Herbert Schui ist wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. Er warnt vor einer Erhöhung der Zinsen, verteidigt die Zinssenkungen der US-Notenbank nach der Finanz- und Immobilienkrise und leitet her, was Tagesaufgabe der Politik ist.
Die Europäische Zentralbank warnt vor einer Instabilität des Finanzsystems im Euro-Raum infolge von Banken- und Immobilienkrise sowie ansteigender Rohstoffpreise. Welche unmittelbaren Auswirkungen hätte es, wenn die EZB jetzt die Zinsen anhebt?Erhöht die EZB den Zins, dann steigen die Finanzierungskosten für die Unternehmen: Es wird teurer, die laufenden Betriebsmittel auf Kredit zu kaufen oder Investitionsgüter. Das dämpft die Investitionsgüternachfrage. Auch die Bauwirtschaft wird bei höheren Zinsen weniger Aufträge bekommen: Die Hypothekenkredite werden teurer, was viele Bauherren veranlasst, ihre Baupläne aufzuschieben. Zusammen genommen also weniger Nachfrage, weniger Produktion und Beschäftigung.
Heißt das, DIE LINKE unterstützt die Linie der US-Notenbank? In den USA hat ja die Zentralbank die Leitzinsen im Zuge der Finanzmarktkrise und der abschwächenden Konjunktur genau mit dem Argument, die wirtschaftliche Lage stabilisieren zu wollen, mehrfach gesenkt.
Die US-Notenbank will den Kapitalismus managen - im Interesse der Kapitalisten. Darin unterscheidet sie sich von keiner anderen Zentralbank. Aber die US-Zentralbank versteht mehr davon, wie die Wirtschaft funktioniert. Sie will mit niedrigen Zinsen die Produktion und damit das Angebot steigern. Das hilft, die Preissteigerungen in Grenzen zu halten. Und begriffen hat die US-Notenbank auch, dass der Kapitalismus gerechtfertigt werden muss, wenn schon nicht mit mehr Lebensstandard für alle, dann doch wenigstens mit hohem Wachstum.
Die Preise steigen in nahezu allen Bereichen. Kritiker sagen, dass eine Zinssenkung zum jetzigen Zeitpunkt die Inflation eher noch beschleunigen würde?
Eine weltweite Konjunkturflaute würde mangels Nachfrage den Preisanstieg für Energie und Nahrungsmittel dämpfen. Darauf setzt offenbar die EZB und - das kann nicht ausgeschlossen werden - künftig auch die US-Notenbank. Sinkende Zinsen aber werden das Wachstum nicht beschleunigen und damit auch nicht die Nachfrage nach Energie und Nahrungsmitteln. Sie werden, wenn es gut geht, einen Beitrag zur Stabilisierung des Wachstums leisten können. Sinkende Zinsen jetzt führen also nicht zu mehr Inflation. Das ist Unsinn.
Sie fordern: “Die Narrenfreiheit an den Finanzmärkten muss beendet werden, wenn der Staat schon für die Finanzkrise büßen muss.“ Wie?
Die nationale Gesetzgebung und internationale Abkommen müssen den Finanzmärkten klare und enge Grenzen setzen: Nicht alles, was möglich ist, kann erlaubt sein. Das ist auf allen Märkten so. Schließlich braucht auch ein neuer Autotyp eine staatliche Zulassung, bevor er in Serie produziert und verkauft wird.
Aber die Geldinstitute, an denen Bund und Länder bereits jetzt beteiligt sind - wie IKB und diverse Landesbanken -, haben doch in der aktuellen Krise auch kläglich versagt.
Ja, haben sie. Hier hat die Gesetzgebung des Bundes und der Länder versagt. Und ebenfalls - wie im Fall der IKB - die Bankenaufsicht und die Aufsicht des Finanzministeriums. Die Politik ist vor lauter inbrünstigem Glauben an den Markt blind geworden. Daran ändert auch Minister Steinbrücks entschlossene Feldherrnmine nichts. Der öffentliche Bankensektor muss neu organisiert werden. Das ist die Tagesaufgabe.
Hand aufs Herz: Sie sind doch in dieser Krise auch nur Zuschauer. Ihnen bleibt als Parlamentarier kaum mehr, als kluge Ratschläge zu erteilen. Denn zu entscheiden hat doch der Bundestag in all diesen Fragen gar nichts, oder?
Doch, der Bundestag kann viel tun! Er ist - so im Rahmen des Kreditwesengesetzes oder der Bankenaufsicht - zuständig für die Ordnung des Finanzmarktes. Er kann, zusammen mit den Ländern, den öffentlichen Bankensektor so organisieren, dass er sicher ist vor Krisen. Viele risikoreiche Geschäfte dürfen dem privaten und öffentlichen Bankensektor nicht erlaubt sein. Der Bundestag kann die Regierung veranlassen, internationale Verträge auszuhandeln, die mehr Sicherheit in die Finanzmärkte bringen.
linksfraktion.de, 16. Juni 2008