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Nächster Stopp Durban - Fußball als Schule des Lebens

Im Wortlaut,

Trainerlegende Hans Meyer sieht sich selbst als Fußballlehrer. Für clara schrieb er seine Gedanken rund um das Großereignis WM auf: Fünf Kopfbälle à la Meyer.

Der Beitrag ist der aktuellen Ausgabe des Fraktionsmagazins CLARA entnommen, die am 19. Juni erschien.

Von Hans Meyer

Als ich gebeten wurde, einen Artikel für dieses Magazin zu schreiben, war ich schon fast auf dem Weg nach Afrika. Am 2 Juni fliege ich nach Namibia, dann geht es pünktlich zu Beginn der WM weiter nach Johannesburg. Ich werde mir sechs WM-Spiele vor Ort ansehen und hoffe natürlich auf faire gutklassige Kämpfe. Aus meiner Sicht gibt es sechs bis acht Mannschaften mit Chancen auf den Titel, unter anderen Brasilien, Spanien, England und Argentinien. Deutschland wird wie immer bei solchen Großereignissen sehr gut vorbereitet und motiviert sein, seine Chance nutzen wollen. Die Mannschaft wird, wie so oft, individuelle Nachteile gegenüber der Weltspitze mit Fitness, taktischer Disziplin und Leistungsbereitschaft ausgleichen. Dabei hoffe ich sehr, dass der tragische Ausfall unseres Kapitäns vom Team besser aufgefangen wird, als ich befürchte. Die Gastgeber haben schon immer am oberen Limit gespielt. Es wäre auch für die Afrikaner sicherlich eine Genugtuung und Anerkennung ihrer Spielkultur, wenn eine ihrer Mannschaft ins Halbfinale käme.

Afrika als Gastgeber

Mit Afrika assoziiere ich - wie sicherlich jeder von uns - sofort Armut, Hunger, Kindersterblichkeit, Rassismus, Aids, Kolonialismus und unüberschaubare folgenschwere Konflikte. Zugleich denke ich aber auch an lebensfrohe, bescheidene Menschen, die mit der schon lange währenden Hoffnung auf ein gerechteres, erfülltes Dasein leben. Fußball ist ein Sport, der Menschen überall auf der Welt begeistert. Diese Weltmeisterschaft ist die bislang größte Sportveranstaltung überhaupt in Afrika. Solch einen Sporthöhepunkt erfolgreich, trotz weltweiter Pessimisten, zu organisieren und durchzuführen, das nötigt mir Hochachtung ab. Dem Gastgeberland wird es ebenso Selbstvertrauen und Stolz geben, wie dem ganzen afrikanischen Kontinent.

Im Gegensatz zur Politik hat der Sport mit seinen klaren Regeln und der fast durchgängigen Fairness im Weltgeschehen eine äußerst positive, völkerverständigende Wirkung erzielt. Natürlich zeigt auch die Geschichte genügend Missbrauch. Olympische Spiele wurden boykottiert und für System-Propaganda benutzt. Immer wieder gibt es auch Versuche populäre Sportler vor politische Karren zu spannen. Ich bin sicher, im Falle von Südafrika würde eine stimmungsvolle gute WM vielen dummen Vorurteilen die Spitze abbrechen und ganz Afrika auch in anderen Bereichen aufwerten.

Die Macht der Medien

Ich kenne selbstverständlich die Vorbehalte und Zweifel, ob Südafrika die nötige Sicherheit für ein solches Großereignis gewährleisten könne. Die gleichen Befürchtungen wurden übrigens in der Presse auch vor den Olympischen Spielen in Peking geäußert. Bereits während der Spiele bescheinigten die meisten Journalisten den Chinesen perfekte Organisation. Wir erleben doch täglich, dass die Medien das Interesse der Menschen beeinflussen und bestimmen. Es gibt wenige Themen, bei denen sie so dicht in Übereinstimmung mit dem Interesse von Milliarden Menschen liegen wie bei Fußballweltmeisterschaften.

