prozessinnovationen eröffnen sich neue Märkte. Unternehmen können sich in der internationalen Konkurrenz positionieren, wenn sie die Vorreiterrolle bei der Durchsetzung umweltfreundlicher Produkte und Produktionsverfahren übernehmen. Die Spekulation auf diese neuen Märkte treibt wohl auch die 100 Weltkonzerne an, die als Mitglieder des »Global Round Table on Climate Change« Ende Februar einen Aufruf zum forcierten Klimaschutz präsentiert haben. Die neue Losung lautet: »Mehr Profit durch Klimaschutz«.

Es ist richtig, die im Kampf gegen die Klimakatastrophe entstehenden neuen Märkte sowie die umweltverträglichen Arbeitsplätze zu betonen. Jedoch klebt diese Strategie wieder viel zu sehr an der Dominanz des Profitmotivs. Ökologischer Umbau muss auch dann durchgesetzt werden, wenn keine Profite, ja Verluste erzielt werden. Die menschheitsbedrohende Umweltkrise zwingt zur Unterordnung der Wirtschaft unter ökologische Ziele. Deshalb ist die Atomkraft mit ihren hoch konzentrierten Schadensfolgen beim GAU niemals eine Alternative zur CO2-produzierenden Energie auf der Basis von Kohle und Öl.

Die Klimakatastrophe lässt sich nur durch radikale Eingriffe in die Profitwirtschaft, die auch die Konsumweise dominiert, bändigen. Schließlich geht es auch darum, die Grundlagen der Produktion zu sichern. Was die sozialistische Bewegung zur Entmachtung der Produktionsmittelbesitzer anstrebt, erzwingt jetzt die geschundene Natur auf ganz andere Weise. Unter dem Druck der Klimakatastrophe wächst das Bewusstsein für tiefe Eingriffe in die umweltignoranten Strukturen kapitalistischer Verwertung. Bei der Lösung dieser Überlebensfrage kann aber nicht auf die real existierenden Sozialismen zurückgegriffen werden. Auch hier ist mit der naiven, ökonomistischen Faszination für die Produktivkraftentwicklung (»Tonnenideologie«) die Natur unglaublich brutal als »Gratisproduktkraft« missbraucht worden.

Heute geht es um die Schaffung ökologischer und sozial-gerechter Lebensbedingungen künftiger Generationen. Der kategorische Imperativ für ökologisch fundiertes Handeln lautet: Entscheide ökonomisch heute unter der Erwartung, mit den dadurch produzierten ökologischen Auswirkungen als Mitglied der künftigen Generation auch leben zu müssen.

Von Rudolf Hickel

Neues Deutschland, 30. März 2007