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Nokias Abwanderung markiert das Scheitern Brüssels

Im Wortlaut von Herbert Schui,

Nokia ist unverändert entschlossen, sein Werk in Bochum zu schließen. Betroffen sind rund 2.300 Beschäftigte und - nach Gewerkschaftsschätzung - bis zu 2.000 Stellen bei Zulieferern und Leiharbeitsfirmen. Nokia hat mit dieser Entscheidung nicht wenig Entrüstung ausgelöst: Die öffentliche Empörung hat handgreifliche Gründe: Nokia verdient an jedem der 1 500 in der Produktion Beschäftigten 90 000 Euro. Der operative Gewinn beläuft sich in Bochum auf 134 Millionen Euro. Und nun soll dennoch nach Rumänien verlagert werden! Das ist in den Augen einer breiten Öffentlichkeit Raffgier. Weitere Zahlen werden bekannt: Die Geschäftsleitung in Bochum hatte vorgeschlagen, mit einer Investition von 14 Millionen im ersten Halbjahr 2008 die Produktion dort so rentabel zu machen wie im Nokia-Werk in Ungarn - und das, obwohl die Bruttolohnkosten je Stunde in Deutschland 28,70, in Ungarn dagegen nur 6, 90 Euro betragen. Aber das ist noch nicht alles: Das Land Nordrhein-Westfalen hat 60 Mio. Investitionsbeihilfen gezahlt, dazu kommen wenigstens 10 Millionen Forschungsförderung des Bundes.

In den Subventionsvereinbarungen wurden Beschäftigungsziele festgelegt. Vorgesehen waren zunächst 3 459 Beschäftigte. Als Nokia diese Zahl nicht eingehalten hat, wurde das Beschäftigungsziel vom Wirtschafsministerium des SPD-geführten Landes auf 2 860 herabgesetzt. Dieses abgesenkte Ziel ist nun um weitere 350 unterschritten worden. Die Bochumer Staatsanwaltschaft hat deswegen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Es steht alles dafür, dass die Belegschaft von Nokia sich nicht mit so genannten innovativen Lösungen abspeisen lässt, so ein besserer Sozialplan oder eine Auffang- oder Beschäftigungsgesellschaft, die etwas länger als üblich betrieben wird. Hilfe kann die Nokia-Belegschaft von den konflikterfahrenen Beschäftigten bei Opel- Bochum erwarten. Warnstreiks in anderen Betrieben, so bei Thyssen Stahl in Bochum, sind wahrscheinlich.
Die tiefere Ursache für den Nokia-Konflikt ist die verfehlte Industriepolitik Deutschlands und der Europäischen Union. Der Fehler ist: Die EU-Strukturförderung führt nicht zu mehr Beschäftigung und Produktion in der EU insgesamt. Vielmehr fördert sie eine andere Verteilung der bestehenden Produktionsstätten und der gegebenen Beschäftigung. Das lässt sich auch nicht verhindern, wenn gemäß der EU-Verordnung Betriebsverlagerungen nicht subventioniert werden dürfen oder wenn bei Investitionen über 50 Millionen Euro negative Folgen für andere EU-Länder gesondert geprüft werden müssen.
Auch wenn die europäische Regionalförderung keine direkten Ansiedlungsprämien für Unternehmen erlaubt: Die Regionalförderung ist ein Grund für die Verlagerung von Nokia nach Rumänien. Denn im Rahmen ihrer Regionalförderung hat die EU tatsächlich das Nokia Village in Rumänien mit 30 Millionen Euro gefördert. Die Förderpolitik begeht einen grundlegenden Fehler: Sie nimmt an, dass eine bessere regionale Infrastruktur, mehr qualifizierter Arbeitskräfte (zusammengenommen also niedrigere Kosten) die so genannte Standortqualität eines Landes verbessern. Das trifft sicherlich zu, aber damit ist mehr Wachstum, mehr Beschäftigung in der EU insgesamt nicht erreicht. Wachstum setzt mehr Aufträge für die Unternehmen, mehr Nachfrage voraus. Dies lässt sich erreichen durch niedrige Zinsen, durch eine angemessene Wechselkurspolitik, durch eine andere Verteilung des Volkseinkommens zugunsten der Masseneinkommen. Ohne diese Wachstumspolitik läuft alles darauf hinaus, dass die Produktion insgesamt unverändert bleibt, aber dorthin verlagert wird, wo die niedrigeren Kosten sind, d.h. dorthin, wo es viel Regionalförderung und nationalstaatlichen Subventionen gibt und wo die Löhne und Gewinnsteuern am niedrigsten sind. Ob sie es will oder nicht: Regionalförderung begünstigt nur die Mobilität der Unternehmen. Sie begünstigt den Wettbewerb um die niedrigsten Löhne und Steuern und um die höchsten Subventionen.

Denn Lohndifferenzen allein sind für Unternehmen noch kein zwingender Grund für Produktionsverlagerung. Erst wenn EU-Regionalförderung, Subventionen und niedrige Steuern dazukommen, dann endlich wird die Lohndifferenz wirksam. Die Folge ist: Der Druck auf den Lohn in der EU nimmt zu und damit der Druck auf den privaten Verbrauch - finanziert aus Masseneinkommen. Das dämpft das Wirtschaftswachstum. Output und Beschäftigung werden in der EU zwar gleichmäßiger verteilt, Löhne und Lebensstandard aber geraten weiter unter Druck.

Wie diese fatale Verknüpfung von Wirtschaftsförderung und sinkendem Lebensstandard auflösen? Dreierlei ist möglich: Wirtschaftsförderung in der Form öffentlicher Beteiligung, Mitspracherecht der Belegschaft bei Betriebsverlagerungen, klare und bindende Subventionsvereinbarungen, Sanktionen und Kontrolle.

Bei öffentlicher Beteiligung hat die Politik ein Mitspracherecht bei den Unternehmensentscheidungen. Dem Unternehmensinteresse kann so das allgemeine Interesse entgegengesetzt werden. Sind im Rahmen der Mitbestimmung Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, kann die Unternehmenspolitik sehr wirksam beeinflusst werden. Im Fall von Nokia mit seinen überaus hohen Gewinnen sind Vertragsstrafen zweckmäßig. Diese neutralisieren den Vorteil aus der
Produktionsverlagerung. Legitim ist ebenfalls, Betriebsverlagerungen von der Zustimmung der Belegschaft abhängig zu machen.

All diese Maßnahmen beschränken die Autonomie der Unternehmen. Das ist die Gegenleistung für Infrastruktur und Subventionen. Grundsätzlich gilt: Allgemeine Wohlfahrt, mehr Beschäftigung und Sozialstaat können nicht einfach den Unternehmen anvertraut werden, indem der Staat Kosten übernimmt und die Mobilität der Unternehmen erhöht. Die Politik muss Gegenpol der Privatwirtschaft sein. Das ist das Ziel der Linken. Politik darf nicht einfach auf Zuruf aus der Privatwirtschaft handeln.

Von Herbert Schui

Financial Times, 11. Februar 2008