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Marktwirtschaft statt Monopol

Im Wortlaut von Alexander Ulrich,

Die Bundesregierung lobt gern den Wettbewerb - und blockiert in Wahrheit europäische Bemühungen, gegen Kartellmacht vorzugehen

Die Kritik kommt von oberster Stelle: Deutschlands Wirtschaftspolitik sei widersprüchlich, klagte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, enttäuscht über die Weigerung der Bundesregierung, mehr Geld für Europas geplante Galileo-Satellitensystem auf den Tisch zu legen. Zwar ist Barrosos Verärgerung über Berlin in Sachen Galileo fehl am Platz. Dennoch hat er Recht: Die deutsche Wirtschaftspolitik in Europa ist widersprüchlich, insbesondere im Energie- und Postsektor.

Es ist richtig, dass der Markt oft ein geeignetes Instrument zur Produktion und Verteilung des Sozialprodukts ist. Daraus sollte man dann aber auch die richtigen Schlüsse ziehen. Erstens: Der Markt ist ein Instrument - und nicht mehr. Zweitens: Ausnahmen bestätigen die Regel.

Zu den Ausnahmen zählen Bereiche wie Bildung, Verteidigung, Energie, Transport, oder Telekommunikation. Hier muss der Staat Verantwortung übernehmen, weil der Auftrag, die Volkswirtschaft zu versorgen, keine Gewinne im Sinne der Privatwirtschaft abwirft oder sich nicht über Wettbewerb organisieren lässt.

Ähnlich wie mit dem Verhältnis zwischen Markt und Staat verhält es sich mit jenem zwischen Wettbewerb und Monopol. Es gibt netzabhängige Industrien, in denen Gewinne denkbar sind, aber die Marktstruktur Monopole begünstigt. Mächtige Monopole beim Netzbetrieb sollten prinzipiell unter öffentlicher Aufsicht stehen. Ein privates Monopol ist nicht effizienter als der Staat, und es kann durch Marktmacht sogar die Demokratie gefährden.

Gelegenheit zu Preisabsprachen

Die EU-Kommission will im Energiesektor den privaten Netzbetrieb und die Stromerzeugung eigentumsrechtlich trennen. Auch Bankvolkswirte fordern das.

Es ist bezeichnend, dass gerade die Bundesregierung diesen Vorstoß energisch bekämpft hat. Dabei reicht der Vorschlag der Kommission letztlich nicht aus, marktbeherrschende Kraftwerksbetreiber zu zwingen, Kraftwerksleistung zu den tatsächlichen Kosten der Konkurrenz zu überlassen: Erstens lassen sich so keine Preisabsprachen unter Stromgiganten verhindern. Zweitens ist denkbar, dass Stromkonzerne ihre Kapazitäten künstlich verknappen, wenn sie niedrigere Monopolgewinne erwarten. Eine Überführung der Energienetze in öffentliches Eigentum ist die einzige Möglichkeit zu verhindern, dass private Monopole die Preise diktieren.

Einfluss auf die Technologie

Es gibt aber noch eine andere Bedeutung öffentlicher Steuerung, die gerne unterschlagen wird: Der Einfluss auf die technologische Entwicklung und die Sicherheitspolitik.

Die politische Verteuerung und effizientere Nutzung fossiler Brennstoffe wird nicht reichen, um den Klimawandel zu bekämpfen, wenn die Menschen keine Alternativen haben. Europa sollte Forschungskapazitäten bündeln und Solar-, Wasser- und Windkraft durch einen big push stärker fördern. Dies würde auch der Tendenz entgegenwirken, sich auf militärische Energiesicherung statt auf Technologieführerschaft zu verlegen.

Man mag die Vorschläge der Europäischen Kommission als unzureichend kritisieren. Sie zeugen aber geradezu von Weitsicht verglichen mit der ordnungspolitischen Verwirrung der Bundesregierung: Private Energiekartelle werden in Berlin leidenschaftlich verteidigt. Zugleich forciert die Bundesregierung die Liberalisierung des Postsektors im nationalen Alleingang, um angeblich für mehr Wettbewerb zu sorgen. Ein gesetzlicher Mindestlohn wird abgelehnt und das Entsendegesetz soll die allgemeine Verbindlichkeit des Post-Tarifvertrags auf Briefdienste beschränken. Nicht einmal auf europäischer Ebene möchte die Bundesregierung der Marktmacht der Arbeitgeber einschränken.

Das ordnungspolitische Leitbild der Großen Koalition lässt sich zusammenfassen: Private Monopole sind zu verteidigen, Mindestlöhne gegen die kartellartige Macht der Arbeitgeberlobby sind zu verhindern. Das ist weder marktwirtschaftlich noch sozial.

Von Alexander Ulrich

Financial Times Deutschland, 6. November 2007