Zum Hauptinhalt springen

Nicht weiter wie bisher: Haiti braucht einen Neuanfang!

Im Wortlaut von Heike Hänsel,

Bei dem Erdbeben, das am 12. Januar die haitianische Hauptstadt Port-au-Prince und umgebende Gemeinden erschütterte, kamen 222.000 Menschen ums Leben. Anderthalb Millionen Menschen verloren ihre Wohnung. Die Katastrophe traf ein Land, das ohnehin schon mit erheblichen Problemen zu kämpfen hatte und in dem schon vor dem Beben 55 Prozent der Bevölkerung als extrem arm galten. Heike Hänsel, entwicklungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, die das Land im Herbst 2007 als Leiterin einer Bundestagsdelegation besucht hatte, fordert jetzt einen Neuanfang in den Beziehungen zu Haiti.

Haiti - immer noch weit entfernt von einem wirklichen Neuanfang

Einfahrt nach Port-au-Prince durch ausgedehnte Slums und vorbei an meterhohen Müllbergen. Im Zentrum: Zerfallene Stadthäuser und eine Schlaglochpiste als Hauptverkehrsachse - das war mein erster Eindruck von der haitianischen Hauptstadt bei meinem Besuch 2007, zweieinhalb Jahre vor dem Erdbeben. Zu Entwicklungsprojekten außerhalb der Hauptstadt fuhren wir durch ausgetrocknete Flussbette und teilweise auf nacktem Fels. Gute Straßen sind die Ausnahme in Haiti. Jahrzehnte lang war Haiti ausgeplündert und durch neoliberale Entwicklungskonzepte internationaler Agenturen wie IWF, Weltbank oder USAID zugrunde gerichtet worden. Die schwierige Versorgungslage nach dem Erdbeben und das große Ausmaß der Schäden liegen auch darin begründet. Haiti braucht keinen „Wiederaufbau“, sagen viele soziale Organisationen, sondern einen Neuanfang!

Auf der Geberkonferenz in New York im März wurden 10 Mrd. US-Dollar an internationaler Hilfe zugesagt. Ich finde es skandalös, dass bislang nur ein Bruchteil der zugesagten Mittel bereitgestellt wurde. Der deutsche Beitrag zum Aufbau in Haiti von gerade mal 53 Mio. US-Dollar ist viel zu gering. Die Fraktion DIE LINKE hatte in den Haushaltsberatungen 2010 einen Sondertitel für Haiti mit mindestens 100 Mio. Euro jährlich gefordert. Außerdem muss die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit mit Haiti wieder aufgenommen werden. Sie war 2007 von der damaligen Ministerin Wieczorek-Zeul (SPD) eingestellt worden. Die Mitglieder der Haiti-Delegation, darunter auch SPD-Abgeordnete, hatten vergeblich gegen diesen nicht nachvollziehbaren Schritt protestiert.

Natürlich ist die Höhe der bereitgestellten Mittel nicht allein entscheidend. Es geht auch um das «Wie». Die westliche «Hilfe» hat in der Vergangenheit viel zum Elend in Haiti beigetragen. Nach dem Erdbeben entschuldigte sich Bill Clinton für die katastrophale Politik der Handelsliberalisierung und neoliberalen Strukturanpassung, die er in den 90er Jahren als US-Präsident in Haiti durchgesetzt hatte. Aber der Einsicht müssen nun auch Taten folgen. Bill Clinton als Ko-Vorsitzender des Aufbaufonds hätte es in der Hand, die Weichen neu zu stellen.

Stattdessen wurden mehr als 15. 000 US-Soldaten geschickt, von denen ein Teil immer noch in Haiti stationiert ist. Auch die neoliberale Politik wird fortgesetzt: exportorientierte Landwirtschaft statt Selbstversorgung, Sweat-Shops statt lokale Wirtschaftskreisläufe, Privatisierung statt Stärkung der öffentlichen Hand. Die Hilfe wird zum allergrößten Teil über private Unternehmen und Tausende von NGOs umgesetzt. Die haitianischen Regierung protestiert, dass sie nicht mehr weiß, wer eigentlich was in Haiti macht. Dies kommt einer entwicklungspolitischen Besatzung gleich! So werden Abhängigkeiten verstärkt, der Staat zusätzlich geschwächt und die Demokratie ausgehöhlt. Die Haitianer wollen aber selbst über die Entwicklung ihres Landes entscheiden und fordern ihr Recht auf nationale Souveränität ein.

Die Fraktion DIE LINKE fordert den Abzug aller ausländischen Truppen aus Haiti und unterstützt den Kampf der haitianischen Gewerkschaften für einen höheren Mindestlohn und gegen weitere Privatisierungen. Überfällig ist die Umsetzung einer Agrarreform. Die lokale Landwirtschaft muss außerdem vor den Importfluten aus den USA und Europa geschützt werden, deshalb unterstützen wir auch die Forderung haitianischer Bauernorganisationen nach einem Moratorium für bestehende Handelsabkommen.

Von Heike Hänsel