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»Niedriglöhner trifft es am stärksten«

Im Wortlaut von Susanne Ferschl, junge Welt,

Die Maßnahmen gegen die weitere Verbreitung des Coronavirus bedeuten Lohneinbußen für viele Beschäftigte. Wo sind die Pro­bleme am größten, wie viele Menschen werden betroffen sein?

Ich kann die Zahl der Betroffenen nicht genau beziffern und an dieser Stelle nur die Bundesagentur für Arbeit zitieren, die verlautbarte, dass die Anfragen aktuell »durch die Decke gehen«. Für mich ist klar, dass es mehrere Millionen sein werden. Die Probleme sind in den Bereichen der prekär Beschäftigten am größten: Niedriglöhner, Teilzeitbeschäftigte, Minijobber et cetera – sie trifft es am stärksten.

Die Gewerkschaften haben nach einem Treffen der Sozialpartner mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, SPD, erklärt, dass das Kurzarbeitergeld in der Regel 60 bis 67 Prozent des Lohns umfasst und nicht zum Leben reiche. Sehen Sie das auch so?

Ja, natürlich, das ist wirklich viel zu wenig. Wenn wir uns das Gaststättengewerbe anschauen, ist das zum Beispiel eine Branche, in der sehr niedrige Löhne bezahlt werden. Wenn die Beschäftigten jetzt nochmal bis zu 40 Prozent Lohneinbußen hinnehmen sollen, ist das existenzbedrohend. Mieten und laufende Kosten müssen bezahlt werden, das ist für viele mit diesen Lohneinbußen nicht möglich.

Wie hoch muss das Kurzarbeitergeld angesetzt werden, um existenzsichernd zu sein?

 

Die verabschiedete Regelung zum Kurzarbeitergeld sieht vor, dass Unternehmen ihre Beschäftigten trotz Überstunden in Kurzarbeit schicken können und selbst für die ausgefallenen Arbeitsstunden die gezahlten Sozialversicherungsbeiträge zurückerstattet bekommen. Ich finde, dass die Rückerstattung daran gekoppelt werden muss, dass Unternehmer ihren Beschäftigten das Kurzarbeitergeld auf mindestens 90 Prozent aufstocken und für einen gewissen Zeitraum betriebsbedingte Kündigungen im Anschluss an die Kurzarbeit ausschließen. Diese Regelung, die in einigen Unternehmen bereits tarifvertraglich gilt, muss allgemeinverbindlich werden.

Für Beschäftigte, die wegen Schul- und Kitaschließungen auf Kinder aufpassen, soll die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gelten. Reicht diese Maßnahme?

Bisher gibt es diese Regelung für betroffene Eltern nicht. Arbeitsminister Heil hat beim Sozialpartnertreffen am Mittwoch davon gesprochen, dass es Regelungen geben und bereits nächste Woche ein Gesetzesentwurf vorliegen soll. Wir fordern eine Entgeltfortzahlung analog der Regelung im Krankheitsfall – nämlich sechs Wochen voller Lohnausgleich. Einen entsprechenden Antrag werden wir zeitnah einbringen, wenn sich gesetzlich nichts tut.

In Bereichen wie Kultur und Gas­tro­nomie verlieren viele Beschäftigte derzeit ihre Jobs oder ihnen drohen Einbußen. Tut die Bundesregierung hier genug?

Ich lobe die Systemgastronomie wirklich nicht gern, aber gerade hier haben sich die Arbeitgeber bereit erklärt, den Lohn der Beschäftigten in Kurzarbeit auf 90 Prozent aufzustocken und darüber hinaus Kündigungsschutz gewährt. Das ist für die Branche schon allerhand Kulanz. Aber dennoch: Viele andere stehen tatsächlich vor dem Aus, die Bundesregierung muss dringend nachbessern. Es braucht einen Notfonds, der schnelle und unbürokratische Hilfe leisten kann, um Insolvenzen infolge der Pandemie abzuwenden.

In anderen Bereichen wie dem Einzelhandel oder der Pflege gibt es dagegen alle Hände voll zu tun, und es droht eher eine Überlastung. Was muss da geschehen?

Ich denke, es muss zwischen den Bereichen Einzelhandel und Pflege unterschieden werden. Es macht für mich etwa überhaupt keinen Sinn, die Ladenöffnungszeiten zu verlängern, die bestehenden reichen völlig aus. Dann ist es auch möglich, die entsprechenden Ruhezeiten und Freizeiten zu gewähren. In der Pflege ist dringend erforderlich, dass die Beschäftigten auch in dieser Situation Zeiten der Entlastung, also Pausen- und Ruhezeiten bekommen. Ich bin auch der Meinung, dass in den genannten Bereichen Gefahrenzulagen bezahlt werden sollten. Über die Krise hinaus muss auch endlich klar sein, dass diese sogenannten systemrelevanten Berufe aufgewertet und besser bezahlt werden müssen. Es ist doch unglaublich, dass gerade diese Menschen mit die niedrigsten Einkommen haben.

Das Interview erschien am 23. März 2020 in der Tageszeitung junge Welt. 

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