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»Nun hat die SPD die Wahl«

Im Wortlaut von Gregor Gysi,

Gregor Gysi im FR-Interview über Sekten, linke Kinderkrankheiten und die Wirrnisse der Sozialdemokratie.

Herr Gysi, wäre die Linke in Hessen gut beraten, Steigbügelhalterin für Frau Ypsilanti zu spielen, um danach wieder in der Schmuddelecke zu stehen?

Wir sind in Hessen auch mit dem Ziel angetreten, Herrn Koch abzulösen. Das geht nur mit der Wahl von Frau Ypsilanti. Deshalb würde unsere Fraktion das auf jeden Fall geschlossen tun.

Obwohl die SPD-Spitze Teile Ihrer Fraktion für "komplett irre" hält und danach nichts mehr mit der Linken zu tun haben will?

Uns geht es um Inhalte. Vieles, was Frau Ypsilanti versprochen hat, kann sie nur mit uns umsetzen. Das Problem der SPD ist, dass sie sich fast nie inhaltlich verhält. Das beste Beispiel ist Christoph Matschie in Thüringen. Der sagt, er koaliert mit uns, wenn er stärker ist als wir, aber mit der CDU, wenn wir stärker sind als er. Das hat mit Inhalten nichts zu tun. Das ist wirr.

Käme für die Linke eine wie auch immer geartete Kooperation mit der SPD nicht viel zu früh?

Das kann man sich doch nicht aussuchen. Die Abschaffung der Studiengebühren, die Einführung eines Mindestlohns, vielleicht auch eines Sozialtickets hessenweit: Dafür steht unsere Fraktion. Nun hat die SPD die Wahl.

Bestünde nicht die Gefahr, dass Ihre Partei durch eine Umarmungsstrategie vorgeführt wird? Die Linke ist im Westen, siehe Bremen und Niedersachsen, ja noch enorm ungeordnet.

Kinderkrankheiten gehören dazu. In den West-Ländern entstehen gerade neue und unterschiedliche Strukturen. Bremen wird und Niedersachsen ist in Ordnung. Und natürlich gibt es da auch Sekten.

Wie die DKP?

Die DKP war früher keine Sekte. Sie ist es geworden, weil sie nach 1989 keinen Erneuerungsprozess durchgemacht hat. Das ist der Unterschied zu uns. Aber was da jetzt passiert ist in Niedersachsen und Hamburg mit der Listenaufstellung, um diese Frage muss ich mich nicht mehr kümmern. Das wird nie wieder passieren! Und wissen sie auch, warum? Nicht nur, weil Frau Wegner so einen Schnee geäußert hat, sondern weil sie das Mandat behält. Das empfinden die Leute als Diebstahl. Aber man lernt daraus.

Vielleicht nicht schnell genug. In Hamburg könnte es nun doch wieder eng für Sie werden.

In Hamburg gibt es Versuche, die ich so verschärft schon lange nicht mehr erlebt habe, uns mit allen alten Mitteln zu bekämpfen. Ich glaube nicht, dass das funktioniert. Wenn das zutrifft, werden Gegner und Teile der Medien ab Sonntag wohl andere Wege im Kampf gegen uns einschlagen müssen.

Sie sind zur Wahl 2005 auch mit dem Versprechen angetreten, Sammelbecken für linke Kräfte zu werden. Nach Christel Wegner in Niedersachsen, nach Pit Metz in Hessen, nach Lucy Redler in Berlin: gilt das noch?

Klar. Wir sind aber nicht beliebig.

Wo ist für die Linke die Trennlinie nach links?

Da gibt es mehrere. Das erste ist, dass wir einen vollständigen Bruch mit dem Stalinismus vollzogen haben, und jeder, der versucht, das zu relativieren, hat bei uns nichts zu suchen. Das zweite: Wir akzeptieren, dass der Staatssozialismus gescheitert ist und so, wie er war, auch scheitern musste. Drittens: Wenn ich Machtkonzentration in der Wirtschaft verhindern will, brauche ich in bestimmten Bereichen auch eine faire Marktwirtschaft, in anderen aber öffentliches Eigentum. Das ist eine Reihe von Punkten, wo Oskar, Lothar und ich mit der großen Mehrheit der Partei völlig übereinstimmen.

An Ihrer Basis würde diese Trennlinie nicht jeder so ziehen.

So? Auf jeden Fall brauchen wir auch neue Mitglieder. Und zwar auch im Osten. Davon hängt der Grad unserer Normalisierung ab. Aber sehen Sie, die Menschen, die aus der DDR kamen, haben anderes gedacht. Die DDR war undemokratisch, sie war freiheitseinschränkend und sie hatte eine Mangelwirtschaft. Aber, sie war auch sozialer. Das sozialere Denken kommt gerade aus dem Osten. Sie dürfen nicht unterschätzen, was das bedeutet. Wir sagen als demokratische Sozialisten, wir wollen nie wieder die Alternative haben Freiheit oder soziale Sicherheit, sondern nur noch Freiheit und soziale Sicherheit. Das ist ein neuer Ansatz. Und da bin ich, auch was den Westen betrifft, optimistisch. Die Linke bröselte nach dem Scheitern des Staatssozialismus in ganz Europa. Und in der fast militant antikommunistischen BRD entsteht sie neu. Das ist doch mal ein spannender Vorgang.

Interview: Jörg Schindler

Frankfurter Rundschau, 22. Februar 2008