Das Ereignis Fußball-WM mitsamt seinen immensen Kosten in Verbindung zu bringen mit den aktuellen Problemen in den jeweiligen Ländern ist nicht sinnvoll, weil das grundsätzliche Punkte unserer Weltordnung berührt, die über den Sport nicht zu klären sind. In diesem Fall bin ich pragmatisch und sehe die eventuell kurzfristigen Vorteile für Südafrika und den schwarzen Kontinent. Intensive Baumaßnahmen zum Beispiel an Infrastruktur und Telekommunikation, die Arbeitsplatzsituation vor und während des Ereignisses, der Tourismusboom, der doppelt wirkt, in den Geschäften und als Schaufenster für die Welt. Zugleich hat das Land immense Anstrengungen unternommen und ein Entwicklungsprogramm „Education for all\\\\\\" - also Bildung für alle - mit Unterstützung der europäischen Staaten begonnen. Das heißt auf einen Nenner gebracht: Fußball wirkt - übrigens nicht nur in Afrika - als Schule des Lebens, gegen Analphabetismus, Armut und insbesondere für Bildung und Gesundheit. Auch deshalb sind die Weltmeisterschaften in Südafrika wichtig. Sie geben vielen Kindern und Jugendlichen Halt und Motivation, aus ihrem sozialen Milieu herauszukommen. Wenn man sich in Europa umschaut, sieht man viel sehr gute Fußballspieler afrikanischer Herkunft.

Fußball und Kommerz

Fußball ist ein weltweiter Markt, ein riesiges Geschäft geworden, das sich nur peripher mit den Prinzipien des Amateurbereichs trifft. In dem Staat, in dem ich groß geworden bin, gab es weder Fußballmillionäre noch Menschen, die am Rande des Existenzminimums lebten. Dieses Modell wurde aus den unterschiedlichsten Gründen verworfen und für untauglich erklärt. Die (soziale?) Marktwirtschaft ist Gesetzen unterworfen, die diese Gesellschaft offensichtlich anerkennt und brutal zum eigenen Vorteil ausnutzt. Pervertierte Beispiele für das Anhäufen von Reichtum - allein in Moskau leben 100000 Millionäre und 1000 Milliardäre - könnte ich beliebig fortsetzen. Unter dem Gesichtspunkt von Angebot und Nachfrage sind Lionel Messi, Christiano Ronaldo, Michael Ballack u.a.m. weltweit von Milliarden Fußballern die Besten und ihre Leistungen werden überall, meist mit Freude und Begeisterung, registriert. Zusätzlich werden sie zur unglaublichen Vermarktung des Fußballs benutzt, so dass ich Verständnis habe für ihren Wunsch und die Forderung nach Teilhabe.

Anders verhält es sich mit mir. Ich weiß, dass meine Leistung deutlich überbezahlt war. Sehr viele Menschen, vor allem an den Stammtischen dieser Republik hätten es besser gemacht. Hätten sich aber auch wie ich über die hohen Steuern und die ungerechte Presse aufgeregt. Ich kenne übrigens, und das jetzt wieder im Ernst, eine Menge ehemaliger Trainerkollegen aus dem Osten, die sich im Heer der Hartz IV-Empfänger wiederfinden, trotz sehr guter Ausbildung und ausgeprägtem Arbeitswillen. Ich hatte wohl Glück.

Fußball und Rassismus

Fußball sollte verbinden, auf dem Platz gibt es keine Unterschiede, nur Teamgeist und Talent zählt letztlich. Das gilt auch heute noch: für die Spieler und die Fans. Doch die Realität in den Stadien sieht oft anders aus. Jeder, der sich gegen Rassismus wehrt, hat in mir einen echten Mitstreiter. Wie viel Überheblichkeit und Dummheit liegt in solchen Vorurteilen. Im Falle des jungen italienischen Spielers Mario Balotelli, der aktuell in den Medien hochgespielt wird, habe ich allerdings eine andere Meinung. Balotelli selbst hat sich für mich sichtbar so dumm seinem Club und Mannschaftskameraden gegenüber benommen, dass die Ablehnung der Fans zum Teil nichts mit Rassismus zu tun hatte. Im Übrigen habe ich in meiner Tätigkeit in deutschen Fußballclubs Rassismus ähnlich negativ wahrgenommen, wie die unerträglichen Teile der Fans (zum Glück in deutlicher Unterzahl), die in unflätiger Weise Spieler, Trainer und Funktionäre unabhängig von ihrer Hautfarbe beleidigen. Ich weiß, dass der Fußballverband, zusammen mit den Clubs und ihren Fangruppen, aktiv gegen Diskriminierung und Verunglimpfungen vorgehen. Für die meisten Menschen steht ebenso wie für mich immer noch das Spiel im Vordergrund. Weder Rassismus noch Kommerz können diese Begeisterung zerstören. Und vielleicht geht von der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika ein Kick aus, der nicht nur die Regenbogennation am Kap der guten Hoffnung voranbringt. Diese Hoffnung habe ich, obwohl ich Realist bin.

linksfraktion.de, 16. Juni 2010