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Metall- und Elektroindustrie: Tarifabschluss als Auftakt für eine Debatte um generelle Arbeitszeitverkürzung nutzen!

Im Wortlaut von Pascal Meiser,

Von Pascal Meiser, Sprecher für Gewerkschaftspolitik

Nach wochenlangen Warnstreiks in der Metall- und Elektroindustrie haben sich IG Metall und Metallarbeitgeber in der sechsten Verhandlungsrunde für den Tarifbezirk Baden Württemberg auf einen Tarifabschluss geeinigt. In der vergangenen Woche hatte die IG Metall den Druck noch einmal verstärkt und erstmals zu 24-Stunden-Warnstreiks aufgerufen. Die Arbeitgeberseite hatte sich zuvor geweigert, ein ernsthaftes Verhandlungsangebot vorzulegen.

Ab April dieses Jahres sollen die Beschäftigten 4,3 Prozent mehr Lohn und Gehalt bekommen, zudem eine Einmalzahlung für die ersten drei Monate 2018 sowie spätestens ab Juli 2019 eine zusätzliche Jahressonderzahlung von 27,5 Prozent eines Monatsgehalts und einen Festbetrag von 400 Euro. Zugleich wird die Möglichkeit geschaffen, die Arbeitszeit befristet auf bis zu 28 Stunden zu reduzieren. Für die Betreuung von Kindern und Pflegebedürftigen sowie für Schichtarbeitende gibt es acht zusätzliche freie Tage. Auf die zusätzliche Jahressonderzahlung müssen sie verzichten und die Arbeitgeber kommen auch nur zum Teil für den entfallenden Lohn auf. Die Laufzeit des Tarifvertrages beträgt 27 Monate.

Der Tarifbezirk Baden Württemberg gilt als Pilotbezirk für die gesamte Branche. Es ist daher davon auszugehen, dass in den kommenden Tagen weitere Tarifbezirke dem Verhandlungsergebnis folgen werden. Spannend wird es sicherlich noch einmal im Osten: Hier fordert die IG Metall zusätzlich den Einstieg in die Angleichung der Wochenarbeitszeit von 38 Stunden auf die in der Metall- und Elektroindustrie im Westen geltende 35-Stunden Woche. Auf das gesamte Jahr betrachtet müssen Ost-Metallerinnen und Metaller dadurch rund einen Monat länger arbeiten. In Berlin ist die ganze Absurdität dieser Arbeitszeitmauer besonders offensichtlich. So kommt es vor, dass Beschäftigte im gleichen Unternehmen für die gleiche Arbeit unterschiedlich lange arbeiten müssen. Ein Unding nach fast 30 Jahren Deutsche Einheit!

Gestartet war die IG Metall mit der Forderung nach sechs Prozent mehr Lohn und Gehalt für die rund 3,9 Millionen Beschäftigten und mit der Forderung nach Arbeitszeitreduzierung bei teilweisem Lohnausgleich für Beschäftigte, die besonderen familiären oder beruflichen Belastungen ausgesetzt sind. Dabei geht es gerade beim Kampf für mehr Zeitsouveränität auf beiden Seiten um viel. Für die Beschäftigten steht ihre Lebensqualität auf dem Spiel – für die Arbeitgeber sind es Milliarden an Profiten. Entsprechend hart war diesmal die Tarifauseinandersetzung. Und trotz exzellenter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen musste die IG Metall Zugeständnisse machen, die ihr nicht leicht gefallen sein dürften. Denn der Abschluss liegt deutlich unter den geforderten sechs Prozent mehr Lohn. Umgerechnet auf die recht lange Laufzeit bewegt sich der Tarifabschluss in etwa im Bereich des sogenannten verteilungsneutralen Spielraums. Das heißt, der Tariflohn gleicht die Preissteigerung und die Produktivitätsentwicklung in der Gesamtwirtschaft aus. Zwar ist der Einstieg in die Arbeitszeitreduzierung trotz der massiven Widerstände der Metallarbeitgeber geschafft. Im Gegenzug können diese aber in vergleichbarem Umfang jetzt auch Arbeitsverträge mit bis zu 40 Wochenstunden abschließen, zum Beispiel wenn Unternehmen Fachkräfteengpässe nachweisen können. Das ist eine problematische Entwicklung. Es ist zu erwarten, dass viele Konflikte dadurch weiter auf die betriebliche Ebene verlagern werden.

Laut IG Metall beteiligten sich bundesweit rund 500.000 Metallerinnen und Metaller aus knapp 280 Betrieben an den 24-stündigen Warnstreiks. Dies hat noch einmal deutlich gezeigt, dass auch die Frage der besseren Arbeitszeitgestaltung den Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie auf den Nägeln brennt. Sie haben damit das Zukunftsthema Arbeitszeitverkürzung endlich wieder in den öffentlichen Fokus gerückt. Dies ist nicht nur ein wichtiges gesellschaftliches Signal – auch andere Gewerkschaften haben das Thema Arbeitszeitverkürzung, wie die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, auf ihre tarifpolitische Agenda gesetzt –, es ist vor allem als Signal an die Arbeitgeber und die Politik zu werten: Arbeitszeitverkürzung und mehr Zeitsouveränität sind keine Tabu-Themen mehr. Aufgabe einer zukünftigen Bundesregierung müsste es jetzt eigentlich sein, entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen im Sinne der Beschäftigten zu setzten. Aber mehr als ein gesetzliches Rückkehrrecht auf Vollzeit, von dem knapp die Hälfte der Beschäftigten nicht profitieren würde, haben CDU/CSU und SPD bisher nichts anzubieten. Sie vertun damit die Chance, diese gesellschaftliche Debatte in konkrete Politik umzusetzen und damit die Arbeitszeitwünsche der Beschäftigten in den Mittelpunkt zu stellen.

DIE LINKE will diesen blinden Fleck füllen. Wir wollen die Gewerkschaften dabei unterstützen, die Arbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich schrittweise zu kürzen. Die vorhandene Arbeit muss gerecht verteilt werden – auch, weil Arbeitszeitverkürzung das beste Mittel gegen Arbeitslosigkeit und zum Erhalt von Arbeitsplätzen ist. Dazu braucht es verbesserte gesetzliche Rahmenbedingungen: So wollen wir die gesetzlich zulässige Höchstarbeitszeit von 48 auf 40 Stunden senken. Das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit muss für alle Beschäftigten gelten und die betriebliche Mitbestimmung gestärkt werden, damit die Beschäftigten mehr Einfluss auf die Gestaltung der Arbeitszeit haben. Die Beschäftigten müssen möglichst souverän über ihre Arbeitszeit entscheiden können und sich nicht ständig fragen müssen: Leben wir eigentlich, um zu arbeiten, oder arbeiten wir, um zu leben?